die taz vor zwanzig jahren über den widerstand gegen die volkszählung
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Heute ist der Tag, an dem das Leben in der Bundesrepublik für einen Augenblick stillstehen sollte, um den staatlichen Planern ein genaues Bild von ihrem Volk zu geben. Doch der 25. Mai 1987 wird als Symboldatum den Makel einer der zugleich lächerlichsten und deutlichsten staatlichen Machtproben tragen. Wenn es schon der Tag der „Volks-Erhebung“ ist, dann allerdings in einem ganz anderen Sinne, als es sich die Datensammler vorgestellt haben. Der Anteil derer, die sich nicht zählen lassen mögen, ist so groß geworden, daß die Brauchbarkeit der von der Volkszählung erwarteten Datensammlung längst infrage gestellt ist. Jetzt geht es den Promotern des milliardenschweren Staatsunternehmens nur noch darum, die ganze Aktion ohne Gesichtsverlust durchzuziehen. Umso wichtiger wird es für die Staatsorgane, das Fiasko zu vertuschen und herunterzuspielen. Sie werden, so viel ist gewiß, nach Abschluß der Zählung wider besseres Wissen behaupten, die Chose sei ein „Erfolg“ gewesen.

Eine Erfahrung wird jedoch Bestand haben: die von der Lust am Nein-Sagen. Wohl selten in den letzten Jahren hat sich eine so phantasiereiche, so wenig dogmatische Bewegung entwickelt wie anläßlich des Zählaktes. Die individuell erfahrene und doch jeden einzelnen gleichermaßen betreffende Maßnahme hat den Volkszählungsprotest bis ins letzte Nest der Republik getragen. Weil Angst vor der Erfassung, individuelle Renitenz und bewußte Anti-Staatlichkeit zu demselben Ergebnis führen, nämlich den Gehorsam zu verweigern, blieb der Vobo-Bewegung auch die Zerreißprobe eines ideologischen Zielkonfliktes erspart. Gerade das Zusammenfließen der unterschiedlichsten Motive zu einer massenhaften Loyalitätsverweigerung macht es den Befürwortern der Volkszählung so schwierig, ein politisches Mittel dagegen zu finden. Ihre Stigmatisierung fällt schwer. Je eindringlicher die staatliche Werbung argumentiert, desto lächerlicher wirkt sie. Doch darf nicht übersehen werden, daß Schummeln, Verzögern und Boykottieren bisher vergleichsweise risikolos waren. Imma Harms, Petra Bornhöft, taz 25. 5. 1987