Afrikanische Flüchtlinge: Vor der Festung Europa

Hohe Zäune, scharfe Kontrollen: Europa sperrt afrikanische Flüchtlinge erfolgreich aus. Der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour traf zwei von ihnen in Marokko.

"Ganz schön krass" findet Nouripour den Zaun zwischen Mali und Ceuta Bild: reuters

RABAT / TANGER taz Das hier ist nicht Berlin. Das hier ist nicht der Europaausschuss und das ist auch keine Diskussion über illegale Flüchtlinge. Das hier ist Marokko, und das hier sind illegale Flüchtlinge, zwei an der Zahl. Sie werden - "Gott helfe uns" - in Kürze illegal in die EU einreisen.

Ihnen gegenüber, in diesem Café in Rabat, sitzt der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour. Mary stammt aus Sierra Leone, Apolonio aus dem Kongo. Mary, eine schlanke junge Frau in enger Jeans und ärmelloser Bluse, hat vor acht Jahren ihr Land verlassen. Damals war sie 20, ohne Ausbildung. Sie fand einen Job in Gambia, verlor ihn, zog weiter Richtung Senegal. "Unterwegs sagten Leute zu mir, komm mit nach Marokko, von dort aus geht es nach Europa."

Legale Einwanderung aus Afrika nach Europa ist nach wie vor fast unmöglich. Deshalb sind immer mehr Migranten per Boot unterwegs: von Westafrika über den Atlantik auf die Kanaren, von Nordafrika nach Italien, Malta oder Spanien, meist nach Transit durch die Sahara. Experten schätzen, dass jedes Jahr 120.000 Menschen versuchen, auf diesen Routen nach Europa zu kommen.Nur wenige kommen durch, und viele sterben auf dem Weg. 2006 landete die Rekordzahl von 31.200 Boat-People auf den Kanaren, laut Schätzungen ertranken 7.000 weitere. In diesem Jahr sind bereits 6.500 Migranten auf den Kanaren angelangt, 7.000 weitere in Italien und Malta.

Immer mehr Flüchtlinge stranden in den Transitländern. In Marokko haben die Behörden seit Januar 80.000 Illegale abgefangen, in Algerien 8.000. Auch in Libyen, Mauretanien, Senegal und Gambia werden regelmäßig Migranten aus anderen Ländern Westafrikas festgenommen.

Mary kam mit. Seit einem Jahr lebt sie in Rabat, teilt sich mit fünf anderen "Subsaharians" eine Wohnung. Das Geld dafür, 160 Euro im Monat, verdienen sie mit kleinen Gelegenheitsjobs. Manche betteln auch, erzählt sie. Manche prostituieren sich. Zum Essen geht Mary in das Gemeindehaus einer Kirche. Dort kocht die Caritas für die Illegalen. Apolonios Geschichte ist der ihren sehr ähnlich.

Mary und Apolonio wollen weiter, nach Europa, sobald sich eine Gelegenheit bietet. So, wie all die anderen auch, die in den Slums und in den Wäldern außerhalb der Städte wohnen. Einer Umfrage zufolge sehen 98 Prozent der Migranten Marokko nur als Transitland. Nach offiziellen Schätzungen leben zurzeit 12.000 alleine in Marokko.

Nouripour, 32 Jahre alt und flüchtlingspolitischer Sprecher der Grünen, hört sich die Geschichten von Mary und Apolonio an. Er tupft sich mit einem Stofftaschentuch die Schweißperlen von der Stirn. Er schwitzt die ganze Zeit während dieser viertägigen Marokkoreise. Erstens ist es heiß. Zweitens zieht er kein einziges Mal sein schwarzes Sakko aus oder verzichtet auf Hemd und Krawatte. Und drittens ist die Situation kompliziert.

Dass Nouripour zu Hause ein Abgeordneter der kleinsten Oppositionspartei im Bundestag ist, dass die meisten Deutschen ihn bestenfalls als "Fischer-Nachfolger" kennen - hier in Marokko stört das keinen. Für die Regierung in Rabat ist er ein wichtiger Mann, der von Berlin aus Nordafrika retten kann, mindestens. Alle haben deshalb auch eine klare Botschaft an Nouripour: Die EU hat ihr Einwanderungsproblem zu uns ausgelagert und lässt uns jetzt damit allein. Je mehr Europa sich abschottet, umso schlimmer ist es für uns - also fordern wir: Macht die Grenzen durchlässiger!

Die marokkanische Regierung tut alles, um den Gast für sich zu gewinnen. Schon bei der Ankunft am Flughafen in Casablanca wartet ein Fahrer. Er bringt den Besuch in die eine Autostunde entfernte Hauptstadt Rabat. Dort würde man ihm am liebsten auch noch das teure Hotel bezahlen, doch das geht dem Abgeordneten zu weit. Dann rufen abwechselnd das marokkanische Innenministerium und Marokkos Botschafter in Deutschland, der zurzeit auf Heimaturlaub ist, auf dem Handy an. Sie fragen freundlich, wen man alles so treffen wird und ob auch wirklich alles in Ordnung ist.

Nouripour ist aber auch Grüner, flüchtlingspolitischer Sprecher und für Europa zuständig. Als solchen sehen ihn die marokkanischen Nicht-Regierungs-Organisationen, und auch sie wollen ihre Sicht der Dinge schildern. Da geht es um Polizeigewalt gegen Schwarzafrikaner, um Rassismus, um Abschiebungen direkt in die Sahara.

"Wir werden hier behandelt, als wären wir Toiletten", sagt auch Mary, "wie der letzte Dreck." Nouripour will wissen, ob sie denn als Bürgerkriegsflüchtling keine Anerkennung des UN-Flüchtlingskommissars erhalten hat. So hat man es ihm im Innenministerium versichert: Die Migranten erhalten im UNHCR-Büro in Rabat ein Papier, das ihnen Schutz vor Abschiebung garantiert. "Das Papier kannst du vergessen", sagt Mary, "einem Freund von mir hat es ein Polizist vor seinen Augen zerrissen."

Solche Vorkommnisse, heißt es in den offiziellen Gesprächen, kenne man nicht. Der Migrationsbeauftragte des Innenministeriums redet lieber über Aufklärung. "Diese Menschen erwarten in Europa ein Eldorado", hat er noch am Morgen geklagt, "wir müssen ihnen erklären, dass das Leben in der EU für illegale Schwarzafrikaner alles andere als einfach ist." Falls sie überhaupt so weit kommen und nicht im Meer ertrinken. Im letzten Jahr sind nach Schätzungen von amnesty 7.000 Flüchtlinge in den Fluten umgekommen.

Sie wollen verdienen

Nouripour, der selbst als Kind aus dem Iran geflohen ist, nickt. Ja, Aufklärung ist gut. Und ja, es ist wichtig, dass auch Deutschland Regionen wie diese mit Entwicklungshilfe unterstützt. "Fluchtursachen bekämpfen" heißt das in Regierungsdeutsch. "Aber", wird Nouripour später hinzufügen, "ich bin mir leider sicher, dass das nicht viel bringen wird."

Denn jetzt sitzt er hier mit zwei Menschen, die von einem bettelarmen Land ins andere geflüchtet sind und für die eine Zimmermiete von 25 Euro im Monat ein Riesenproblem darstellt. Hier in Marokko beträgt der Mindestlohn nur etwa 120 Euro - weniger als ein Euro pro Stunde. Wie viel bekommt dann noch ein Illegaler?

Die "Hungerlöhne" thüringischer Friseurinnen, gegen die zuhause in Deutschland vor allem die SPD erbittert kämpft, erscheinen an diesem Nachmittag in Rabat fürstlich. Mary und Apolonio würden alles tun, um für 3,20 Euro die Stunde in Deutschland Haare zu schneiden. Wenn man sie nur ließe. Doch das wäre eine Katastrophe für diejenigen, die Franz Münteferings Satz "Wer in Deutschland arbeitet, soll davon leben können" zustimmen. Die Grünen tun das.

Auch Fiston aus Kongo ist überzeugt, dass ein Leben in Europa auf jeden Fall besser ist. "In Deutschland dürfen Flüchtlinge arbeiten", glaubt er. Nein, sagt Nouripour, das stimme nur sehr eingeschränkt - aber es sei wahr, dass anerkannte Flüchtlinge in Deutschland wenigstens Sozialhilfe bekämen. Für einen, der im Wald schläft, klingt das nach Eldorado.

Nouripour erzählt von Mügeln. Er sagt, dass sich Asylbewerber ihren Wohnort nicht aussuchen können, "und in manchen Gegenden in Deutschland gibt es richtige No-go-Areas". Ah, No-go-Areas, Fiston nickt. Das schrecke ihn nicht, sagt er, "Rassismus gegen uns Schwarze - das kennen wir von hier". Davon abgesehen, erklärt der Grünen-Abgeordnete, sei es für Afrikaner fast unmöglich, in Deutschland als Asylbewerber anerkannt zu werden. Weil dort die "Sichere-Drittstaaten-Regelung" gilt. "Asylbewerber müssen ihren Antrag im ersten sicheren Land stellen, das sie betreten. Deutschland ist von sicheren Nachbarländern umgeben, man muss also mit dem Flugzeug einreisen."

Sie wollen bleiben

Die sicheren Nachbarländer sind ihrerseits von sicheren Nachbarländern umgeben, und ganz außen steht ein Zaun. Er ist acht Meter hoch und mit mehreren Rollen Nato-Draht bestückt. Die EU hat für den Bau 20 Millionen Euro ausgegeben. Alle fünfzig Meter steht ein marokkanischer Soldat und passt auf. Die Grenze gilt als unüberwindbar. Auf der anderen Seite liegt die spanische Enklaven-Stadt Ceuta. Dort fängt das Eldorado an.

Für viele Marokkaner ist der Zaun ein klares Zeichen: Die EU verletzt das Recht auf Freizügigkeit. Auch Nouripour findet ihn "ganz schön krass". Aber wie er sonst verhindern will, dass illegale Migranten die Eklave "stürmen" - so schilderte es eine marokkanische Zeitung im Herbst 2005 -, das bleibt unklar.

Nach der Sommerpause wird es im Europaausschuss wieder um die Flüchtlinge gehen. Eine Maßnahme ist der Zaun, eine andere sind die verstärkten Seepatrouillen der Grenzschutzagentur Frontex. Nouripour kritisiert, dass diese "Abschottungspolitik" vor allem deshalb Einwanderung verhindert, weil mehr Leute ertrinken. Um den Patrouillen zu entgehen, müssen die Flüchtlingsboote inzwischen weit südlich von Senegals Küste ablegen. Die Strecke in die EU wird damit so weit wie in die Karibik.

In Marokko lautet die Lösung, egal ob man bei Regierung oder NGOs fragt: Grenzen auf für alle. Doch in Deutschland will keine Partei von völliger Freizügigkeit etwas wissen. Vor allem die SPD verweist immer wieder auf die 3,7 Millionen Arbeitslosen in Deutschland. In der aktuellen Diskussion, die von der CDU vorangetrieben wird, geht es lediglich um ein eng definiertes Kontingent von hochqualifizierten Fachleuten. Leute wie Mary und Apolonio gehören nicht dazu.

Auf dem Rückflug nach Berlin versucht Nouripour, ein Fazit seiner Reise zu ziehen. Es muss ein Kompromiss sein, der viele Interessen berücksichtigt: das Interesse der Flüchtlinge an einem Arbeitseinkommen in Europa. Das Interesse der afrikanischen Länder an Überweisungen aus Europa. Das Interesse Marokkos, die Migranten wieder loszuwerden. Das Interesse Deutschlands, keine "working-poor"-Schicht zu etablieren. Das Fazit des Abgeordneten lautet: "Wir brauchen verstärkt temporäre und zirkuläre Migration auch für gering Qualifizierte." Für Menschen wie Apolonio und Mary könnte das bedeuten, dass sie jeden Sommer für ein paar Wochen als Erntehelfer nach Deutschland kommen dürften. Oder für eine begrenzte Zeit in einem Job arbeiten, wenn Bedarf bestünde.

In Malaga hat Nouripour sieben Stunden Aufenthalt. Er trägt jetzt endlich Jeans, keine Krawatte mehr. Er fährt zum Strand und setzt sich in ein Café. Auf den Liegestühlen dösen britische und deutsche Touristen in der Nachmittagssonne. Ein spanischer Papa ermahnt sein Kind, nicht zu weit raus ins Meer zu gehen. "Die Wellen sind stark, man kann ertrinken", ruft er.

An den Tisch von Nouripour tritt ein junger Afrikaner, er ist beladen mit Handtaschen und Sonnenbrillen. Wie das Leben hier in Spanien für ihn so sei, will Nouripour wissen. Nicht schlecht, erzählt der Mann aus Mali, die Polizei lasse die Migranten hier am Strand in Ruhe, solange sie keine Fälschungen verkaufen - und seine Prada-Taschen seien natürlich echt. Nein, er wolle nicht zurück. Er wolle in Europa bleiben und so viel verdienen, dass er seiner Familie Geld nach Hause schicken könne.

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