Das arme Arschloch des Mannes

Ein Text, der in der Zeit nicht erscheinen durfte

VON BALTAZAR CASTOR

Schwule haben kein Patent auf Analsex, genauso wenig, wie das Gehirn noch ein Patent auf das Denken hat. Der Magen und das Rückgrat denken sehr wohl mit, genauso, wie der Arsch des Mannes im Allgemeinen nur eine Quellen konstanten Genusses ist.

Wenn man unbefangen diverse Pornofilme anschaut oder falls man sogar durch die Steinmauern der Wohnungen sehen kann, dann stößt man sicher oft auf zwei Mädchen, die sich küssen und Dinge in sich hineinschieben, ohne dass sie deshalb jemals als bi- oder homosexuell bezeichnet werden. Falls dagegen zwei Männer das Gleiche miteinander machen, dann werden die Pornofilme oder die Mentalität innerhalb der Mauern als Bi- oder Homosexualität kategorisiert. Dies kann aus dem Blickwinkel des Mannes geschehen, aber auch und gerade aus dem der Frau, denn im Grunde glaube ich nicht, dass der Mann keine Lust hat, etwas in den Arsch geschoben zu bekommen. Vielleicht hat er nur Angst, nicht verstanden zu werden. Und ich sage: So eine grobe Ungleichheit.

Die Literatur, die den Reifeprozess vom Mädchen zur Frau behandelt, umfasst viele informative Regalmeter, aber wenn man nach denselben Infos sucht, nur mit umgekehrtem Vorzeichen – vom Jungen zum Mann –, so sucht man oft vergeblich. Man ist darauf angewiesen, die Informationen in sich selbst zu suchen, in der männlichen Umgebung, oder in dem, was man nun eben auf Straßen oder Wegen liegend finden kann.

In der vorhandenen Literatur, die den Mann über seine aufblühende Sexualität aufklären soll, wurden die meisten Bücher im Hinblick auf den Mann in Relation zur Frau geschrieben. Also nicht einfach im Hinblick auf den Mann in Relation zu sich selbst als Mann. Und damit wird nicht nur dem Mann, sondern auch dem Arsch das eigene Recht abgesprochen, einfach nur er selbst zu sein, mit all seinen abgelegenen Winkeln und empfindlichen unbekannten Gefilden, in welchen der Mann ohne Gleichgültigkeiten wie schlechtes Gewissen, Schuld- oder Schamgefühle auf Entdeckungsreise gehen kann. Persönlich komme ich mittlerweile gut zurecht, dank eigener Erfahrungen, aber ich meine eben, dass man dem viel mehr Beachtung schenken sollte.

Der Arsch. Die Schlammrose. Die Liebesvertiefung

Denn im Innern des Mannes, mit dem Enddarm als Eingang, befinden sich Stellen, die, sofern sie stimuliert werden, selbst den verbissensten Gegner freigesetzter Energie dazu bringen, nachzugeben. Im Arsch des Mannes befinden sich erogene Zonen, und für viele Männer sind diese erogenen Zonen leider immer noch tabuisiert. Ob es nun der Mann selbst ist oder die Frau, die meint, es sei maßlos merkwürdig, in den Mann einzudringen, wo doch ansonsten die Frau ein Patent auf die Penetration hat, lasse ich im Ungewissen. Ich bin nur der Meinung, dass dies schwachsinnig ist.

Glücklicherweise höre ich oft von Freundinnen, dass sie problemlos mit dem Arsch ihres Mannes spielen. Übrigens verließ Fisting (die Hand in den Arsch stecken) die Lederschwulenkategorie in meinem inneren, angespannten Kopf erst, als eine Freundin mir vor einigen Jahren erzählte, dass sie ihren männlichen Geliebten fistet. Dafür bedanke ich mich. Von einer anderen Freundin, die einen Sexshop für Frauen in Kopenhagen besitzt, weiß ich, dass in den letzten Jahren der Verkauf von Anschnalldildos an heterosexuelle Paare erheblich gestiegen ist. Man kann also davon ausgehen, dass die Frau sich den Dildo anschnallt und den Mann fickt. Viel Spaß.

Ich bin der starken Überzeugung, dass alle Männer Ekstase erleben können wie nie zuvor, sofern sie nur loslassen können oder dürfen und etwas in den Arsch geschoben bekommen. Langsam und weich oder härter. Ob dies ein anderer Mann, eine Frau oder wer weiß ich macht, ist gleichgültig. Solange es nur geschieht. Dass es für einen Mann möglich ist, seine Prostata stimuliert zu bekommen – und dabei zu kommen, ohne überhaupt seinen Schwanz zu berühren –, sollte man unbedingt erleben. Ich bin der Auffassung, dass der Weg zur völligen Gleichberechtigung in der Gesellschaft durch das Arschloch des Mannes führt. Frauen sollten ihre Sichtweise auf den Mann ändern. Männer sollten dies genauso. Und falls es dies ist, was nottut, dann muss der Spiegel wieder hervorgeholt werden, aber nicht für die Frau, sondern für den nun beidseitig erlebenden Mann. Gefährlich ist das nicht, es tut nur gut.

Ich meine, dass es in Gesellschaften, in denen es keine starke Frauenbewegung gab (gilt für die meisten Länder der Erde), darum geht, dass der Mann akzeptieren muss, nicht der Einzige zu sein, der penetrieren kann (denn die Frau kann dies sehr wohl). In Gesellschaften mit starken Frauenbewegungen wie zum Beispiel in Westeuropa geht es mehr darum, dass die Frau akzeptieren muss, kein Patent auf Penetration zu haben (denn der Mann kann genau so „weich“, „passiv“ und „empfänglich“ wie die Frau sein).

Wenn ich mit vielen Frauen spreche, sagen die meisten, dass die Sexualität der Frau mit Schuld und Scham verbunden ist und dass sie dort oben an irgendeiner Stelle verborgen liegt, die man ohne Penetration einfach nicht berühren kann. Ich frage dann immer, ob einem dies als Frau nicht einfach gleichgültig sein kann. Aber das kann es eben nicht, lautet die Antwort, die ich am häufigsten höre.

Ich sage darauf: Der Mann hat ebenfalls etwas gut Verborgenes dort oben, und lass ihn bloß mit diesem Verborgenen in Gang kommen, damit neue Türen geöffnet werden können. Sowohl für die Frau als auch für den Mann und damit auch für alle anderen, die noch nicht genannt wurden. Und bei dieser Gelegenheit wünsche ich nichts davon zu hören, dass Frauen auch einen analen Orgasmus erleben können, da es eben genau darum nicht geht.

In diesem Zusammenhang sollte auch erwähnt werden, dass es viele Schwule gibt, die nie gefickt wurden – entweder weil es zu sehr wehtat, als sie es versuchten, oder weil sie nie daran dachten oder aus was weiß ich für Gründen. Glücklicherweise kenne ich aber einige Aktive (diejenigen Schwulen, die nur den Schwanz hineinschieben, aber selbst nichts hineingeschoben bekommen; man nennt sie auch „top“), die nun anfangen zu bemerken, dass es Zeit wird, selbst gefickt zu werden. Denn, wie sie allmählich merken, sitzt die Blockade nur im Gehirn und nicht im Körper.

Bevor ich meinen ersten richtigen Mann traf, hatte ich nie zuvor Fantasien gehabt, dass ich etwas hineingeschoben haben sollte – dort, wo normalweise etwas herauskommt. Aber dies war ein Teil des Ganzen, und warum sollte man sich diesen Genuss sparen? Es dauerte einige Male, bis es nicht mehr wehtat und der Körper verstand, was da passierte. Aber der Körper kann sich gut anpassen. Sehr gut sogar.

BALTAZAR CASTOR, 32, in Kopenhagen geboren, lebt in Berlin und arbeitet als Autor für die dänische Tageszeitung Information. Sein Text wurde aus dem Dänischen übersetzt von Wolfgang Zank