Zeitung der Zukunft: Leser 2.0

Ob mobile, online oder Print: Gekämpft wird um Zeit, Geld und Aufmerksamkeit. Wie gut sind die Verlage dafür gerüstet?

Zeitung lesen im Park: Eine Idylle von gestern? Bild: dpa

Zeitungmachen war in Deutschland jahrzehntelang ein Traumjob. Der Journalist gab seine Meinung zum Besten und die Fakten, die dazu passten. Der Chefredakteur repräsentierte, der Verleger freute sich über zuverlässig wachsende Auflagen und eine dankbare Anzeigenklientel. Die Abteilung "Marketing, Sales & Services" hieß noch Anzeigenannahme und tat genau das: Sie nahm Anzeigen an.

Aus diesem Paradies geschubst, müssen sich Redakteur, Verleger und Anzeigenleiter auf einmal um ihre Existenzgrundlage sorgen: den Leser. Und der ist entweder alt oder schon weg. Die Zeitungstreuen werden älter und weniger. Die Treulosen sind jünger und im Internet. Und der Leser 2.0 besorgt sich seine Informationen ohnehin dort, wo er sie am besten, am bequemsten und am billigsten bekommt.

Für die Verlage heißt das: weniger verkaufte Zeitungen, weniger Nutzer und weniger Anzeigenerlöse. Soeben hat auch noch der Durchschnittsleser seinen 50. Geburtstag gefeiert und sich somit aus der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen verabschiedet. Endgültig.

Die Handy-Zeitung: Ausführliche Artikel in Originallänge auf dem kleinen Display eines Handys lesen - das klingt nicht nach Vergnügen. Ist es aber! Die neuen Smartphones machen es möglich. Die Schriften sind nicht nur lesbar, sondern tatsächlich augenfreundlich. Weiterer Vorteil: keine Gefahr mehr, die ausgebreitete Frühstückszeitung in Butter und Marmelade zu baden. Auch im Flieger sehr zu empfehlen - schont die Ellbogen (die eigenen und die des Sitznachbarn).

Das individuelle Abo: Jedem seine Zeitung: die Zeitung ohne Stellenanzeigen (für Rentner), die ohne Feuilleton (für Kulturbanausen), das pure Sportteil-Abo (für Kreisliga-Kicker). Technisch möglich, logistisch aufwendig. Die große Frage: Gewinnen die Verlage damit Abonnenten, denen eine ganze Zeitung pro Tag zu viel ist? Oder schalten Altabonnenten in den Sparmodus? Denkbar: einige wenige Abo-Varianten. Irgendwann. Die Minimalversion gibt es längst: die Regionalausgaben. Und auch die nationale Ausgabe der Süddeutschen tritt ihre Reise gen Norden stets ohne München-Teil an. Noch aber entscheiden die Verlage, der Leser hat nicht die Qual der Wahl.

E-Ink: Statt auf Papier bekommt der Leser seine Zeitung digital und liest sie auf einer wieder aufladbaren, biegsamen Folie. Das Layout bleibt, der Gang zum Altpapiercontainer entfällt. Erste Tests gab es schon in den 90er-Jahren. Seit kurzem ist die "elektronische Tinte" serienreif. Zu spät. Denn mittlerweile lässt sich die Zeitung bequem (wenn auch anders layoutet) auf Laptops oder Smartphones lesen (s. o.). Eine Chance bleibt: Die Folie könnte künftig als "ausziehbares" Display für genau diese Geräte dienen.

E-Paper: Viel gebrauchter Begriff (auch E-Ink wurde früher so genannt). Gemeint hier und meistens: die ganz normale Zeitung als PDF-Datei. Sie auszudrucken war nur kurz in Mode. Man muss schon ein wahrer Fan des gedruckten Wortes sein, um Zeitungsseiten auf DIN A4 zu lesen. Im Onlinezeitalter nur noch etwas für heimwehkranke Buxtehuder in Timbuktu. Ganz ausgestorben ist das PDF-Paper allerdings nicht: Da es die Verlage (fast) nichts kostet, darf es weiter sein - zunehmend überflüssiges - Dasein fristen. Ein Reservat für das E-Paper: deutsche Amtsstuben. Sogenannte Sammelabonnements für Behörden werden heute noch per PDF verbreitet.

Faxzeitung: Telefax? Das war doch dieses Gerät, das man früher mal brauchte, um … Genau. Das war es. ELKE LÖW

Da helfen weder Marketing- noch sonstige Maßnahmen. Dass die Deutschen zu wenige Kinder und folglich zu wenig potenziellen Lesernachwuchs in die Welt gesetzt haben, dagegen sind sogar Verleger machtlos. Wenn der Durchschnittsdeutsche älter wird (etwa zwei Jahre pro Dekade), altert der Durchschnittsleser entsprechend. Mindestens.

So weit die schlechten Nachrichten von der Zeitung. Nun einige bessere: Noch lesen fast drei Viertel der Deutschen (73,2 Prozent) regelmäßig eine Tageszeitung. Allein die größte Zeitungssparte, die regionalen Abozeitungen, kommt auf eine Reichweite von 61,6 Prozent.

Das klingt nach viel - und das ist es auch. Es war aber schon mal deutlich mehr. Noch vor zehn Jahren griffen mehr als 70 Prozent der Deutschen zur Regionalzeitung. Besonders gravierend sind die Verluste bei jungen Lesern. Während die Verlage in den vergangenen 15 Jahren mehr als hundert Jugendseiten und -supplements einführten, setzte sich gleichzeitig ein gut Teil der Umworbenen ins Internet ab: Las 1997 noch rund die Hälfte der 14- bis 19-Jährigen eine Regionalzeitung, ist es heute nur noch rund ein Drittel (38,4 Prozent). Bei den 20- bis 29-Jährigen sank der Anteil der Leser um 15 Prozentpunkte auf 43,7 Prozent.

Den Jugendforscher Axel Dammler wundert das nicht: "Wie soll ein Teenager, der kaum Zeitung liest, überhaupt auf die für ihn konzipierte Jugendseite stoßen?", fragt sich der Geschäftsführer des Instituts Iconkids & Youth und zweifelt am Sinn solcher "Jugendghettos".

Also raus aus dem Ghetto, ran an die Jugend: Es geht um viel, nämlich langfristig um 8,6 Milliarden Euro. So viel setzten die deutschen Zeitungen 2006 um - zur Hälfte im Anzeigengeschäft, zur Hälfte im Vertrieb. Alles noch im grünen und im Printbereich. Und selbst dort gibt es nicht nur Risiken: "Jugendliche würden durchaus Zeitung lesen", glaubt Axel Dammler: "Sie wollen aber eine Zeitung, die sie optisch und emotional anspricht, mit für sie relevanten Themen."

Das Problem: "Eine solche Zeitung gibt es nicht", konstatiert Jochen Preusche. Der Geschäftsführer der Düsseldorfer Mediaagentur Optimedia analysiert und bewertet seit 25 Jahren Medien, um die Werbegelder von Firmen wie LOréal, HP oder Nestlé sinnvoll zu investieren. Sein kritisches Fazit: "Die Zeitung hat sich - abgesehen von ein bisschen Farbe - in den letzten Jahrzehnten nicht weiterentwickelt."

Stellt sich die Frage: Werden die Internetkids später Geld ausgeben für ein Bündel unhandlicher Information aus toten Bäumen? Axel Dammler hat da eine klare Meinung und eine schlechte Nachricht für die Verlage: "Jugendliche können für Zeitungen nichts bezahlen, und sie wollen es auch nicht."

In anderen Ländern greifen sie deshalb zu Gratiszeitungen. So schaffen es beispielsweise Metro und 20 Minuten in der Schweiz, für ihre Blätter im handlichen Tabloidformat (wie die "taz"), mit kurzen Texten, vielen Bildern und regionaler Berichterstattung jüngere Leser zu gewinnen.

In Deutschland scheuen die Verlage ein solches Modell. Noch. Denn keiner will auf Vertriebserlöse verzichten. Spätestens seit dem Kölner Zeitungskrieg von 1999 aber haben alle größeren Verlage Gratiszeitungskonzepte fertig in der Schublade. Damals hatten Springer und DuMont Schauberg den Norwegischen Neuling Schibsted aus der Domstadt vertrieben. Als der Eindringling nach einem knappen Monat aufgab und 20 Minuten einstellte, war prompt auch von den flugs gegründeten Abwehrobjekten nichts mehr zu hören. Derzeit nähert sich nur die Verlagsgruppe Holtzbrinck vorsichtig einem Geschäftsmodell, das auf Vertriebserlöse weitgehend verzichtet. "20 Cent" ist Name und Preis der Zeitung, die sich bisher nur an der Lausitz und der Saar an bisher Zeitungsabstinente wendet. Ansonsten herrscht an der Gratis- und der Günstigfront gespannte Stille.

Hektisches Treiben dagegen im Internet. Die Zeitungen haben hier nach fast einem Jahrzehnt endlich die schnodderige Beckenbauersche "Schau mer mal"- Mentalität aufgegeben. Wo bis vor kurzem noch diskutiert wurde, ob eine Nachricht im Internet veröffentlicht werden dürfe, bevor sie am nächsten Morgen gedruckt erscheint, gilt jetzt die Devise "Online first". Prompt wurden im letzten Jahr die Onlineauftritte der Zeitungen von Konstanz (Südkurier) bis Berlin (Tagesspiegel) gleich dutzendweise renoviert. Es scheint sich gelohnt zu haben: Zusammen erreichen die Zeitungswebsites mittlerweile immerhin 35 Prozent der Onlinenutzer.

Beim Mobile Publishing wollen die Verlage jetzt von Anfang an mitspielen und mitverdienen. Was aber verbirgt sich hinter dem Modewort "Mobile Publishing"? Die kurze SMS zum Spielstand auf Schalke, die Blitznachricht über Terror oder Tsunami, ein Gewinnspiel? All das und bald noch viel mehr. Wer beim putzigen Handydisplay nur an Kurzmeldungen denkt, der denkt zu kurz - im wahrsten Sinne des Wortes. Die neuen Smartphones bieten auch bei langen Texten einen Lesekomfort, der nicht nur Technikfreaks überzeugt. Ausgerechnet Die Zeit - nicht gerade für mangelnde Textlänge bekannt - bereitet ihre Texte schon fürs Mobiltelefon auf und beweist so, dass mobiles Lesen ein Genuss sein kann.

Noch mangelt es an günstigen Handy-Flatrates - und an zusätzlichen Ideen für die journalistische Umsetzung. "Der wirtschaftliche Druck aber ist da", weiß Meinolf Ellers, Geschäftsführer der dpa-infocom: "Wer ins Mobile Publishing einsteigt, muss damit Geld verdienen." Am besten gleich. Ellers Firma stellt mit Minds (Mobile Information and News Data Service) eine Plattform zur Verfügung, mit deren Hilfe sich die Verlage das neue Medium erschließen können. 60 Zeitungshäuser sind mittlerweile mit von der Partie. Und so funktionierts: Der Leser schickt eine kurze SMS und abonniert damit zum Beispiel die Ergebnisse von Hannover 96 (Hannoversche Allgemeine) oder die Lottozahlen (Recklinghäuser Zeitung). Sicher noch kein großes Geschäft, aber immerhin ein Zubrot.

Ob mobile, online oder Print: Die Verlage sind für den Kampf um die Aufmerksamkeit, die Zeit und das Geld der Nutzer nicht schlecht gerüstet. Sie haben nicht nur den Content, der gerne als "King" bejubelt wird. Sie haben auch den Kontext, der als künftiger König gehandelt wird. Ob und wie gut sie ihre Chance nutzen, weiß derzeit keiner. Agenturmann Jochen Preusche nimmts sportlich: "Die Zeitungen können das Spiel mit einem Elfmeter für sich entscheiden. Ich bin mir nur nicht sicher, ob sie einen Schützen haben, der ihn verwandeln kann."

Es bleibt also spannend. "Wir Verlagsmanager", konstatierte kürzlich Springer-Chef Mathias Döpfner, "müssen uns noch bewusster werden, dass unser Geschäft nicht das Bedrucken von Papier ist, sondern Journalismus." Das ist trefflich formuliert, inhaltlich korrekt, aber nicht wirklich neu: "Der Druck der Zeitung ist lediglich eine vorübergehende Erscheinungsform, die mit dem spezifischen Wesen der Zeitung nichts zu tun hat." So formulierte es etwas steif, dafür aber schon 1907 der Journalistikdozent Robert Brunhuber. Ein Gedanke, an den sich einige hundert Verleger, einige tausend Journalisten und 47 Millionen Leser jetzt langsam, aber sicher gewöhnen müssen.

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