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: Die Klassiker dürfen bleiben

Großreinemachen ist die Lieblingsbeschäftigung der nationalkonservativen Regierung Polens. Bei der Entrümpelung des Literaturkanons an Gymnasien ging Bildungsminister Roman Giertych allerdings ein bisschen zu radikal ans Werk. Ganz im Sinne des „Patriotismus Morgen“-Programms an polnischen Schulen warf er die Werke der Weltliteratur in die Tonne: Goethe, Kafka, Dostojewski, Joseph Conrad und Witold Gombrowicz. Klassiker wie „Faust“, „Der Prozess“ oder „Schuld und Sühne“ müssten polnische Jugendliche nicht kennen, befand der Minister. Künftig sollten sie christliche Erbauungsliteratur wie „Onkel Karol. Priesterjahre eines Papstes“ oder „Erinnerung und Identität“ von Papst Johannes Paul II. lesen.

„Wenn das ein Witz gewesen sein sollte, dann jedenfalls kein guter“, ärgerte sich Regierungschef Jaroslaw Kaczynski öffentlich über seinen Stellvertreter und sprach ein Machtwort: „Die Klassiker bleiben!“ Eine Woche hatte es gedauert, bis er sich endlich zu diesem Ordnungsruf durchrang. Giertych ist Vorsitzender der rechtsklerikalen Liga der polnischen Familien (LPR). Um seine nationalistischen Wähler bei der Stange zu halten, lässt ihm Kaczynski von der nationalkonservativen Recht und Gerechtigkeit (PiS) manch kurios-krude Entscheidung durchgehen.

Doch immerhin: Durch das Machtwort des Regierungschefs bleiben Polens Schülerinnen und Schülern nun die drei Romane Jan Dobraczynskis erspart und damit auch die „große Ladung Patriotismus und christlicher Werte“, durch die sich laut Giertych die Werke des drittklassigen Schriftstellers und Nationalisten „auszeichneten“. Protestiert gegen den literarisch-kulturellen Kahlschlag hatten nicht nur der polnische PEN-Club, Lehrer, Eltern und Schüler, sondern auch zahlreiche Intellektuelle. Sie fühlten sich an die Zensur in kommunistischen Zeiten erinnert. Statt kritischen Denkens war schon damals „polnischer Patriotismus“ gefördert worden. Gombrowicz, das Enfant terrible der literarischen Moderne Polens, stand lange Jahre auf dem Index. Nun also wieder? Sollten Polens Jugendliche von dem Freigeist ferngehalten werden, der den Opfermythos in der polnischen Literatur in Frage stellte, den Henryk Sienkiewicz in seinen Werken mitbegründet hatte? Das ging dann sogar dem Kulturminister Kazimierz Ujazdowski zu weit. „In Polens Schulunterricht“, befand er, „muss für beide Autoren Platz sein: für Sienkiewicz und für Gombrowicz, für ‚Die Kreuzritter‘ und ‚Transatlantik‘.“

Während Intellektuelle, Jugendliche, Lehrer und Eltern aufatmen, stimmt Roman Giertych das große Verlierergeheul an: „Das ist schon die zehnte Medienhetze gegen mich. Und der Koalitionspartner zeigt kein bisschen Loyalität mit mir.“

GABRIELE LESSER