Isa Genzkens „Öl für Kunst“-Programm

Trotz ihres Esoterik-Mottos „mit den Sinnen denken, mit dem Geist fühlen“: Die 52. Biennale von Venedig, die am Sonntag offiziell eröffnet und die zuletzt doch vor allem ihren Ruf als eine einzige Mega-Party verteidigen konnte, ist unter dem Kurator Robert Storr erstaunlich politisch geraten

VON BENNO SCHIRRMEISTER

Ist das ein Skandal? Am Sonntag beginnt offiziell die 52. Biennale von Venedig. Und der deutsche Pavillon in den Giardini ist, nein, noch nicht weg. Aber er sieht aus, als stünde er zum Abriss: Einrüsten hat Isa Genzken ihn lassen für ihre Groß-Installation „Oil“ und komplett in ein orangenes Plastiknetz eingehüllt. Die bildet einen starken, zugleich unerwartet angenehmen Kontrast zum satten Grün der Bäume im Biennale-Park.

In Italien aber bedeutet dieses Netz, was in Deutschland die grüne Gardine besagt: Hier wird gebaut, umgestaltet, und zwar massiv. Ein Versprechen, das „Oil“ in jeder Hinsicht einlöst: Genzken, die das neoklassizistische Bauwerk wahlweise als „entsetzlich“ oder „einfach nur schrecklich“ bezeichnet, hat den Pavillon als eigenständige Gattung, als kolossalformatige Skulptur aufgefasst. Dafür respektiert sie gerade noch so eben seine Innenwände und Räume als Rahmen: Diese werden zur Freiflugfläche für Auge und Gedanken: zum Heulen schön. Wer dieses Kunstwerk betritt, sich seinen Assoziationen und Farbspielen überlässt und seine Details erwandert, der verlässt es in jedem Fall verändert.

Und ehrlich gesagt: nur äußerst ungern. Denn wozu noch etwas anderes anschauen, wenn man das Beste schon gesehen hat? Es wäre vielleicht das Beste, aber es wäre doch sehr missverständlich, jetzt einfach nur mit einer Beschreibung von „Oil“ fortzufahren. Das Gesamt-Event steht unter dem Motto „Think with the senses – feel with the mind“, also sinne mit den Sinnen und fühle per Hirn, oder auch mit dem Geist, jedenfalls legt Kurator Robert Storr damit Widerspruch gegen den Cartesianischen Dualismus ein, wobei man sich fragen darf, ob das nicht jede Kunst immer schon getan hat. Sinnvoll ist daher der Untertitel: „Art in the present tense“, also wörtlich: Kunst in der Gegenwartsform.

Das schränkt erheblich ein: Er werde keine toten alten Meister zeigen, hatte Storr vorab in Interviews versprochen. Bis auf wenige Ausnahmen hat er sich daran gehalten – wobei Sol LeWitt, mit einem Großformat in der Zentralausstellung vertreten, physisch bei Planung des Events noch gelebt hat. Und der bereits 1996 an Aids verstorbene Felix Gonzalez-Torres wird gerade in der USA-Kunstszene massiv neu entdeckt: Auch ihren Landes-Pavillon bespielen die Staaten mit einer Gonzalez-Torres-Retrospektive.

Was man an dem 1957 geborenen Exilkubaner in den USA zu schätzen beginnt und weshalb er gut in Storrs Groß-Schau passt, ist die Wende der Minimal-Art ins Politische, die sein Werk im Laufe der 1990er-Jahre vollzogen hat. Denn ja, die Biennale, die doch zuletzt vor allem ihren Ruf als eine einzige Mega-Party verteidigen konnte, ist sehr politisch geraten. Migration, Terrorismus, Krieg, das sind die am häufigsten wiederkehrenden Themen, Fotografie ist – auch, weil der aus Mali stammende Malick Sidibé am Sonntag den Ehrenlöwen für sein Lebenswerk erhält – mit am stärksten vertretenes Medium, und selten ist sie verphotoshopt.

Gegenüberstellungen

Ihre starken Momente hat die Hauptausstellung, wenn sie das Prinzip der Zeitgenossenschaft illustriert – und dabei sehr elegant alle Generationenkonflikte auflöst: So konfrontiert Storr Yto Barradas Fotoserie von Obdachlosen in Pariser Grünanlagen („Parcs Publics“, 2007) mit Gabriele Basilicos 1973 entstandenen Aufnahmen von zerstörten Wohnhäusern in Beirut. Basilico, Jahrgang 1944, aus noblem Elternhaus in Mailand stammend, ist einer der grand ol’ men der Fotografie. Yto Barrada, als Tochter marokkanischer Einwanderer 1971 in Frankreich geboren, gilt als Klassikerin der Zukunft.

Wenn Storr sich stärker auf solche ungewöhnlichen Gegenüberstellungen konzentriert, wenn er die Zahl der Künstler deutlich reduziert hätte – fast 100 sind es geworden: da fällt schon nur noch auf, wer diesmal nicht dabei war –, dann wäre die Gefahr der Langeweile durch Übersättigung geringer geworden. Und natürlich ist es fraglich, ob sich diese doch diskreten Signale durch Werk-Masse, zunehmendes Fußweh und Prosecco-Dunst hindurch vernehmen lassen. Aber eben: Man kann sie höchstens verdrängen, nicht leugnen, da sind sie, genauso wie der von Storr geforderte und durch ein eigenständiges Team bespielte Afrika Pavillon, der sich nahtlos an die Hauptschau anschließt.

Um den hatte es im Vorfeld bereits Kontroversen gegeben. In deren Zentrum: die Entscheidung der Kuratoren Fernando Alvim und Simon Njami, die Afrika-Präsenz vollständig aus der Sindika-Dokolo-Collection zu speisen. Als dann im Forum artnet.com der Online-Journalist Ben Davis Ende Februar an die Affäre Dokolo erinnerte, war viel von der Anfangs-Euphorie verflogen: Hauptakteur der Geschichte aus den 80er-Jahren war Sanu Dokolo, Vater des Sammlers Sindika und Gründer der Bank of Kinshasa. Die weitere Faktenlage ist schwer zu rekonstruieren: Sicher ist nur so viel, dass die BoK 1986 aufgelöst wurde – auf Betreiben des Staatschefs Mobutu, während Davis andeutete, es habe sich um eine betrügerische Pleite gehandelt und die veruntreuten Gelder seien unter anderem in die Sindika-Dokolo-Collection geflossen.

Das ist unwahr, folgt man der Darstellung von Kurator Njami: „Wer das behauptet, wird sich vor Gericht verantworten müssen.“ Er persönlich halte das Aufkommen der Gerüchte für ein typisches Symptom des herablassenden okzidentalen Blicks auf Afrika, „das man als Kontinent im Chaos wahrnehmen will“, so Njami zur taz. „Bei einem europäischen Sammler hätte niemand wissen wollen, woher sein Geld stammt.“ Möglich, wahrscheinlich sogar, weil Dokolo für die Biennale-Präsenz Kunstförderung im ganz direkten Sinne betreibt – die meisten der gezeigten Werke wurden für Venedig angekauft, einige sogar erst in Auftrag gegeben – und wirklich eine Ausnahmestellung einnimmt: „Kennen Sie eine andere von einem Afrikaner etablierte Sammlung, die ihren Sitz auf dem afrikanischen Kontinent hat?“, kontert Njami die Frage nach der Auswahl.

Afrikanische Sammlung

Nein, lautet da die einzig mögliche Antwort. Es gibt nämlich keine. Auch ist Luanda Pop, so der Titel des Pavillons, trotz unbestreitbarer und unbestrittener Nähe zum Regime von Eduardo dos Santos – der Präsident Angolas ist Schwiegervater des Sammlers und Autor eines Katalogtextes –, nicht zur angolanischen Staatsschau geraten: Ihr Fokus liegt, wenn man so will, auf dem Austauschverhältnis zwischen amerikanisch-europäischer und afrikanischer Kunst: Symbole dafür sind einerseits Andy Warhols „Muhamad Ali“-Dyptichon von 1976, andererseits Arbeiten wie die Installation „Save Manhattan“: Die Marokkanerin Mounir Fatmi hat aus Lautsprechern unterschiedlichen Formats die Skyline von New York inklusive der Zwillingstürme des WTC nachgebaut. Aus den Boxen schrillt ohrenbetäubender Lärm: Sirenen, Alarmsignale, Hilfeschreie. Ein ebenso direkter wie zufälliger Link zur Zentralausstellung: Denn dort wartet Charles Gaines mit einem Holzmodell Manhattans auf, auf das in regelmäßigen Abständen mit einem großen Holzarm ein Miniatur-Jumbo-Jet gestürzt wird.

Trotz allem: Die stärksten Signale setzen die Pavillons in den Giardini, dort ist es möglich, Entdeckungen zu machen – und entsetzt die Augen abzuwenden: „The Index“ hat David Altmejd seine den kanadischen Pavillon durchwuchernde Glimmer-und-Glitzer-Skulptur genannt, mit ausgestopften Eichhörnchen, Acryl-Riesen und vielen, vielen, gebrochenen Spiegeln: Schrill, vielleicht entfernt an Jeff Koons Rehabilitierung des Kitschs orientiert. Aber ausgesprochen nichtssagend. Auf angenehme Weise ragt dagegen Andreas Fogarasis ungarischer Pavillon – mit dem im Original deutschen – Titel „Kultur und Freizeit“ – heraus: Der gebürtige Wiener hat in Budapest, Heimatstadt seiner Eltern, per Video eine Archäologie der sozialistischen Kulturzentren in Angriff genommen. Sperrholzboxen hat er dafür als sechs Kleinstkinos in die Räume gebaut: Das zwingt auf eine diskret-freundliche Art zum Innehalten. Wer’s tut und sich auf die Erzählstruktur einlässt, versinkt nicht in Nostalgie, sondern erlebt die Schwierigkeiten einer von einem diktatorischen Regime geprägten Kultur und ihrer Einrichtungen, sich neu zu erfinden.

Sich neu erfinden: Das könnte auch als Motto über den Arbeiten von Isa Genzken stehen oder jenen der Sophie Calle. Der französische Pavillon liegt in den Giardini dem deutschen direkt gegenüber, und es ist sehr wahrscheinlich, dass eine der beiden hier ausstellenden Künstlerinnen in diesem Jahr den Löwen gewinnt. Beide haben den Pavillon in ein einziges Werk verwandelt, und doch könnten die Arbeiten nicht gegensätzlicher ausfallen. „Oil“ hat Genzken ihre Installation genannt, der Stoff, der die Welt bewegt und Kriege auslöst. Der von Calle hingegen heißt: „Prenez soin à vous“, nehmen Sie auf sich acht – die Schlussfloskel einer Abschieds-E-Mail, die sie bei einer Vernissage in Berlin erhalten hat: Diesen Brief hat sie, subtile und maßlose Rache, durch 106 Frauen interpretieren lassen – wobei jede für ein Sprach-Wissens-System steht: Die kabbalistische Deutung fehlt nicht, eine Buchhalterin hat die Bilanz der Beziehung zwischen dem Ungenannten und der Künstlerin errechnet, eine lacanistische Psychiaterin den Geisteszustand des HOM in eine Formel gegossen. Allerdings, diese potenziell endlose Reihe der Entblößungen des untreuen Lovers kann irgendwann erschöpfen. Das ist bei Genzken anders: „Oil“ Titel und zentrale Metapher, taucht in etlichen denkbaren Erscheinungsformen auf: als Kunststoff, als Treibstoff, als Kunstgattung – nur nicht in seiner rohen Gestalt. Schon das Polyacryl-Netz ums ganze Bauwerk: ein Petroleum-Derivat. Die Folie, die den gesamten Pavillon auskleidet: aus Erdöl gewonnen. Die Astronautenfiguren, ihre Plexiglashelme, die Galgenstricke aus Kunstfaser, die von der Decke hängen: aus Plastik gemacht, für das Öl gebraucht wird.

Atemberaubend – und schwer nacherzählbar – wird diese Riesenskulptur aber durch ihre leitmotivische Arbeit, sprich, dass kleinste Details in einem der Räume wird im nächsten, um ein Vielfaches vergrößert, als tragendes Thema auftauchen. Um ein simples, aber schlagkräftiges Beispiel zu nennen: Das Entree ist komplett verspiegelt. Man tritt ein – und begegnet sich selbst. Dieser Schock, gedämpft durch den Grünton des Lichts, wird in Zwillingsfiguren, konvexen Spiegelfolien und komplexen Symmetrien aufgenommen, verarbeitet und übersetzt. Schrecken, Staunen und Entzücken, sinnliche Wahrnehmungen, die Denken und Gedanken, die intensiver Wahrnehmen lassen, das ist Isa Genzkens Pavillon. Allein für sich schon eine Biennale.