Wiedersehen mit den Pimpfen

Die am 2. Dezember 1952 in Wilhelmshaven gegründete Wiking-Jugend (WJ) galt als die älteste und zahlenmäßig stärkste rechtsextremistische Jugendorganisation Deutschlands. Bis zu ihrem Verbot 1994 zählte die in Gebräuchen und Symbolen an die Hitlerjugend (HJ) anknüpfende Organisation rund 400 zumeist erwachsene Mitglieder.

Ausgangsorganisation der streng nach dem Führerprinzip ausgerichteten WJ war die „Reichsjugend“, die Nachwuchsorganisation der 1952 verbotenen Sozialistischen Reichspartei (SRP). In ihrer Zeitschrift „Wikinger“ sowie bei Zeltlagern und Wochenendfahrten mit paramilitärischen Geländespielen propagierte die in „Gaue“ und „Horste“ gegliederte Organisation eine rassistisch geprägte „Nordland“-Ideologie. Im Mittelpunkt der Aktivitäten standen jährlich über Pfingsten ausgerichtete „Tage volkstreuer Jugend“ im niedersächsischen Hetendorf, das nicht weit von Eschede entfernt ist.

von ANDREA RÖPKE
UND ANDREAS SPEIT

Holprig führt die Schotterstrecke gut eineinhalb Kilometer zu dem Anwesen in der niedersächsischen Südheide. Einsam taucht am Ende der Stichstraße der Resthof auf. Ein Haus, eine Scheune bilden das Anwesen des Landwirts Joachim Nahtz. Der Bauernhof wirkt etwas heruntergekommen. Doch es ist alles andere als einsam an diesem Pfingstwochenende hier am Ortsrand von Eschede, der Grund ist sofort zu erkennen. Im Morgenwind flattern zwei Flaggen: eine große Reichskriegsfahne wie sonst auch und jetzt an Pfingsten die Fahne der „Heimattreuen Deutschen Jugend – Bund zum Schutz für Umwelt, Mitwelt und Heimat e. V.“, kurz HDJ: eine rote Flamme auf schwarz-weißem Grund.

„Der Heimat und dem Volk treu“, steht auf dem aus rohen Stämmen gezimmerten Holztor, das in das Zeltlager auf Nahtz’ Wiese führt. Das Gelände hat schon einige Sonnwendfeiern erlebt, im Sommer wie im Winter. Im Dezember 2000 löste die Polizei ein entsprechendes Fest auf. Heute an Pfingsten belassen es die Beamten beim Beobachten.

Zwischen den weißen Jurte-Zelten laufen viele Kinder und Jugendliche herum. Die Jungen tragen kurze Hosen, die Mädchen Zöpfe. Die übliche HDJ-Kluft ist nicht zu sehen. „Wir haben die Uniformierung untersagt“, erklärt ein Polizeisprecher. Die besteht aus blauen Hemden und Knickerbockern für die Jungen, weißen Blusen und bodenlangen blauen Röcken für die Mädchen. Die Beamten stehen an der Zufahrt in Eschede, um zu kontrollieren, ob das Verbot auch eingehalten wird. Denn die HDJ kann getrost als rechtsextremistischer Verein für Kinder und Jugendliche bezeichnet werden. Unter der Führung von Sebastian Räbiger will er seit Jahren mit Fahrten und Zeltlagern bei Kindern und Jugendlichen von 7 bis 25 eine „heimat- und volksbewusste Einstellung“ verankern. So heißt es auf der Website der HDJ, geschmückt mit Lagerromantikbildern von glücklichen Kindern.

Es gab schon einmal eine Organisation, die sich die rechte Erziehung auf die Fahnen geschrieben hatte. Die Wiking-Jugend (WJ), die im November 1994 „wegen ihrer Wesensverwandtschaft mit der NSDAP und der Hitler-Jugend“ vom damaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther verboten worden war. Auf dem Zeltlager am Finkenberg aber sind einige Protagonisten der alten Gruppe wieder dabei. Bundesführer Räbiger, der gewichtigen Schritts durch die Zeltreihen läuft, hieß bei der Wiking-Jugend einmal Gauführer Sachsen. Außerdem sind in der HDJ auch der Ex-WJ-„Gauführer Westfalen“ Gerd Ulrich und Ex-WJ-„Gauführer Franken“ Dirk Nahrath sehr engagiert. Auf dem Pfingstlager zu Besuch hingegen ist aber Manfred Börm, zu Wiking-Jugend-Zeiten „Gauführer Nordmark“ und heute Leiter des berüchtigten Ordnerdienstes der NPD. Daneben tummeln sich auf Nahtz’ Gelände auch NPD-Mitarbeiter der Fraktion in Mecklenburg-Vorpommern wie Torgaj Klingebiel, Michael Gielnik und Jörg Hähnel. Für sie ist der Bauer ein alter Bekannter. Nahtz trug eine Zeit lang wechselweise das Parteibuch der „Republikaner“ und der NPD in der Tasche, zuletzt kandidierte er 2005 für die NPD bei der Kommunalwahl.

Appelle und Gewaltmärsche

Hier in der Südheide dürfen Räbiger, Nahtz und Co. ziemlich ungestört Kinder und Jugendliche schulen. Beliebte Fächer auf HDJ-Lagern sind Menschenführung, Rhetorik und Lagersicherheit. Alles sieht auf den ersten Blick wie ein Pfadfinderlager aus, aber bei der HDJ geht es um mehr als „Jeden Tag eine gute Tat“. Die Kinder und Jugendlichen werden in eine völkisch-nationale Parallelwelt eingeführt: Jeder Tag beginnt mit einem Appell. Schließlich will die HDJ der Jugend „ein Leben mit Tradition und Werten“ für ein „unabhängiges Deutschland“ anhand von „körperlichen und geistiger Lebensführung“ beibringen. Tanja P. weiß aus eigener Erfahrung: „Die Kinder werden dort vorbereitet auf den zu erwartenden Straßenkampf, auf Demonstrationen.“ Die Aussteigerin war einst selbst bei der Wiking-Jugend aktiv und hat zwei ihrer fünf Kinder zur HDJ geschickt.

Die Männer, die den Nachwuchs in Empfang nehmen, sind der Polizei bestens bekannt. Gegen Sebastian Räbiger ermittelt derzeit die Potsdamer Staatsanwaltschaft wegen Verdachts auf Körperverletzung. Der Bundesführer soll während eines HDJ-Treffens mit anderen Kameraden Journalisten angegriffen haben. Neben ihm sind bei Spiel und Drill auf dem Finkenberger Pfingstlager auch Christian Fischer und Christian von Velsen zu sehen. Die Polizei hat erst vor wenigen Wochen am 26. April deren Wohnungen durchsucht. Gegen die beiden und 24 weitere Neonazis in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ermittelt die Staatsanwaltschaft Osnabrück: wegen Verdachts auf Bildung bewaffneter Gruppen. Mehre Waffen wurden sichergestellt. Auslöser des Einsatzes: der Zufallsfund bei einer vorhergehenden Razzia, wo Bilder von einem „paramilitärischen Sommercamp“ in Wilsum auftauchten. Sie zeigten auch Scheinhinrichtungen (taz berichtete).

„Mein Glaube ist der Kampf“ gilt als eine der Parolen der HDJ. Gerne würden sie auch die Odalsrune nutzen. Zwei Jahre stritten sie juristisch ohne Erfolg um das Abzeichen, das schon WJ und Hitler-Jugend zur Erkennung diente. „Eltern, die früher selbst einmal bei uns gewesen sind, schicken heute ihre Kinder“, wirbt die HDJ auf ihrer Website. Im Vereinsmagazin Funkenflug legte der erste Bundesführer Alexander Scholz ihre Ziele dar: „Wir verpflichten uns Deutschland, indem wir geistige und körperliche Wehrhaftigkeit ausbilden.“ Im Funkenflug meinte auch Räbiger: „Wir brauchen Kämpfer von fanatischer Besessenheit und zäher Ausdauer.“ Auf der HDJ-Website wird gewarnt: „Eltern aufgepasst“: Die Kinder würden zu „multikulturell denkenden ‚Weltbürgern‘ geformt“. Ihr Gegenprogramm auf den Zeltlagern: Strammstehen, Frühsport und Gewaltmärsche mit Gepäck.

Parallelen zur Wiking-Jugend

Auf der Wiese am Waldrand in Eschede üben Jugendliche Speerwerfen. Auch zum Training fürs Kugelstoßen liegt alles bereit. Es wird getanzt und gesungen. Appelle mit Trompeten gibt es auch. „Schon recht militärisch“, meint ein Polizist, der das Lager aus Distanz beobachtet. So militärisch, wie es auch oft bei der Wiking-Jugend zuging. Vieles auf dem HDJ-Pfingstlager, Ablauf und Angebote, erinnern an WJ-Treffen. Bis zu ihrem Verbot richtete die WJ Lager mit Fahnenappell, Märschen und Wehrsportübungen aus. Solche Erinnerungen will die HDJ offiziell nicht wecken. Hat doch das Bundesinnenministerium ausdrücklich betont: „Es ist verboten, Ersatzorganisationen für die Wiking-Jugend zu bilden.“ Die Verfassungsschützer in Berlin und Brandenburg erwähnen seit Jahren in ihren Berichten die HDJ: „Ähnlich wie bei der (WJ) zielt das Lebensbund-Konzept der HDJ darauf ab, ein rechtsextremistisches lebensweltliches Freizeitangebot für die ganze Familie zu bieten.“

Warum ist so eine Organisation bis heute nicht verboten? Die Antwort ist so banal wie erschütternd: Die Politik debattiert seit einiger Zeit, wer für so ein Verbot eigentlich zuständig ist: Bund oder Länder? Exemplarisch dafür ist die Antwort des Innenministeriums Nordrhein-Westfalens im Herbst 2006 auf eine kleine Anfrage der Grünen: „Überschneidungen hinsichtlich der ideologischen Zielsetzung (‚völkisch-nationalistisch‘) und der Zielgruppe (‚Kinder und Jugendliche‘) zur WJ“ seien gegeben. Aber das Ministerium führt weiter aus, für eine Verbotsprüfung sei das Bundesinnenministerium zuständig, da der Verein „bundesweit tätig ist“. Das angesprochene Ministerium sieht das aber anders. „Die HDJ ist eine rechtsextreme Organisation“, sagt eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums, aber „formal“ nicht bundesweit aktiv. Dagegen spricht schon, dass die HDJ im schleswig-holsteinischen Plön eingetragen ist – übrigens mit der Registriernummer VR 672930 –, die „Bundesführung“ aber ihren Sitz in Berlin hat. Die HDJ führt außerdem mehrere „Einheiten“, die teilweise gleich mehrere Bundesländer organisatorisch abdecken. So die Einheit „Nordland“, in der Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen zusammengefasst sind. Aktivitäten gibt es nach taz-Informationen auch in Bayern, Berlin, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Thüringen. Doch außer in Berlin und Brandenburg erwähnt von den 16 Verfassungsschutzämtern nur noch das in Mecklenburg-Vorpommern die HDJ.

Für Experten liegt auf der Hand, dass die HDJ das Geschäft der WJ fortsetzt. Günther Frankenberg, Jura-Professor an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, sagt, die HDJ „sei eine Ersatzorganisation der Wiking-Jugend“. Niels Annen, SPD-Bundestagsabgeordneter und der Leiter der Projektgruppe Rechtsextremismus des Parteivorstandes, gibt ihm Recht: „Die frei zugänglichen Informationen legen in der Ideologie, Aktionsform und im Selbstverständnis eine Ähnlichkeit zur WJ mehr als nahe.“ Annen sieht dringenden Handlungsbedarf. Das Bundesinnenministerium hätte die Beobachtung längst intensivieren müssen. Gegebenenfalls müssen die Ergebnisse dann auch zu einem Verbot führen. „Ein Nachfassen scheint dringend geboten“, sagt auch Monika Lazar, Rechtsextremismus-Expertin der Grünen.

In diesem Jahr will die HDJ insgesamt über 25 Zeltlager, Seminare, Märsche und Feiern ausrichten.