Angela Merkels rosa Brille

Den „Fortschritt“ beim Klima-Kompromiss sieht wohl nur die Bundeskanzlerin selbst. Ihre eigenen Ziele erreicht sie nicht. Und erst recht nicht das, was erforderlich wäre

Im Grunde ging es gestern in Heiligendamm beim Klimaschutz nur um ein paar Ziffern und Sätze. Doch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) musste hartnäckiger arbeiten denn je. Brauchte sie doch Formulierungen, mit denen sie den G-8-Gipfel im Kampf gegen die Erderwärmung als Erfolg verkaufen kann. Zumindest sie war dann mit dem Ergebnis zufrieden. „Ich kann mit dem Kompromiss sehr, sehr gut leben“, verkündete sie am Nachmittag. „Er ist ein sehr, sehr großer Fortschritt.“

Merkels neue Formel für die Abschlusserklärung lautet nun: Alle G-8-Staaten „ziehen ernsthaft in Betracht“, ihre Kohlendioxid-Emissionen bis 2050 zu halbieren. Verbindlichkeit hört sich anders an. Klare Vorgaben hatte US-Präsident George W. Bush bis zum Schluss blockiert. Er ließ sich nicht überzeugen.

Dabei hatte Merkel alle Register gezogen und sogar die Tagesordnung umgeworfen. Eigentlich wollte der exklusive Club erst gestern Nachmittag über das Klima reden. Merkel zog das Thema aber auf den Morgen vor und spannte noch mehrere Helfer ein: die europäischen Kollegen Tony Blair, Nicolas Sarkozy und Romano Prodi. Alles vergeblich: Bush ließ sich nicht vom Sinn ambitionierterer Klimaziele überzeugen. Lag es vielleicht daran, dass die Unterstützung durch die Umweltschützer nicht so klappte wie geplant? Greenpeace-Aktivisten hatten sich mit Schlauchbooten in die Sperrzone vor der Küste in Heiligendamm durchgeschmuggelt. Sie wollten den Staats- und Regierungschefs eine Petition überreichen – mit einem Aufruf zum Klimaschutz. Sie blieben im Sicherheitsnetz hängen. Es gab drei Verletzte.

Die abgeschirmten Staatslenker erhielten lediglich einen anderen Brief, der von 50 Chefs internationaler Nichtregierungsorganisationen unterzeichnet war und wesentlich unspektakulärer übermittelt wurde. Darin schlugen sie „Dear Chancellor Merkel“ für die Abschlusserklärung Sätze wie diese vor: „Die globale Erderwärmung muss so weit unter 2 Grad Celsius gehalten werden wie möglich.“ Oder: „Globale Treibhausgasemissionen müssen bis 2050 mindestens 50 Prozent unter dem 1990-er Level liegen.“ Außerdem sollten die G 8 beschließen, den Ausstoß von Kohlendioxid zu verteuern, indem weltweit Emissionspreise eingeführt würden.

Das Problem: Neu waren diese Ideen nicht. Merkel kannte sie längst. Sie hatten aber nur die ersten Entwürfe für das Schlussdokument überlebt. Die USA hatten diese Passagen schon bei den Vorbereitungen zum Gipfel herausgestrichen. Trotzdem machten die Umweltschützer gestern noch in Zweckoptimismus, dass die G 8 ihre Vorschläge aufnehmen. Bis zum Nachmittag.

Hans Verolme, der Direktor des Internationalen WWF-Klimaprogramms, hat den Brief an Merkel mit unterzeichnet. Er sagte: „Der Klimawandel ist nicht zu debattieren.“ Die Wissenselite sei sich längst einig. Wer die Folgen des irdischen Grillfestes noch in den Griff kriegen wolle, müsse das Zwei-Grad-Ziel einhalten. Und meinte: „Bush ist isoliert.“ Ganz stimmte auch das schon nicht, denn Japan und Kanada waren und sind sich mit den USA einig. Aber Verolme hatte noch ein Argument: „Merkel ist beim Klimaschutz eine harte Verhandlerin.“ Das habe sie „schon bewiesen“ – 1995 beim Weltklimagipfel in Berlin, der das Kioto-Protokoll vorbereitete. Das läuft 2012 schon wieder aus – und soll im Dezember in Bali neu verhandelt werden.

Merkel sagte gestern, alle Staaten hätten versprochen, die Konferenz in Bali vorzubereiten. Dass die USA ein international verbindliches Klimaprotokoll anerkennen, heißt das nicht.

HANNA GERSMANN