Grunzende Saxophone

Das verregnete 36. Jazzfestival in Moers war ein Erfolg. Zuhörer rasteten kollektiv aus. Doch jetzt gibt es Konkurrenz. Ex-Chef Burkhard Hennen kündigte für August ein neues dreitägiges Festival an

Wohl dem, der die Warnung der Veranstalter, Ohrenstöpsel zu benutzen, ignorierte

VON HOLGER PAULER

Eine Hommage an die niederländische Postpunk-Band „The Ex“ weckte das Moerser Publikum aus der Regendepression. „State of Shock“, irgendwo zwischen Metal und Hardcorefreejazz, dargeboten vom Doppeltrio „Zu & The Thing“, sprengte die musikalischen Grenzen des Moers Festivals. Es war die Essenz eines gnadenlos gewalttätigen Auftritts. Die Baritonsaxofone von Mats Gustafsson und Luca T. Mai grunzten und quietschten und erreichten dabei ihre Leistungsgrenze. Die Bässe von Massimo Pupillo (E-Bass) und Ingebrigt Haker Flaten (Kontrabass) überboten sich und die Schlagzeuger Jacopo Battaglia und Paal Nilssen-Love verdichteten den energetischen Klangteppich zum Orkan. Die Zuhörer rasteten kollektiv aus. Wohl dem, der die Warnung der Veranstalter Ohrenstöpsel zu benutzen ignorierte.

Überhaupt meinten es die Moderatoren des 36. Jazz-Festivals etwas zu gut mit ihrer Fürsorge. So wurden Kinder vor dem Auftritt des japanischen Noiese-Duos Merzbow (Elektronics) und Keiji Haino (Gitarre) vorsorglich in den Regen geschickt, um nachhaltige Ohrenschmerzen zu vermeiden. Während der Nachwuchs draußen lautstark um Einlass begehrte, genossen die Eltern entspannt zurückgelehnt die Performance. Nach 20 Jahren haben sich die Ohren an derartige Klänge längst gewöhnt.

11.000 Besucher (1.000 mehr als vor einem Jahr) sorgten dafür, dass das Festival als erfolgreich gelten darf. Samstag und Sonntag war das 2.500 Personen fassende Zirkuszelt sogar aus verkauft – trotz des miesen Wetters. Der Herner Klarinettist Eckard Koltermann lieferte mit seinem wunderbar eingespielten Sextett den passenden Soundtrack: „Anthrazit“ leuchtete der Himmel über dem Freizeitpark.

„Die Stimmung war trotzdem gut“, zeigte sich der künstlerische Leiter Reiner Michalke erleichtert. Vor zwei Jahren hatte er die Nachfolge des Festival-Gründers Burkhard Hennen angetreten. Das Programm wurde seitdem leicht modifiziert. Weltmusik ist kaum noch zu hören, stattdessen rauschen vermehrt elektronische Klänge durch den Freizeitpark. Auch wenn die Qualität der Konzerte sehr wankte – der Freitag litt unter der viel zu leisen Abmischung – scheint Michalke in Moers angekommen zu sein. „Es gibt nur wenige, die ein solches Festival erfolgreich durchführen können. Reiner Michalke hat es geschafft“, sagte der Moerser Bürgermeister Norbert Ballhaus (SPD) am Sonntag. Es sei nicht leicht gewesen, als die Zeit Hennens zu Ende ging.

Ein Musiker, der die Anfangsjahre des Festivals wie kein anderer prägte, ist Anthony Braxton. Zwischen 1974 und 1978 gehörte der Saxofonist und Komponist zu den Dauergästen auf den Moerser Bühnen. Am Samstagabend feierte der 62-Jährige mit einem neuen Sextett sein Moers-Comeback. Victoriaville, Buenos Aires und eben Moers heißen die Stationen seiner kleinen Welttournee. Sein Auftritt zwischen dem coolen Noisepop von Cornelius (Japan) Steven Bernstein‘s angnehm swingenden Millennial Territory Orchestra hätte verstörend wirken können. Stattdessen fesselten Braxton und Co. die Zuhörer mit einem 60-minütigen Piece of Music, das zwischen freier Improvisation und zeitgenössischer Komposition kreiste und dem Solisten Braxton genug Raum für seine Ausflüge ließ. Das Publikum holte den gerührten Künstler mehrmals zurück auf die Bühne. Es herrschte Dankbarkeit auf beiden Seiten.

Das 37. Moers Festival wird vom 9. bis 12. Mai 2008 stattfinden. Doch die Jazzfans am Niederrhein müssen nicht so lange warten. Ex-Moerschef Burkhard Hennen kündigte am Pfingstmontag an, bereits im August im Spargeldorf Walbeck ein dreitägiges Festival zu starten. Der Titel der Veranstaltung: „Offside Open“. Die Location ist ein Waldfreibad im niederrheinisch-niederländischen Grenzgebiet. Gastgeber sind die Kommunen Straelen und Geldern und auf holländischer Seite Arcen. Headliner ist das 40-köpfige, Moers-erprobte „Shibuza Shirazu Orchestra“, das mit der Welturaufführung seines neuen Programms nach Walbeck kommt. Zum weiteren Programm schwieg Hennen. „Zehn Acts stehen fest, der Rest steht kurz vor der Unterschrift“, so Hennen. Mindestens 22 Konzerte werde es auf der Hauptbühne geben. Die Tickets gibt es ab heute unter www.offsideopen.com. Mal sehen, ob der linke Niederrhein zwei Festivals ähnlicher Sorte verträgt. Verdient hätte es der „state of jazz“.