Kampf um jeden Zentimeter

Nicht nur in Prenzlauer Berg sind die Klassenzimmer voll. Auch eine Kreuzberger Grundschule bemüht sich seit langem um mehr Platz – bisher ohne Ergebnis. Dabei verschlimmert sich die Lage jährlich

VON ALKE WIERTH

An den Zahlen scheiden sich die Geister. 1,8 oder 8,9? Das ist die zentrale Frage im Kampf der Eltern der Heinrich-Zille-Grundschule in Kreuzberg gegen Bezirk und Senat. Es geht um Quadratmeter: Jedes Kind der Schule hat in der Hortbetreuung am Nachmittag 8,9 Quadratmeter Platz. Sagt der Senat.

Nein, sagen die Eltern, und bei ihrer eigenen Rechnung steht die 1,8 unterm Strich. Keine geringe Differenz: Während der Senat leere Klassenräume, Aula oder Turnhalle zum für die Hortbetreuung nutzbaren Platz zählt, gehen die Eltern in ihrer Rechnung nur von den Räumen aus, die tatsächlich für die Gestaltung der unterrichtsfreien Zeit nutzbar sind.

Für 120 Kinder sei der Hortbereich der Schule konzipiert, erklärt Inge Hirschmann, Leiterin der Kreuzberger Grundschule und Vorsitzende des Berliner Grundschulverbandes. Derzeit besuchen aber schon gut 200 der insgesamt 380 SchülerInnen der Heinrich-Zille-Schule den Hort.

Den Kampf gegen die Überbelegung führt die Grundschule schon lange. Doch bisher ohne Erfolg. Anders als in Prenzlauer Berg, wo die Eltern Druck ausübten und die begehrten Grundschulen nun doch mehr Kinder aufnehmen werden, zeichnet sich in Kreuzberg keine Lösung ab.

Bereits jetzt verteilen sich die Räumlichkeiten der Schule auf vier Gebäude. Das alte Schulhaus steht auf dem Innenhof eines großen Wohnblocks. Auf dem Schulhof werden zwei Neubauten eines ehemaligen Schülerladens als Mensa und als Hort genutzt. Manche Hortgruppen sind mangels Platz auch bereits in ehemaligen Wohnräumen eines Vorderhauses des Blocks untergebracht.

Im nächsten Jahr wird die Zahl der Hortkinder weitersteigen, da die Fünft- und Sechstklässler nicht mehr wie früher in die Schülerläden wechseln. Die werden im Zuge der Grundschulreform abgeschafft. Auch diese Kinder sollen künftig den Hort an der Schule besuchen. „Und nun will der Senat, dass wir weitere Hortkinder im Schulhaus unterbringen: in Klassenzimmern, die gerade nicht genutzt werden“, seufzt Inge Hirschmann.

Bereits jetzt findet in Räumen des Schulhauses Hortbetreuung statt. Für die knapp 20 ErzieherInnen der Schule sind die vielen verschiedenen Orte und Gebäude, an denen sich nachmittags Kinder aufhalten, kaum noch zu überschauen. „Außerdem kann man in Räumen, die vormittags für Unterricht und nachmittags für Freizeitgestaltung genutzt werden, nie etwas aufbewahren oder liegen lassen“, klagt eine Erzieherin.

Angefangen hat die Überbelegung, als vor knapp drei Jahren eine benachbarte Grundschule geschlossen wurde. Die Heinrich-Zille-Schule, bereits damals weit über ihren Einzugsbereich hinaus bekannt, nahm viele von deren Kindern auf. Seither versuchen die Eltern vergeblich, den Verantwortlichen in Bezirk und Senat mehr Raum für ihre Kinder abzuringen – passiert ist bislang nichts.

Fast nichts: Mit einer Verkleinerung des Einzugsbereiches versucht der Bezirk nun, die Schülerzahl einzudämmen. Zwei statt wie üblich drei erste Klassen soll es im kommenden Schuljahr geben. Für manche Eltern ein Schock: Cornelia Tressels Tochter besucht die Heinrich-Zille-Schule bereits. Ihren Sohn soll sie nun an einer anderen, weiter entfernten Grundschule einschulen. „Dort kennt er niemanden“, klagt Tressel: Fast alle Kita-Freunde des Jungen kämen auf die Zille-Grundschule.

Dass das nicht gut für Kinder ist, weiß auch die grüne Schulstadträtin des Bezirks: „Ich verstehe die Eltern“, sagt Monika Herrmann. „Wir sind derzeit auf der Suche nach einer Lösung.“ Die könnte darin bestehen, noch ein weiteres, am Rande des Schulhofes der Heinrich-Zille-Schule stehendes Gebäude anzumieten. „Aus Bezirksmitteln können wir das aber nicht finanzieren“, schränkt Hermann ein. Dass der Senat es für nötig hält, einzuspringen, ist fraglich. Denn der sieht ja mit 8,9 Quadratmetern pro Kind gar kein Problem.