Biennale: Jenseits des Nationalstaats

Die Roma sind Europäer par excellence - es hilft ihnen wenig. Am Rand der Biennale zeigt die Ausstellung "Paradise Lost" Kunst von 16 Roma-Künstlern aus 8 Ländern.

Langsam, ganz langsam sickert es ein ins breitere Bewusstsein: Europa ist so mühsam und unsexy, nicht nur weil die Europäer quantitativ immer mehr werden, sondern weil es verlangt, Zugehörigkeit und Zeitgenossenschaft neu zu definieren. Und das bedeutet Arbeit. Eklatant wird dies etwa bei der größten europäischen Minderheit: den Roma. Bislang ist der Umstand, dass nach der zweiten Erweiterungsrunde mittlerweile zwischen acht und zwölf Millionen Roma der EU angehören - genauere Zahlen fehlen -, Roma folglich waschechte Europäer sind, eher unterrepräsentiert. Ein Umstand, der konkrete Folgen zeitigt: Ihre nach wie vor radikale Diskriminierung, derzeit vor allem im ehemaligen Jugoslawien und dem östlichen Europa, findet nur mäßig Beachtung und noch weniger Abhilfe.

Diese fatale Ignoranz gegenüber der systematischen Ausgrenzung der Roma wird aktuell in Venedig, genauer auf der 52. Biennale, und zwar in Form des ersten Roma-Pavillons, zum Thema gemacht: "Paradise Lost" heißt die von Timea Junghaus kuratierte und während der Eröffnung für die Presse in der vergangenen Woche gut besuchte Ausstellung. Insgesamt sechzehn Künstlerinnen und Künstler aus acht Ländern zeigen bis November ihre Arbeiten in einem überbordend dekorierten Palazzo mitten in der verwinkelten venezianischen Innenstadt. Also dort, wohin sich die während der Kunstolympiade zwischen den Giardini und der Piazzo San Marco hin und her flitzenden Privatboote der Deutschen Bank nicht verirren.

Womit zwei wichtige und ineinander verzahnte Thematiken angerissen wären: die Roma als Repräsentanten der europäischen Idee von einer nicht an Nationalstaaten gebundenen Zusammengehörigkeit - und das Sponsoring. Bleiben wir aber noch für einen Moment bei den Inhalten. Das Ziel der Ausstellung, betonte Junghaus immer wieder, sei das Umschreiben der Stereotype von der Roma als unzivilisiertem, aber hübsch musizierendem fahrendem Volk. Bereits die schiere Existenz von bildenden Roma-KünstlerInnen mache hier einen Anfang. Mehr noch aber gehe es darum, kollektiv auf eine Kultur zuzugreifen, die wegen der ihr fundamentalen Hybridität eine eigene Ikonografie entwickelt hat. Eine Visualität nämlich, in der die Lust an der Farbe, die Liebe zur Folklore, zum Kitsch und zum Eklektizismus beides ist: Ergebnis einer bis heute andauernden krassen Unterprivilegierung und selbstbewusster Ausdruck einer keineswegs allein über den erfahrenen Rassismus zu erschließenden nach vorne gehende Lebensweise. Einer Kultur also, die sowohl rückständig ist - etwa was ihre patriarchalen Strukturen angeht - als auch zukunftsweisend, eben weil sie den Nationalstaat als vorrangigen Identitätsanker verabschiedet. Zudem leben die Roma eine Gegenkultur, da sie das, was dem europäischen Bürgertum - hinsichtlich Farbkombinationen, Materialien oder Habitus - als unpassend, folglich geschmacklos gilt, aufeinanderknallen lassen. Sie leben also Pop, im guten alten Wortsinn.

In künstlerischer Hinsicht glückt dieser Zugriff mal und mal glückt er nicht. So zählen die nur auf den ersten Blick naiv anmutenden Akrylbilder des Parisers Gabi Jiménez, die den Wohnwagen in eine Landschaftsmalerei eintragen und dabei so offensiv wie ironisch bei Van Gogh Anleihen macht, zu den Höhepunkten. Auch die Arbeit von dem seit fünfzehn Jahren in Berlin lebenden Künstler Nihad Nino Puðija spielt lässig mit dem Klischee vom "Zigeuner", indem sie drei Schwarzweißfotografien tryptichongleich auf eine selbst entworfene kreischbunte "Gypsie"-Blumentapete aufbringt. Die Tapete findet sich in den Porträts von schnauzbärtigen Männern und schwangeren Frauen als Hintergrund wieder, wobei sie hier eher armselige Wohnverhältnisse als Lebensfreude markiert. "Tryptichon" beschreibt damit punktgenau die niemals eindeutige Verwobenheit von Fremdzuschreibung und Selbstbehauptung.

Demgegenüber bleiben die in blaue Farbe getauchten Mutter-Tochter-Geschichten von der in Budapest lebenden Künstlerin Omara in ihrer ungebrochenen Naivität unbefriedigend. Das vermag auch die illustre Selbstinszenierung der Künstlerin als für bürgerliche Tugenden unzugängliche Diva nicht zu kompensieren. Freudestrahlend streckte sie beim Presseempfang dem Hauptsponsor der Ausstellung das just ihrer linken Augenhöhle entnommene Glasauge entgegen, zur Untermalung ihrer Liebe zur Kunst. Schließlich habe sie erst wegen ihrer Augenerkrankung zur Malerei gefunden.

George Soros, der US-amerikanische Multimillionär und Gründer der seit vielen Jahren im östlichen Europa aktiven Privatstiftung Open Society Institute (Osi), blieb gelassen. Auch wenn er zuvor klargestellt hatte, dass er an einer Kulturproduktion, die für therapeutische Zwecke vereinnahmt wird, kein Interesse hat. "Mir als Sponsor geht es um die Förderung von Hochkultur. Um nichts sonst", erklärte er freundlich und kühl. Hinzu komme, dass das Osi bislang gegenüber den Roma alles andere als offen gewesen wäre; eine Kurskorrektur sei überfällig. Michael Thoss, der Geschäftsführer der gleichfalls im östlichen Europa engagierten Kulturstiftung der Allianz, betont hingegen das politische Motiv für sein finanzielles Engagement: die notwendige Kritik am zunehmenden Nationalismus. Dass damit einmal mehr künstlerische Arbeiten mit brachliegenden politischen Anliegen überfrachtet werden, nahmen in Venedig alle in Kauf. Ein Anfang kann eben nur ein Anfang sein.

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leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.

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