Ein bunter Haufen

Der Suhrkamp-Band „Und jetzt?“ erkundet, wie sozialer Protest in der Mediengesellschaft funktioniert. Und wo seine Zukunft liegt

VON TARIK AHMIA

Der G-8-Gipfel steht vor der Tür. Während die Führer der reichsten Nationen in ihrem Hochsicherheitsgefängnis von Heiligendamm über die Zukunft der Welt beraten, werden die G-8-Kritiker mit Demos, Sitzblockaden und Gegengipfel ihre bekannten Forderungen aussenden. Doch auch diese Proteste sind Rituale in einer Diskussion, aus der sich die Mehrheit verabschiedet hat: Desinteresse, Resignation und der verlorene Glaube an den politischen Prozess prägen vielerorts die Stimmung.

Der Titel des edition-suhrkamp-Bandes „Und jetzt?“ passt insofern in die Zeit: Wie kann, so die Frage, die Lähmung überwunden werden. „Und jetzt?“ versammelt 25 Aufsätze, brillante wie blamable, in deren Fokus vor allem zwei Fragen stehen: Was kann Protest heute noch bewirken? Und: Welche Organisationsformen kann zeitgemäßer politischer Aktionismus in einer globalisierten Welt annehmen? Davon ausgehend wird ein wahrlich vielfältiges Spektrum zu Geschichte und Praxis sozialer Bewegungen sichtbar – allerdings meist aus einer auf Europa und die USA zentrierten Perspektive.

Die erste Hälfte des Buchs konzentriert sich auf die Rolle von Parteien, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen (NGOs), in der zweiten werden Foren politischer Einflussnahme in den Bereichen Protest, Konsum und Medien analysiert.

Abgerundet werden diese Themenblöcke durch Gespräche mit TheoretikerInnen wie Chantal Mouffe, Ulrich Beck und dem „Empire“-Autor Michael Hardt. Diese Interviews gehören zu den Glanzlichtern des Sammelbandes. Sie markieren das theoretische Gerüst der Protestkultur – und es werden deutlich unterschiedliche, kontroverse Ansätze deutlich. Vor allem zwischen den Positionen der in London lehrenden Politologin Chantal Mouffe und dem deutschen Soziologen Ulrich Beck baut sich ein interessantes Spannungsfeld auf. Während Beck davon ausgeht, dass sich die klassischen Politk- und Protestverständnisse durch die globalen ökonomischen Umbrüche überlebt haben, drängt Mouffe auf deren Renaissance. Ihr Konzept konzentriert sich auf zwei Begriffe, die unmittelbar Auswirkungen auf die politische Praxis haben. Der eine lautet „Antagonismus“ und besagt, dass innerhalb jeder sozialen Ordnung zwingend miteinander unvereinbare Sichtweisen existieren, die sie als „the political“ bezeichnet. Die Ausprägung der sozialen Ordnung wird wiederum von der Hegemonie bestimmt. Damit beschreibt sie Praktiken einzelner Interessengruppen, die diese auf Kosten anderer Gruppen anwenden, um die von ihnen bevorzugte Gesellschaftsstruktur durchzusetzen. Die dafür nötigen Interessen- und Machtkonstellationen verändern sich jedoch über die Zeit. Mouffe hält es daher auch für verfehlt, die neoliberale Globalisierung wie einen Schicksalsschlag hinzunehmen. „Wir sollten niemals akzeptieren, dass Bestehendes nicht verändert werden kann“, sagt die Professorin von der University of Westminster und argumentiert damit ganz im Gegensatz zum postpolitischen Credo von Anthony Giddens und Ulrich Beck: „Im heutigen Europa sollte unser Hauptaugenmerk darauf liegen, die Rechts-links Konfrontation zu beleben“.

Der gescholtene Ulrich Beck plädiert seinerseits für neue Bündnisse, etwa zwischen NGOs und der Großindustrie. Beck setzt in dem Gespräch viel Hoffnungen auf den souveränen Verbraucher, der in Zukunft mit seiner Kaufentscheidung Politik macht, so als ließe sich politische Teilhabe durch intelligenten Konsum adäquat ersetzen. Das Problem, das sich daraus ergibt, benennt Beck auch selbst: „Wer sich nichts kaufen kann, kann nicht mitmachen.“

Die Frage, wer in diesen Prozessen überhaupt noch zu den politischen Akteuren zählt, beantwortet das Buch im Ausschlussprinzip. Politische Parteien und traditionelle Gewerkschaften werden in Zukunft nicht mehr dazugehören, so der Konsens der Autoren. Sie sind im Begriff der Selbstauflösung. Neben den selbstorganisierten Protesten von Basisgruppen fällt nach Einschätzung vieler Autoren den NGOs zunehmend die Rolle des zentralen Akteurs zu. Einigen Texten, die dieses Thema beleuchten, mangelt es allerdings schlicht an Qualität. Tanja Brühls Abriss der Geschichte der NGOs ist hausbacken bis zur intellektuellen Dürftigkeit. Und auch der in Soziologendeutsch verfasste Versuch von Dieter Rucht, der das Wesen des Protestes erkunden will, bleibt weitgehend banal. „Ein erstes und zentrales Mittel der Überzeugung sind Argumente“, notiert Rucht. So geht das 18 Seiten lang.

Dem gegenüber stehen eine Fülle von journalistisch gut aufbereiteten Fallbeispielen aus der aktuellen Protestkultur. Darin dokumentieren die Autoren mit konkreten Beispielen, dass in den reichen Ländern des Westens, die sich zu Informationsgesellschaften wandeln, auch die Protestformen immer stärker medialen Charakter annehmen. Exemplarisch sind etwa virtuelle Online-Protestaktionen, die mediengerechte Inszenierung der französischen Studentenproteste als „perfektes Theaterstück“ oder auch die Guerillataktik der „YES Men“. In einem BBC-Interview haben sich diese Medienaktivisten als Sprecher des Chemiekonzerns Dow Chemical ausgegeben. Weil sie darin die Verantwortung für den Chemieunfall im indischen Bhopal übernahmen und Schadenersatz ankündigten, brach die Aktie des Unternehmens kurzzeitig um zwei Milliarden Dollar ein.

Die Sammlung „Und jetzt?“ zeigt, wie reich an solch originellen Protestformen die sozialen Bewegungen trotz aller Probleme sind. Natürlich kann das Buch keine schlüssige Prognose zur Zukunft der sozialen Bewegungen geben. Aber es zeigt, dass der Kampf für Menschenrechte, Frieden, Gerechtigkeit und Chancengleichheit weitergehen wird, solange Menschen eine Kluft sozialer Ungleichheit trennt.

Heinrich Geiselberger (Hg.): „Und jetzt?: Politik, Protest und Propaganda“. edition suhrkamp, Frankfurt am Main 2007, 364 Seiten, 12 Euro