Chatami erklärt Rushdie-Affäre für beendet

Der iranische Präsident äußert sich in New York erstmals öffentlich zu dem Mordaufruf gegen den britischen Schriftsteller. Er geht mit seinen Äußerungen einen neuen Konflikt mit den Hardlinern im eigenen Land ein  ■ Von Beate Seel

Berlin (taz) – Neuneinhalb Jahre nach dem Mordaufruf Ajatollah Chomeinis gegen den britischen Schriftsteller Salman Rushdie hat der iranische Präsident Mohammad Chatami die Affäre für beendet erklärt. In seiner ersten öffentlichen Stellungnahme zu dem religiösen Gutachten (Fatwa) des verstorbenen Revolutionsführers sagte Chatami am Montag in New York: „Wir sollten die Angelegenheit Salman Rushdie als völlig abgeschlossen betrachten.“

Chatami, der am Rande der UNO-Generalversammlung eine zweistündige Rede hielt und anschließend Interviews gab, hob die Fatwa nicht formell auf – dies ist auch gar nicht möglich – und äußerte sich auch nicht zum Kopfgeld einer religiösen Stiftung in Höhe von 2,5 Millionen Dollar. Mit seinen Bemerkungen distanzierte sich das gewählte Staatsoberhaupt jedoch von dem Mordaufruf Chomeinis, der am 14. Februar 1989 wegen angeblicher Blasphemie in Rushdies Buch „Die satanischen Verse“ ausgesprochen worden war. Der Autor lebt seitdem unter Polizeischutz in einem Versteck in Großbritannien.

Die iranische Regierung habe mehrfach erklärt, sie werde im Falle Rushdie nichts unternehmen, sagte Chatami. Der Iran wolle wegkommen von der Beschädigung der Kulturbeziehungen aus der damaligen Zeit und sich einem neuen Dialog zwischen den Völkern zuwenden. Ohne Chomeini namentlich zu erwähnen, bezeichnete Chatami die Fatwa relativierend als eine „Meinung eines islamischen Juristen“. Er wiederholte Stellungnahmen iranischer Regierungsbeamter, nach denen „die Regierung der Islamischen Republik offiziell bekanntgegeben hat, daß es in der Praxis keine Entscheidung gegeben habe, in dieser Angelegenheit tätig zu werden“.

In ersten Reaktionen zeigten sich Vertreter der USA und Großbritanniens zunächst skeptisch. Diplomaten in New York erklärten, sie hofften auf eine Erläuterung, wie sich Chatami praktische Schritte denke, um die Todesdrohung von Rushdie zu nehmen. Diese Frage soll heute bei einem Treffen des britischen Außenministers Robin Cook mit seinem iranischen Amtskollegen Kamal Kharrazi angesprochen werden. Im britischen Außenministerium wurde gestern davor gewarnt, zuviel in die Äußerungen Chatamis hineinzulesen. Ähnliche Äußerungen habe es auch in der Vergangenheit gegeben, sagte ein britischer Diplomat.

In der Tat gab es im Iran sowohl vor als auch nach der Wahl des gemäßigten Chatami zum Präsidenten am 23. Mai 1997 unterschiedliche Signale aus Teheran zum Thema Rushdie. So hatte der iranische Minister für Islamische Führung und Kultur, Ajatollah Mohadscherani, im Dezember letzten Jahres gegenüber der britischen Zeitung Independent erklärt, die Iraner seien bereit, schriftlich zu versichern, daß sie Rushdie nicht töten werden. Diese Äußerungen wurden am nächsten Tag jedoch vom Ministerium Mohadscheranis dementiert. Die Äußerungen des Ministers seien falsch wiedergegeben worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur IRNA. Solche Vorfälle zeigen, wie kontrovers die Fatwa im Iran nach wie vor ist.

Allerdings haben die einlenkenden Worte Chatamis ein anderes Gewicht, da sie vom Präsidenten selbst vor einem internationalen Publikum gemacht wurden. Chatami eröffnet damit im innenpolitischen Konflikt zwischen Hardlinern und Gemäßigten eine neue Front. Der Chef der Stiftung 15. Chordad, eine der finanzstärksten Organisationen des Landes, die das Kopfgeld auf Rushdie ausgesetzt hat, ist Hassan Sanei, der als Mann Ali Chameneis gilt. Der religiöse Führer und Chomeini-Nachfolger ist laut Verfassung der mächtigste Mann im Staat. Im Februar 1997, zwei Tage nach dem Fatwa-Jahrestag, verdeutlichte die ihm nahestehende Zeitung Keyhan, wie sie zur Fatwa steht: Rushdie müsse sein „gerechtes Schicksal“ erfahren. Ein Leben ohne Angst wird Salman Rushdie so schnell nicht führen können.

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