Monster-Augen

Jonathan Lethem nimmt die Indie-Musik sehr ernst. Heraus kommt der neue Roman „Du liebst mich, du liebst mich nicht“

VON MAIK SÖHLER

Leicht oder seicht? Diese Frage drängt sich nach nur wenigen Seiten von Jonathan Lethems neuem Roman „Du liebst mich, du liebst mich nicht“ auf. Für Lethems vorangegangene Bücher kann man sie problemlos beantworten. Der Roman „Die Festung der Einsamkeit“ und der Storyband „Menschen und Superhelden“ formten schwierige Stoffe wie Rassismus, Chancenungleichheit und diverse Formen individuellen Scheiterns mit großer, souveräner Leichtigkeit.

Diesmal ist es schwieriger, denn es sind gleich zwei Themen, die schnell einen Seichtigkeitsverdacht wecken: Liebe und Rockmusik. Vor allem ihre Kombination hat zuletzt schon so manchen Roman abstürzen lassen. Zahlreiche literarisierte Musik-Roadnovels, die von der Suche nach Erfolg, Glück und Liebe erzählen und oft zum Ergebnis kommen, dass alles zusammen nicht geht, sind in den vergangenen Jahren erschienen. Richtig gut war leider keins von ihnen.

Lethem nähert sich dem Ganzen zum Glück von einer anderen Seite. Er nimmt die Musik mindestens so ernst, wie es einst Peter Glaser in seinem Text „Rawums“ tat. Dessen legendärer Satz: „Das beste Buch des Jahres 81 war eine Platte: ‚Monarchie und Alltag‘ von Fehlfarben“ steht unsichtbar zwischen all dem teils unfassbaren Ernst, mit dem sich Lethem diesmal der Independent-Musikszene zuwendet. Über den Song „Monster eyes“, der eine bis dahin unbekannte und namenlose Band in Los Angeles beinahe zum großen Erfolg führen wird, heißt es etwa: „Der Sound war dynamisch, unheimlich, vorsprachlich, Bass und Schlagzeug wie die Rudimente des Lebens selbst, Behauptung und Widerspruch.“

Diese literarische Durchdringung eines kulturellen Alltagsphänomens ist typisch für Lethem. In „Die Festung der Einsamkeit“ war es die Welt der Sprayer, in „Menschen und Superhelden“ die der Comics, die der Autor künstlerisch bearbeitete. Man merkt Lethem an, dass er von der Leidenschaft fasziniert ist, die vom Sprayen, von Comics oder von Indie-Musik ausgeht. Und von der Obsession derer, die da gerade am Werk sind. Ihnen gibt er Platz in seiner Literatur, nein: Platz ist ein zu statischer Begriff. Es geht um Raum, in dem sich die Figuren entfalten können.

Seine Figuren, das sind im neuen Roman die Bandmitglieder Lucinda (am Bass), ihr (Ex-)Freund Matthew als Sänger, der Texter und Gitarrist Bedwin und die Schlagzeugerin Denise. Hinzu kommen noch der Nörgler Carl, ein depressives Känguru sowie einige Leute aus dem Kultur- und Musikmanagement, die man getrost vernachlässigen kann. Lethem macht das auch, indem er sie zu bloßen Charaktermasken degradiert.

Um das Verhältnis der Bandmitglieder zueinander dreht sich alles, zumal es sich in kurzer Zeit immer wieder neu verschiebt. Zum einen können Lucinda und Matthew weder mit- noch ohne einander, zum anderen drängt sich Carl, den die Bassistin kennenlernt, als sie bei einer Nörgelhotline arbeitet, in dieses Gefüge. Bestimmte Passagen aus Carls Telefongenörgel inspirieren Lucinda zu Ideen für neue Songs. Texter Bedwin, der gerade unter einer Schreibblockade leidet, nimmt die Ideen gerne an.

„Das Glück war ungehorsam, folgte seinen eigenen Gesetzen“, sagt Lucinda an einer Stelle und beschreibt damit treffend die Situation der Band. „Monster eyes“, ein neuer Song, der auf eine Einflüsterung Carls zurückgeht, ist kurz davor, in L. A. zum musikalischen Geheimtipp zu avancieren. Lethem schreibt: „Diese Band hat was. Sie hat den Charme einer Gemeinschaft, die sich nicht verträgt und dennoch nach außen geschlossen bleibt.“ Doch angesichts des nahenden Erfolges will Carl nun unbedingt in die Band integriert werden. Die Folge ist, dass nur das Pech gehorsam ist.

Ohne literarische Muster geht es nicht. Lethem variiert in diesem Roman nebenbei und spielerisch Shakespeares „Sommernachtstraum“ mit all seinen Liebesirrungen und -wirrungen. Man erkennt es schnell. Dass der Verlag im Klappentext extra darauf hinweisen zu müssen meint, ist so überflüssig wie die Nörgelhotline, bei der Lucinda arbeitet. Aber okay, einen Bedarf dafür scheint es ja zu geben, in diesem wie in jenem Fall. Und ein gutes Buch wird durch gezielte Hinweise ja auch nicht schlechter.

Nach seinem neuen Roman spannt sich Lethems bisheriges Werk vom Science-Fiction-Krimi („Der kurze Schlaf“) bis zum modernen Liebesroman auf. Es ist noch nicht sehr umfangreich, da bleibt noch Raum für weitere literarische Formen. Man ahnt, dass der Autor sich an sie heranwagen wird, und man ahnt auch, dass man selbst vermutlich wieder mal Spaß dabei haben wird.

Und? Ist das Buch nun leicht oder seicht? Lassen wir doch Lethem diese Frage selbst beantworten. Die Schlussworte Lucindas im Roman, vom Autor offensichtlich sehr bewusst gesetzt, lauten: „Es gibt keine Tiefe ohne Oberfläche.“ Besser kann man Leichtigkeit nicht umschreiben.

Jonathan Lethem: „Du liebst mich, du liebst mich nicht“. Aus dem Amerikanischen von Michael Zöllner. Tropen, Berlin 2007, 256 Seite, 19,80 Euro