Die Einsatzleiter

Mit 15 Jahren traf Monty Schädel eine Entscheidung. Er unterschrieb eine Verpflichtung, drei Jahre der Nationalen Volksarmee der DDR zu dienen. Der Mecklenburger war wenige Kilometer entfernt von der „Grenzbrigade Küste“ in Rostock aufgewachsen, deren besondere Aufgabe es war, Republikflüchtlinge zu schnappen. Er hatte, sagt er heute, „eine wunderschöne Kindheit mit Grenze“.

Der Sohn eines Schlossers und einer Kellnerin, die ihrem Sohn seinen ungewöhnlichen Vornamen gegeben haben, wurde groß mit der Überzeugung, den Sozialismus und den Frieden verteidigen zu müssen. Notfalls mit der Waffe. Doch erst einmal machte Monty Schädel eine Kochlehre und trat in die SED ein. Mit dem Mauerfall wurde seine NVA-Verpflichtungserklärung Makulatur. Alles war wieder auf Anfang. Er war jung und ließ sich zum Erzieher ausbilden. Als er schließlich mit 24 Jahren tatsächlich einberufen wurde, desertierte er. Die Bundeswehr war für ihn „eine Feindarmee“.

Heute ist Monty Schädel 37 Jahre alt. Er ist überzeugter Pazifist, Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-KV) und – dieser Tage vor allem – Koordinator des Rostocker Bündnisses gegen den G-8-Gipfel. „Das sind Entwicklungen, die ein Mensch durchmacht“, erklärt er seinen Wandel.

Das Bündnis, dieser Zusammenschluss aus Organisationen, Verbänden, Vereinen, Gruppen, Grüppchen und Einzelpersonen, will während des G-8-Gipfels in Heiligendamm „einen großen, farbigen und vielfältigen Protest gegen die unsoziale, Umwelt- und menschenzerstörende Politik“ veranstalten. Seit gut anderthalb Jahren zieht Schädel dafür die Fäden. Und seit Januar ist er hauptamtlicher Geschäftsführer der Friedensgesellschaft, die im Rostocker Stadtzentrum ihren Sitz hat. Sechs Stufen führen hinunter zum „Protest-Informationsbüro“, eine Fahne in den Regenbogenfarben und das Transparent „Gegenwind Resistance“ weisen den Weg.

Das Erkennungszeichen von Monty Schädel, der im letzten Sommer schon die Proteste gegen den Bush-Besuch in Stralsund koordiniert hat, ist die dunkelblaue Trainingsjacke mit dem aufgedruckten SHALOM. Er will das hebräische Wort „nicht als Sympathieerklärung für den Staat Israel als solchen“ verstanden wissen. Sondern als „ein Bekenntnis zum Frieden“.

Vor der Jacke hatte er ein anderes Erkennungszeichen: von 1998 bis 2002, als Sprecher der PDS-Fraktion für Kinder,- Jugend- und Friedenspolitik, trug er als Landtagsabgeordneter über den damals langen Haaren ein Basecap mit dem Symbol der Friedensgesellschaft, einer zerbrochenen Waffe. Als er nicht wieder aufgestellt wurde, setzte er die Mütze ab, schnitt sich die Haare kurz und trat aus der PDS aus. Ein neuer Lebensabschnitt begann. Es war mal wieder alles auf Anfang.

Schädel nahm ein Jahr Elternzeit, machte einen Englischkurs auf Malta, er war arbeitslos, absolvierte in Südtirol ein Praktikum in seinem alten Beruf als Koch und arbeitete bis Ende letzten Jahres als Erzieher in einer integrativen Kindertagesstätte bei Rostock. Seither ist er hauptamtlicher Geschäftsführer der DFG-VK.

Bei der Polizei ist Monty Schädel kein Unbekannter. Die einen dort kennen ihn aus seiner Zeit als Abgeordneter. Die anderen als Organisator von Protesten, der Beamte schon mal duzt. Als einen, der gegen das Versammlungsgesetz verstößt oder der eine Asylbewerberin vor der Abschiebung versteckt. Seit Jahren läuft gegen ihn ein Verfahren wegen des Eingriffs in den Schienenverkehr – 2002 hatte er einen Rekrutenzug blockiert. Mit friedlichen Mitteln, versteht sich.

Mit Knut Abramowski, dem Einsatzleiter der Polizei beim G-8-Gipfel, ist er oft völlig unterschiedlicher Meinung. Doch er kommt mit ihm aus. Es bleibt ihm auch nichts anderes übrig. „In Mecklenburg-Vorpommern“, sagt Schädel, „gibt es zu wenig Menschen, als dass man sagen könnte, mit dem oder dem rede ich nicht mehr.“ Trotz oftmals völlig unterschiedlicher Wahrnehmungen nimmt er Abramowski ab, dass der „das Interesse hat, dass das ordentlich läuft“. Er bezweifelt jedoch, dass das auch bei allen seinen Untergebenen so ankommt. Trotzdem ist er optimistisch, was die Gipfelzeit angeht. „Ich sehe eine große Chance für eine gewaltfreie Bewegung. Wenn die Polizei das nicht torpediert“, schiebt er hinterher.

Monty Schädel koordiniert nicht nur die Proteste. Er will auch aufklären, die Mecklenburger sollen Bescheid wissen. „Viele Einheimische fühlen sich überrannt und haben Angst vor dem, was auf sie zukommt.“ Im Norden Ostdeutschlands kämen auf einen Quadratkilometer gerade mal 36 Personen, da sei schon eine Versammlung von 200 Menschen eine Großdemonstration. Er, der einst sein Land mit der Waffe in der Hand verteidigen wollte, weiß, dass für viele Menschen an der Ostsee der G-8-Gipfel vor der eigenen Haustür weit weg ist. Probleme wie Arbeitslosigkeit und Strukturschwäche stehen nicht auf der Agenda.

Knut Abramowski müsste eigentlich eine grüne Uniform tragen, mit vier goldenen Sternen auf jedem Schulterstück. Doch zum Pressegespräch in Rostock erscheint er in dunkelblau gestreiftem Anzug, hellblau gestreiftem Hemd und blau-weiß gepunkteter Krawatte. Nur ein Schild am Revers weist ihn aus: Er ist der Leiter der „BAO Kavala“.

Die drei Großbuchstaben bedeuten „Besondere Aufbauorganisation“, Kavala steht für eine nordgriechische Stadt, die – ebenso wie Heiligendamm – „weiße Stadt am Meer“ genannt wird. Knut Abramowski ist der Leitende Polizeidirektor und während des G-8-Gipfels verantwortlich für die Sicherheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, für den Einsatz von 16.000 Beamten und den Schutz friedlicher Proteste.

Das Haar auf Stoppellänge geschnitten, das Gesicht sonnengebräunt, spricht er kurz und knapp von „Operationen zu Land, zu Wasser und zu Luft“, vom „geschnürten Sicherheitspaket“, dem „Abschöpfen weltweiter Erfahrungen“, der „hohen abstrakten terroristischen Gefährdung“, auch von „möglichen Einzeltätern, die aus Demonstrationen heraus agieren könnten“. Dass es sich bei diesem Einsatz, den ihm der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern vor anderthalb Jahren übertragen hat, um den größten in der bisherigen Geschichte des Landes Mecklenburg-Vorpommern handelt, lässt ihn eher kalt. „Ich habe einen Gesamtauftrag zu erfüllen. Das ist eine knallharte Pflicht.“

Abramowski ist 54 Jahre alt und 1974 in den Polizeidienst eingetreten, bei der Landespolizei in Schleswig-Holstein. Der Flensburger war dort unter anderem Dienststellenleiter und stellvertretender Inspektionsleiter. Nach der Wende übernahm er die Fortbildung der Polizeiführungskräfte der drei Nordbezirke der DDR und beriet den Leiter der Polizeidirektion Neubrandenburg. Er war Direktor der Bereitschaftspolizei Mecklenburg-Vorpommern und Leiter der Polizeidirektion Rostock. Noch heute pendelt er zwischen seinem Arbeitsplatz und seinem Wohnort Ratzeburg, der 120 Kilometer entfernt liegt. Dort lebt seine Familie, die vier Kinder sind zwischen 13 und 19 Jahre alt. Ob zwei versuchte Anschläge Anfang des Jahres auf das Polizeigebäude der Kleinstadt im Zusammenhang mit den Brandanschlägen im Vorfeld des Gipfels zu sehen sind, dazu will er nichts sagen. Aber eins stellt er klar: „Bei gewalttätigen Ausschreitungen werden wir konsequent gegen die Gewalttäter vorgehen.“

Für den Wunsch der Globalisierungskritiker aber, möglichst nah an dem zwölf Kilometer langen Zaun protestieren zu können, der die Politiker von der Öffentlichkeit abschirmt, hat er Verständnis. „Im Grunde begrüße ich die kritischen Demonstrationen“, sagt er. Doch weil die Polizei „mit erheblichen Ausschreitungen“ rechne, seien Proteste dort verboten. Abramowski will seine Maßnahmen „mit Augenmaß, aber auch mit Konsequenz“ durchführen.

Über die Zusammenarbeit mit Monty Schädel, der einen Großteil des Widerstandes gegen den Gipfel organisiert, hat er nur lobende Worte. Klar, oft seien er und Schädel völlig unterschiedlicher Meinung, „trotzdem reden wir miteinander und sagen noch immer guten Tag zueinander.“ Auf inhaltliche Diskussionen lässt er sich jedoch nicht ein. „Ich habe zu jedem Thema eine eigene Meinung“, sagt Abramowski, doch die behalte er für sich. „Das ist Teil der Professionalität.“

Der G-8-Gipfel ist der bisherige Höhepunkt seiner beruflichen Karriere. Erfahrungen hat er gesammelt bei einem Großeinsatz 1998 gegen eine NPD-Demonstration in Rostock, der Begleitung von Castor-Transporten und beim Besuch des amerikanischen Präsidenten im letzten Sommer in Stralsund. Es ist nicht leicht, über die biografischen Daten hinaus etwas über den Menschen Abramowski zu erfahren. Einzelgespräche werden nicht gewährt. Weil sich die Anfragen aber häuften, hat seine Pressestelle kurzerhand selbst ein Kurzporträt verfasst, das man „in den Medien platzieren“ wollte. Darin heißt es: „In der derzeit arbeitsbedingt knappen Freizeit erholt er sich auch gerne in der Sauna. Das Buch, welches ihn in letzter Zeit sehr beeindruckt hat, war Frank McCourts ‚Die Asche meiner Mutter‘.“

Schließlich ist ihm doch noch etwas zu entlocken. Eigentlich, sagt Knut Abramowski, habe er Pastor werden wollen. Weil er „eine christliche Grundüberzeugung“ und „eine Sprachneigung zum Griechischen“ habe. Doch dann sei er zur Polizei gegangen – „um einen Freiraum zu haben, Geld zu verdienen und vielleicht doch noch zu studieren“. Sein Interesse am Griechischen erklärt wohl auch den Namen Kavala.

Mittlerweile trägt Abramowski seit 33 Jahren die Polizeiuniform. In dem kleinen Besprechungsraum in Rostock hängt ein Kalender an der Wand, der nicht auf der Höhe der Zeit ist. Er zeigt noch den April an und wird von einem Sinnspruch geschmückt: „Wähle einen Beruf, den du liebst, und du musst keinen einzigen Tag in deinem Leben arbeiten.“ Er stammt von dem Chinesen Konfuzius und passt gut zu einem Polizeidirektor, der gern christliche Werte vermittelt hätte.