Ein großer Teller Mytheneintopf

In „Valley of Flowers“ versucht Pan Nalin tausendundeine Geschichte zu stopfen – und stößt dabei an seine Grenzen

Woran erkennt man einen Dämonen? Er hat keinen Bauchnabel, denn er wurde von keiner menschlichen Frau geboren! Die schöne Ushna hat solch einen ungelöcherten Bauch, aber das hält den romantisch wilden Banditen Jalan nicht davon ab, ihr in unsterblicher Liebe zu verfallen. Die beiden suchen das Rezept für die ewige Zweisamkeit im paradiesischen Tal der Blumen. Dafür stehlen sie unschuldigen Kindern ihre Schatten und einem schwebenden Fakir sein Spiegelbild. Ein weiserYeti jagt sie, um sie zu warnen, doch im Tal der Stille glauben sie, das Mittel für ihr immerwährendes Glück gefunden zu haben. Aber sie wird als Dämon durch den Trank menschlich, stirbt und wird wiedergeboren, während er als der ewige Wanderer durch die Zeiten ziehen muss.

Mehr Märchenelemente und Mythen kann man kaum in einer Geschichte unterbringen: Wir haben hier buddhistische Dämonen, Liebe über den Tod hinaus, die Suche nach Shangri-La, die Motive vom gestohlenen Schatten und Spiegelbild, die mystischen Fähigkeiten der Fakire, den ewigen Wanderer, Reinkarnation und das Geheimnis des Schneemenschen. Der Regisseur Pan Nalin will unbedingt tausendundeine Geschichten in einer erzählen. Die meisten Motive werden nur schnell vorgeführt und haben kaum emotionelle Wirkung. So erfährt man weder, was die beiden Liebenden mit den gestohlenen Schatten machen, noch wie es ihren Opfern ohne sie ergeht. Und weil alles in seinem Film so husch, husch gehen muss, wird auch die Liebe zwischen Jalan und Ushna nicht gezeigt, sondern nur behauptet. Dabei fängt „Valley of Flowers“ vielversprechend an. Als würde er einen tibetanischen Sergio-Leone-Film drehen, zeigt Nalin, wie Jalan und seine Bande in einem Hochtal des Himalajas mit ihrer Herde vorbeiziehende Nomaden überfallen. Die Landschaft ist imposant fotografiert, die Kamera zeigt die ausdrucksstarken Gesichter der Banditen in Nahaufnahme – all das kann der Filmemacher. Atmosphärisch versetzt er das Publikum in das Tibet des 19. Jahrhunderts, aber der Schnitt ist so unbeholfen, dass der Film nie seinen eigenen Rhythmus bekommt.

Da wird nicht erzählt, sondern ausgestellt, und der in Indien geborene Nalin hat die deutsch-französisch-indische Koproduktion zwar für ein westliches Publikum gemacht, aber ihm fehlt das Gefühl dafür, wann sein esoterischer Pathos unfreiwillig komisch wird. So kann er seinen Zuschauern einen alten Mann mit zotteligen weißen Haaren nicht einfach so als den Yeti verkaufen, und wenn sich Ushna beklagt, sie habe fünf Inkarnationen hinter sich und „könne jetzt nicht mehr“, fragt man sich unwillkürlich, auf welchen heiligen Texten diese banale Dialogstelle basiert. Der ganze letzte Akt, in dem sich die beiden Liebenden im Japan von heute wiedertreffen, wird durch einen Nebenplot, in dem über das Für und Wider der Sterbehilfe gestritten wird, noch heilloser überfrachtet, aber auch optisch stößt der Filmemacher hier an seine Grenzen. In seinen vorherigen Filmen „Ayurveda“ und „Samsara“ hat er immer archaische Landschaften gefeiert, aber in einer modernen Großstadt findet er nur Klischees. Und hier weiß er nicht einmal mehr, wie er seine Protagonisten fotografieren sollte. Mylene Jampanoi, die Darstellerin der Ushna, ist wunderschön, doch leider hat sie extrem hagere Beine. Im Himalaja waren diese immer in Hosen versteckt, aber in Japan muss Nalin sie unbedingt in ein kurzes Kleid stecken und ihre Eleganz mit einer langen halbnahen Einstellung zerstören. Das ist eine grausamere Strafe für sie als die fünf Inkarnationen. Wilfried Hippen