„Ätzt den Teller von außen rauh!“

Der Dichter als Erfinder: Helmut Höge sprach mit Erich Fried in einem bisher unveröffentlichten Interview kurz vor seinem Tod über sockelfeste Glühbirnen, klebbare Blitzlichter und das Osram-Kartell. Am Sonntag wäre Erich Fried 80 Jahre alt geworden

Interview HELMUT HÖGE

taz: Erich, ein Glühbirnenerfinder zu sein, das ist schon was! Wobei uns natürlich bekannt ist, dass der eigentliche Erfinder der Glühbirne Heinrich Goebel war. Aber er ist gescheitert – als Revolutionär und Erfinder. Immerhin ehrte ihn die Stadt Springe 1954 zum hundertsten Gedenktag seiner Erfindung mit dem Festspiel „Mister Flaschenlicht‘“ von Karl Waentig. Dein Leben ist ja bisher wohl genau andersherum verlaufen: Als du sechs Jahre alt warst, entdeckte dich der Wiener Regisseur Wachsmann und ließ dich in einer Raimund-lnszenierung mitspielen, „Verschwender“ hieß das Stück. Nach kurzer Zeit warst du der Star der Truppe, und Mutter und Großmutter waren hoch erfreut. Sie ließen dich deine Zeitungskritiken auswendig lernen. Wann begannen deine Glühbirnenexperimente?

Erich Fried: Wie ich 16 Jahre alt war, kam ich in Kontakt mit einer kleinen Wiener Glühbirnenfabrik, „Orbis“, die außerhalb des Glühbirnenkartells stand. Und die kriegten einen Spezialauftrag, Glühbirnen nach Frankreich zu liefern, die sockelfest sein mussten. Im Gegensatz zu den bisherigen: absolut sockelfest. Es handelte sich dabei um Glühbirnen mit zwei Glühdrähten, die hintereinander brennen sollten. Für Ausstellungen, in Bergwerken und allgemein für Gelegenheiten, wo Glühbirnen schwer auswechselbar waren.

Also, wenn ein Glühdraht durchbrennt, funktioniert immer noch der andere?

Ja, die haben zwar eine etwas geringere Lichtausbeute, weil sich die Birne von innen ein bisschen mit Metallspiegel beschlägt, aber für bestimmte Verwendungszwecke waren die sehr brauchbar. Nur dass die eben auch sockelfester als die gewöhnlichen sein mussten, weil sie für schwer auswechselbare Stellen gedacht waren, wo man meistens nur mit einem Greifgerät herankam. Das einzige Patent, das es bis dahin auf dem Gebiet gab, hatte das Glühbirnenkartell. Es funktionierte in etwa folgendermaßen: Die Glühbirne wurde während ihrer Erzeugung am so genannten Teller, das ist die abgeschrägte Glasfläche, die in die Fassung führt, noch einmal erwärmt und an vier Kanten eingequetscht. Dadurch wurde der Kitt zwischen Fassung und Glas, der aufgrund seiner Kohärenz die Birne in dem Metall drehungsfest macht, noch fester zusammengedrückt, in vier Sektoren. Dies war aber an sich auch kein besonders geschicktes Verfahren, weil das Glas an der Stelle zwischen Glasballon und innerem Entlüftungsrohr, also am Teller, besonders dick ist, so dass nach der Einschmelzung dort große Molekularspannungen auftreten, was zur Folge hatte, dass schon bei der Herstellung sieben Prozent kaputt gingen. Und sieben Prozent von fast fertigen Glühbirnen, die nur noch einmal an vier Stellen am Teller eingequetscht werden mussten, das ist zu viel. Heute wäre meine Erfindung aus Fabrikationsgründen lächerlich, aber damals wurden die Glühbirnen noch mit Flusssäuresalzen von innen rauhmattiert, und infolgedessen hatte man die Maschinen und Vorrichtungen und die Stempel für dieses Rauhätzungsverfahren. Und meine Erfindung bestand aus nichts anderem, als dass ich vorschlug: Ätzt doch den Teller von außen rauh! Damit nämlich der Sockelkitt besser haftet, und probiert mal aus, ob das nicht schon langt.

Dann hast du ja den ganzen Herstellungsprozess bei der Orbis-Glühbirnenfabrik kennen müssen, als Schüler schon, wenn du solch einen Vorschlag machen konntest.

Ja, ich hatte zuvor schon mal eine Idee gehabt – für klebbare Blitzlichtbirnen, die waren damals, 1937, noch ganz neu. Und sie waren fast so groß wie Glühbirnen. Mussten aber natürlich kein feines Vakuum haben.

Weil sie nur einmal brennen mussten.

Ja, also ich hatte bei der Herstellung dieser Blitzlichtbirnen einen Verbesserungsvorschlag gemacht, und die hatten gemeint, das kann nicht funktionieren, worauf ich gesagt hatte, probiert es doch aus – und es klappte. Und seitdem imponierte ich dem Ingenieur dort: „Sie haben doch immer solche Ideen! Wir haben da einen Auftrag, den wir nicht annehmen können, weil wir kein Verfahren haben, die Birnen sockelfest zu machen?“ Ich hatte schon einiges über chemische Technologie gelesen, das interessierte mich, und also schlug ich zur Verbesserung der Haftung diese Rauhätzung vor. Da wurde dann auch gleich das Patent dafür angemeldet, und ich bekam einen Vertrag und hätte viel Geld verdient und meine ganze Familie aus ihrer finanziellen Misere gerissen, aber dann gab es in Frankreich einen großen Finanzskandal, die so genannte Stavisky-Affäre, infolgedessen wurde der Franc abgewertet, und das Glühbirnengeschäft fiel ins Wasser. Mein Vater sagte: „Ich habe immer gewusst, diese Erfindungen waren ein Unsinn.“

Von meiner Glühbirnenerfindung habe ich dann nur noch einmal gehört. Ich bekam einen Brief von Osram, der Chefingenieur Herr Geiger wünschte mich zu sprechen: Er war klein, drahtig, grauhaarig, trug Parteiabzeichen – das durften Deutsche damals in Österreich schon tragen – und sagte: „Sie sind Herr Fried. Gestatten Sie, dass ich erst mal fünf Minuten lache.“ (Weil ich noch ein Kind war!) Und dann sagte er: „Junger Mann, wenn Sie schon so intelligent sind, so etwas zu erfinden, wieso sind Sie dann nicht intelligent genug zu wissen, wo man das anbieten muss? Wir hätten das schon allein deswegen aufgekauft, damit es uns Ärger erspart.“ Und ich sagte: „Grad deswegen habe ich es Ihnen nicht angeboten.“

Gehörte denn außer „International GE“, „Associated Electrical Industries“ und der „General Electric Company“ auch „Osram“ damals zum Glühbirnenkartell?

Ja, natürlich, auch „Helix“ und viele andere. Als die Nazis kamen, wurde der Besitzer der Orbis-Glühbirnenfabrik sofort verhaftet. Man ließ ihn erst wieder frei, nachdem er seine Firma für einen Pappenstiel an das Kartell verkauft hatte. So gut klappte die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Politik. Damals war Osram maßgebend im Kartell – es stand unter deutscher Hegemonie. Überhaupt war die Kartellpolitik damals sehr merkwürdig: Beispielsweise kämpfte es gegen schon bestehende Herstellungsverfahren bei kleineren Firmen, indem es Patentprozesse anstrengte, von denen es wusste, dass sie nicht zu gewinnen waren. Aber es konnte diese Prozesse von der Einkommensteuer her bezahlen, jahrelang, und damit die betroffenen Firmen lähmen oder sogar ruinieren. In diesem Zusammenhang bekam ich von Orbis mal schöne neue Glühbirnen mit Reflektor (nicht wie heute unten, sondern oben, am Teller), und mit diesen Glühbirnen sollte ich in die Vorstädte gehen. Dort gab es Läden mit alten Glühbirnen, die längst ausgebrannt waren, die lagen in den Schaufenstern zur Auslage. Die Wirtschaftslage war damals so, dass die sich neue zur Dekoration nicht leisten konnten, also lagen da noch teilweise zehn Jahre alte kaputte Glühbirnen herum. Ich konnte von draußen erkennen, welche Jahrgänge das waren – an der Verspannung innen beispielsweise –, und dann gab es auch noch ganz alte, die unten eine Entlüftungsspitze hatten.

Um diese Birnen ging es: Die waren hergestellt worden nach dem Verfahren, für das das Kartell Rechte beanspruchte, sie waren aber tatsächlich schon vor deren Patent hergestellt worden, so dass mit dem Vorlegen dieser Birnen, die alle eine eingeprägte Jahreszahl am Sockel besaßen, der Prozess gegen das Kartell sehr schnell gewonnen wurde. Das Beweismaterial hatte ich in diesen Vorstadtläden bekommen, indem ich die alten kaputten Birnen gegen die neuen mit Reflektor eintauschte. Man konnte dazu keine alten Birnen aus dem Firmenarchiv von Orbis nehmen, weil die ja auch hätten gefälscht sein können. Ein beliebter Kartelltrick war daneben das Sperrpatent auf Herstellungsverfahren, die real noch gar nicht durchgeführt werden konnten. Beispielsweise das Zusammenkleben einer Glühbirne, statt sie wie üblich zusammenzuschmelzen. Das konnte man damals noch nicht machen, weil es keinen Klebstoff gab, der dicht genug war, um bei einer Erhöhung der Temperatur auf 400 Grad Celsius keine Dämpfe abzugeben. Auf 400 Grad Celsius musste man aber die Glühbirne erhitzen, weil erst bei dieser Temperatur die letzten Sauerstoffreste, die an der Innenseite des Glasballons haften, verschwinden – entweder durch Entlüftung oder durch Phosphor, das in der Lampe innen aufgespritzt wird und dann den Sauerstoff bindet. Phosphor hat man deswegen genommen, weil es eine größere Valenz hat für das Oxygen als die Wolfram- oder Tungsram-Füllung. Man nennt diese Stoffe, die zur Herstellung eines Feinvakuums zusätzlich zum Auspumpen verwendet werden, „Getter“ – they get the oxygen. Diese Phosphorverbindungen also, das waren die Getter bei der Glühbirnenherstellung, und die funktionierten eben nur bei 400 Grad. Und deswegen musste man die Birnen zusammenschmelzen und konnte sie nicht kleben. Da aber theoretisch die Möglichkeit bestand, dass irgendwann mal ein solcher hitzebeständiger Klebstoff erfunden wurde, wurden einstweilen schon mal Patente fürs Kleben vom Kartell angemeldet, die aber eigentlich gar keine richtigen Patente waren, weil sie sich auf noch nicht realisierbare Verfahren bezogen. Das heißt, man konnte solche geklebten Glühbirnen herstellen, aber sie hielten nur 100 Stunden statt 1.000.

Gibt es eigentlich eine „unsterbliche Glühbirne“? Thomas Pynchon erwähnt sie in seinem Roman „Die Enden der Parabel“, und meine Eltern haben mir versichert, dass solch eine mal auf der Stockholmer Weltausstellung gezeigt wurde.

Nein, man hat immer wieder davon geredet, und es ist auch ganz leicht, eine solche Glühbirne herzustellen, aber die Lichtausbeute ist gering: Der Glühdraht hält zwar viel länger, wenn er weniger heiß gemacht wird, nur wächst die Lichtausbeute mit der fünften Potenz der Temperatursteigerung: Also, es lohnt sich nicht, sie langlebiger zu machen, wenn sie dafür nur halb so viel Licht hergibt.

Was ist in diesem Zusammenhang von den alten Kohlefadenbirnen zu halten?

Die sind weniger ergiebig und haltbar als die Wolframlampen, das Material ist spröder.

Das wundert mich. Die dauerhafteste Glühbirne der Welt ist nämlich eine Kohlefadenbirne, die angeblich seit 1901 schon brennt.

Das ist wohl möglich; wenn sie nicht für den schnellen Verschleiß hergestellt worden ist, mit ganz dickem Kohlefaden, mit niedriger Glühtemperatur, dann hält der natürlich, aber die Birne hat dann keine hohe Lichtausbeute, im Vergleich zur normalen. Eine wirtschaftliche Erfindung ist nicht immer das, was gewollt wird. Das Komische ist, und daran haben damals der Ingenieur bei Orbis und ich immer geglaubt, dass die Sowjetunion da Abhilfe schaffen wird und alle Erfindungen, die in der bürgerlichen Welt nicht hergestellt werden, weil sie den Leuten das Geschäft vermasseln, realisieren werden. Nichts davon ist geschehen. Praktisch das einzige, das wirklich in diese Richtung ging, wurde von Hitler gemacht; das war der Volkswagen. Der wurde zu militärischen Zwecken entworfen und sollte daher nicht den eingebauten Verschleiß haben und ewig rollen. Davon haben die Volkswagenwerke dann nach dem Krieg profitiert – „Er läuft und läuft und läuft!“. Ansonsten ist es eigentlich ein schlechter Wagen, er gerät leicht ins Rutschen, ist wenig unfallsicher usw.

Alfred Sohn-Rethel war vor einigen Jahren in China und hat dort auch eine Glühbirnenfabrik besucht. Die Chinesen sind sehr stolz auf ihre Glühbirnen. Es gibt kaum ein Plakat oder Bild von einer Familie, einer Parteiversammlung, eines Festes, auf dem keine Glühbirne leuchtet, sie ist geradezu ein Symbol des sozialistischen Fortschritts in China.

Ich weiß nicht, ob die chinesischen Glühbirnen besser sind, das müsste man mal untersuchen.

Das ganze, vorab noch nicht veröffentlichte Interview findet sich in „Das Glühbirnenbuch“, edition selene, Wien 2001, 49,90 Mark. Der Band erscheint in diesen Tagen.