Jobmotor Ökobranche

Die Umwelttechniken sind keine Nischentechnologie: In zwei Jahren sollen die Beschäftigtenzahlen um 13 Prozent steigen – auf weit über 1 Million

AUS BERLIN BEATE WILLMS

Jahrzehntelang hat sich die Frage nach der deutschen Schlüsselindustrie erübrigt. Deutschland war immer das Land der Auto- und Maschinenbauer. Dann kam irgendwann die Elektrotechnik und noch weiter hinten die Softwareindustrie. Heute stimmt das gerade noch – aber nicht mehr lange. Denn die Leitbranche der Zukunft ist die Umwelttechnologie. Das ist das Ergebnis einer Studie, die die Unternehmensberatung Roland Berger dem Bundesumweltministerium erstellte. Angesichts von Ressourcenknappheit und Erderwärmung stehe dem Markt für Umweltgüter ein Nachfrageboom bevor, heißt es dort. Bis 2030 soll sich der Anteil der Umwelttechnik an der gesamten deutschen Industrieproduktion vervierfachen –auf 16 Prozent.

Für Sigmar Gabriel, der die Studie in einem Umwelttechnologie-Atlas für Deutschland verwertet hat, war die gestrige Vorstellung die Erfolgsmeldung schlechthin. Schließlich ist der sozialdemokratische Bundesumweltminister vor allem mit dem Ziel angetreten, Ökonomie und Umwelt zu versöhnen. Mit den neuen Zahlen dürfte er zumindest auf der einen Seite weiterkommen – nämlich der Wirtschaft die Ökologie schmackhaft zu machen. So ist der Atlas denn auch in einer Sprache geschrieben, die in den Vorstandsetagen verstanden wird: Die Rede ist von Wachstumsraten, Exportchancen und Weltmarktführerschaft.

Als Leitmärkte identifizierte Gabriel sechs Bereiche: Energie- und Rohstoffeffizienz, nachhaltige Wasserwirtschaft, Mobilität, Energieerzeugung sowie Kreislaufwirtschaft. Hier halten die deutschen Unternehmen derzeit zwischen 5 und 30 Prozent der Weltmärkte. Besonders stark sind sie in „Schlüsselverfahren zur Trennung und Verwertung von Abfall“ – und natürlich bei der umweltfreundlichen Energieerzeugung. Denn hier haben die Unternehmen vom Erneuerbare-Energien-Gesetz profitiert, mit dem der Bund eine degressive Anschubfinanzierung leistet. Es garantiert Ökostrom-Produzenten feste Vergütungen.

Schon von 2004 bis 2006 konnten die befragten Unternehmen ihren Umsatz um 11 bis 30 Prozent steigern, von 2007 bis 2009 wird sich dieser Trend fortsetzen. Das schafft auch Arbeitsplätze: Im Schnitt wollen die Unternehmen bis 2009 13 Prozent mehr Mitarbeiter beschäftigen. Derzeit kommt die Branche auf rund 1 Million Jobs. „Die Potenziale sind da“, so Gabriel. Das Weltmarktvolumen von heute 1.000 Milliarden Euro werde sich „in den nächsten Jahren verdoppeln“. So müsse etwa die Türkei allein in der Wasserwirtschaft 70 Milliarden Euro investieren, wenn sie EU-Standards genügen will.

Gabriels Engagement stößt auch bei Umweltverbänden auf Zustimmung. „Wir brauchen diese Technologien, wenn wir im Umweltschutz weiterkommen wollen“, sagte Thorben Becker vom Bund für Umwelt und Naturschutz. Allerdings dürfe Gabriel nicht glauben, die Förderung von Umwelttechnik ersetze Umweltpolitik. „Es nützt dem Klima nichts, wenn es Kraft-Wärme-Kopplung gibt, aber immer noch Kraftwerke für dreckige Rohstoffe wie Kohle und mit der Technik von vorgestern gebaut werden.“ Problematisch sei auch die Exportorientierung: „Gerade beim Klimaschutz müsste es eigentlich einen Wissenstransfer in arme Länder geben.“ Damit würden die deutschen Unternehmen aber einen Teil ihres Wettbewerbsvorteils verlieren.