Hommage: Der Fluss, die Reise, das Schiff

Das Konzept ist grandios: Die Schiffer schweigen und die Landschaft spricht Bände in Marco Mittelstaedts Film "Elbe". Leider sabotiert er es durch zu viele Genreanleihen

Schweigen ist bekanntlich gülden Bild: Promo

Flussschiffer auf der Elbe. Der eine schwätzt dem anderen die Hucke voll. Der andere schweigt. Das ist ein genialer Kunstgriff. Da der Dialog nicht zustande kommt, spricht das Bild selbst. Die Elblandschaft in ihren wechselnden Stimmungen. Das Elbsandsteingebirge, Dresden, Torgau, Dessau, Magdeburg - im Flachland wird der Blick freier, der Horizont weitet sich, die Totalen werden größer, die Sonnenauf- und -untergänge farbiger. Dann wieder lasten dichte graue trübe Wolkenmeere, und den beiden wird gekündigt, wieder wortlos.

Wäre da nicht die Musik von den 17 Hippies und den anderen, wir wähnte uns in einem Stummfilm. Die beiden, die sich narrativ nicht verständigen können, reisen gleichwohl schicksalhaft gebunden die Elbe abwärts - in einem Segelboot, der "Ghost". Die Strömung treibt dem Ziel zu: Ayers Rock, der Rote Felsen, allerdings kontinenteweit entfernt in Australien. Das Verkehrsmittel darf wechseln, die Richtung bleibt, ob im geklauten Ruderboot, ob mit dem Fahrrad auf dem Deich.

So weit die Geschichte, die große Gefühle zulässt, auch Grandios-Unheimliches und Geisterhaftes. Der Film hätte großartig sein können. Er traut sich nicht. Kleinkariertes mengt sich ein. In Ordnung ist, dass der eine, landschaftlich kodiert, Spökenkieker ist und Dinge sieht, die kein Mensch sehen kann. Zum Beispiel, was bei einem verdeckt hingehaltenen Kartenspiel auf den Karten steht. 17 und 4. Bingo! Schon wieder gewonnen. Im geheimen Spielsalon wird den Landratten das Geld abgenommen. Das gibt sehr lange Sequenzen, bis die Spieler was merken und wir zur Elbe zurückkommen können. Der Film bedient unterwegs das ein und andere Thema. Arbeitslosigkeit und ihre Folgen für die Familie.

Eine Mini-Liebesgeschichte ist dabei, auch ein Mini-Tatort-Krimi. Ein Raub, eine Verfolgung, ein Todesschuss. Wer wars? Und Moral sowieso: Unrecht Gut ins Wasser werfen oder als Ausgleich für Hartz IV behalten? Schon richtig, dass all diese Sequenzen wortkarg erzählt werden. Das Bild dominiert. Der Schnitt bringts. Zu untertiteln wäre nichts. Aber auch als schöne Bildmontage platzt die Nebenhandlung ins Konzept. Die Elbe, die Reise, das Geisterschiff. Mit Genreklischees können wir da nichts anfangen, auch nicht mit einer Chronologie. Die Montage des Films hat den Mut gehabt, den Zeitablauf zu brechen.

"Elbe" startet in der gefühlten Mitte des Ablaufs. Die noch rätselhafte Anfangssequenz wird dann wieder aufgenommen. Bis dahin haben wir den narrativen Boden verloren und sind nicht sicher, wo wir stehen: Gegenwart, Vergangenheit, Vorschein? Das ist gut so, weil wir Traum, Schicksal und Rätsel ausgeliefert werden und bang hoffend in die norddeutsche Weite starren, fokussiert aufs nichts und niemand. Der Himmel! Auf der Elbbrücke kuckt Kowsky hoch und ruft: "Gero! Vielleicht schwebst du heimlich über Saras Roten Berg!" Das aber war schon das Äußerste an explizitem Dialog. Dem Allgemeinen zum Trotz spielen Henning Peker und Tom Jahn bodenständig und glaubhaft. Es fasziniert, ihnen zuzusehen, wie sie Masten aufrichten, Segel setzen, in Tätigkeit sind, während ihre Stimmung der Großwetterlage entspricht. - Danke, Marco Mittelstaedt ("Jena Paradies" 2004, Abschlussfilm an der DFFB) für die langen Einstellungen, in denen der ICE mal kurz über die Brücke fährt, folgenlos und unbeachtlich! Das Konzept ist grandios. Die "Ghost" und der schwebende Gero hätten der genrekompatiblen Zutaten nicht bedurft.

DIETRICH KUHLBRODT

"Elbe", Regie: Marco Mittelstaedt. Mit Henning Peker, Tom Jahn, Steffi Kühnert, Gabriela Maria Schmeide. D 2006, 86 Min.

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