documenta, reis etc.
: Lose oder im Kochbeutel

Knapp zehn Tage vor Beginn der documenta 12 wird hinter der neuen Lust an der Hortikultur konzeptionelle Strenge deutlich. Nichts scheint an den derzeit sichtbaren Anordnungen zufällig, nicht das Gewächshaus in der Karlsaue, nicht das Mohnfeld vor dem Fridericianum, nicht die Reisterrassen am Steilhang unterhalb des Wilhelmshöher Schlosses.

Bewusst pflegt die documenta 12 die Reminiszenz an ihre Ursprünge als kulturelles Rahmenprogramm der Bundesgartenschau 1955, insgeheim aber scheint sie den Kasseler Ausstellungsbetriebs hintersinnig ironisieren zu wollen. Möglich wäre natürlich auch, dass Roger M. Buergel sich in der emblematischen Rolle des ordnungsstiftenden Gärtners sieht, der Gutes sät und Geduld verlangt, bis vor den Augen der lästernden Philister die Saat aufgeht. An ihnen wird es nicht mangeln, ist doch nach dem Stand der Dinge nicht abzusehen, wann – und ob überhaupt – der Mohn auf dem Friedrichsplatz aufgeht.

Die Natur folgt ihren eigenen Gesetzen – vielleicht gehört auch das zum Lernprogramm dieser documenta, die sich ja nichts Geringeres als die „ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts“ zum Ziel gesetzt hat. Kunsttheoretisch wäre es kein Problem, sich aus dem Dilemma herauszuwinden. Die Konzeptkunst – und im erweiterten Sinne dürfte dieser Begriff anwendbar sein – hat sich nie sonderlich um die Verwirklichung ihrer Ideen geschert. Die Ausführung war nicht mehr als bloßes Handwerk. Das hatte man bei Leonardo da Vinci gelernt.

Von Leonardo wissen die Männer vermutlich nicht viel, die derzeit in Mini-Schaufelbaggern den Steilhang unterhalb des Wilhelmshöher Schlosses in ein terrassenförmiges Reisfeld umpflügen, im Auftrag des thailändischen Künstlers Sakarin Krue-On. Der lehrt an der Universität in Bangkok und interessiert sich wahrscheinlich wenig für das, was nordhessische Baggerführer nach Feierabend zu Hause erzählen. Ob es ihnen Leid tut, die blühende Sommerwiese niederzuwalzen. Ob sie Angst haben, dass der Hang abrutscht oder ein Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg hochgeht. Da fielen ja die Fliegerbomben ohne Ende runter, weshalb die besorgte Kommune nun den Kampfmittelsuchdienst auf das Gelände beordern musste. Flugs erklärte der Künstler sein multikulturelles Reisfeld zum Anti-Kriegs-Kunstwerk und ließ die gefährlichsten Stellen aussparen – als terra incognita.

Sakarin Krue-On will die Setzlinge aus dem Gewächshaus selbst pflanzen, nicht allein, aber gebückt, wie es in Thailand nicht anders geht. Ob die Pflänzchen den klimatischen Verhältnissen Europas überhaupt gewachsen sind, ist ungewiss. Gewiss ist: Geerntet wird hier nichts. Nicht grundlos kauft man Reis hier lose oder im Kochbeutel, nicht aber beim Erzeuger. – Die Saat muss also in den Köpfen aufgehen.

ILONA LEHNART