Der zerlesene Bestseller

Buchhandlung Kiepert kurz vor der Insolvenz. Mitarbeiter gekündigt, Filialen verkauft. Lieferanten wollen Waren zurück. Betriebsrat: Der einstige Platzhirsch reagierte zu spät auf Konkurrenzkampf

von JÖRG SUNDERMEIER

Der Zusammenbruch zeichnete sich seit längerem ab. Bereits vor Monaten ging das Gerücht um, dass das Traditionsunternehmen Kiepert säumig in Rechnungsdingen sei. In Buchhändlerkreisen wurde erzählt, dass einige Verlage ihre Lieferungen an das Unternehmen eingestellt hätten. Auf solche Gerüchte ist meist nicht viel zu geben, Konkurrenz macht hier die Nachrichten groß, und Kiepert galt bei einigen so genannten Kennern bereits 1999 als bankrott. Doch hielten sich die schlechten Nachrichten hartnäckig. Jetzt ist die Krise da, und sie ist keine kleine.

So berichtete das Fachmagazin Buchmarkt, dass Kiepert per Rundschreiben sämtliche Lieferanten gebeten habe, „bis zum 17. Juli auf 60 Prozent der aufgelaufenen Forderungen zu verzichten. Andernfalls bliebe nur der Insolvenzantrag.“ Bereits am Samstag, so berichteten Kiepert-Angestellte, hatte der mächtige Hamburger Zwischenhändler Libri versucht, von ihm gelieferte Ware wieder aus dem Geschäft zu holen. Die Libri-Mitarbeiter mussten allerdings nach einigen Auseinandersetzungen unverrichteter Dinge wieder abziehen.

Wie die Gewerkschaft Ver.di mitteilt, seien bereits rund 60 Kündigungen ausgesprochen worden, zudem seien die gewinnträchtigen Filialen in Zehlendorf und an der Schönhauser Allee an die Buchhandelskette Thalia verkauft worden. Der Verkauf des Haupthauses an der Hardenbergstraße soll lediglich am Preis gescheitert sein. Die Filialen in den Pro-Märkten Kurfürstendamm und Reinickendorf werden zum Ende dieses Monats geschlossen, da, so eine Pro-Markt-Sprecherin, die Mieten zuletzt nur teilweise oder gar nicht überwiesen worden seien.

Es steht zu erwarten, dass Kiepert heute Insolvenz anmelden wird – wer selbst sein Haupthaus zum Verkauf anbietet und über die Hälfte seiner Verbindlichkeiten im Buchhandel nicht mehr decken kann, ist wohl verloren.

Dabei sah 1998, zum hundertjährigen Jubiläum der Firma, alles noch so rosig aus. Das Familienunternehmen war im Berlin des Kalten Krieges schlicht „das“ Buchhaus im Westteil der Stadt gewesen. Auch nach dem Fall der Mauer konnte sich Kiepert als „Platzhirsch“ behaupten. Leicht wurden Filialen der Firmen Virgin und des französischen Buchhandelsriesen Fnac verdrängt. Auch der Filialist Herder musste sein lukratives Geschäft an der Gedächtniskirche aufgeben. Zudem expandierte Kiepert in den Neunzigerjahren stark und hatte in Berlin zuletzt neun Filialen mit rund 230 Mitarbeitern.

Doch schon Mitte der Neunziger hatte Kiepert kaum noch eine Wahl. Entweder hätte man sich als kleinere Fachbuchhandlung gegen die immer stärker auf den Berliner Markt drängenden Großbuchhandlungen behaupten müssen – der Untergang vieler Traditionsbuchhandlungen zeigt, das dies nicht unbedingt ein sicherer Weg gewesen wäre. Oder man konnte versuchen, seine Platzhirschposition zu nutzen und so den Großen zuvorzukommen. Die Geschäftsführung entschied sich für Letzteres.

Heute weiß man, es war der falsche Weg. Kiepert hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, dass die Konkurrenz einen so kostenträchtigen Kampf um die Hauptstadt wagen würde, zugleich aber schien die Geschäftsführung die eigene Situation nicht mehr richtig einschätzen zu können. Der Betriebsrat spricht denn auch offen von „Misswirtschaft“. Es ist offensichtlich, dass die Maßnahmen zur Rettung des Unternehmens viel zu spät eingeleitet wurden. Vielleicht sind einige wenige Unternehmensteile noch zu retten. Für die meisten Angestellten aber ist das kein Trost.