Spieglein, Spieglein, auf dem Land

Wo die Landschaft nicht aufhört, Himmel zu sein, und das Eis sich wie Holz gibt: Zeitgleich zeigen zwei Berliner Galerien die über einen gewitzten Umweg mitten in der Arktis entstandenen Fotografien des Finnen Jorma Puranen

Unspektakuläre Bildideen werden bei Puranen zur faszinierenden Angelegenheit

Finnland war als Land der bildenden Kunst noch vor wenigen Jahren beinahe unbekannt. Mythen wie die des schweigsamen Finnen kursierten, Geschichten von weltentrückten Sonderlingen, denen die Filme von Kaurismäki ein wunderbares Denkmal gesetzt haben.

Doch das Land ist in Bewegung: Seit Auflösung der Sowjetunion orientiert sich Finnland neu – und rückt immer mehr von der Peripherie ins Zentrum des politischen und kulturellen Europa. Die Fotografie, so scheint es, ist das Medium, das die Aufbruchstimmung am besten einzufangen vermag. Seit einigen Jahren schon haben sich finnische Fotografen (zumeist Absolventen der legendären „University of Art and Design“ in Helsinki) wie Ola Kolehmainen, Miklos Gaál, Niko Luoma, Jyrki Parantainen und Santeri Tuori auf dem Kunstmarkt etabliert. Immer häufiger waren finnische Fotografen und Fotografinnen in Kunstvereinen und Museen zu sehen, und heute gelten viele der Absolventen der „Helsinki School“ als neue Stars des internationalen Kunstmarkts.

Ein bedeutender finnischer Fotokünstler ist der 1951 in Helsinki geborene Jorma Puranen, der 1973 bis 1978 an der University of Art and Design studiert hat. Seine Fotoarbeiten wurden viele Jahre durch die Begegnung mit der Volksgruppe der Samen geprägt – der Ureinwohner Lapplands.

Für seine zwischen 1991 und 1994 entstandene Serie „Imaginary Homecomings“ inszenierte Puranen vergrößerte Positiv- und Negativabzüge von im 19. Jahrhundert entstandenen Aufnahmen aus ethnologischen Archiven vor der nordfinnischen Landschaft. Ein fotografischer Einspruch gegen den anthropologischen Blick jener frühen Fotografien, die die Menschen stets vor neutralem Hintergrund inszenierten – ganz losgelöst von ihren kulturellen Zusammenhängen. Puranen brachte die Porträtierten sozusagen wieder nach Hause – eine echte „imaginäre Heimkehr“.

Später entstand die Serie „Shadows, reflections and all that sort of thing“, bei der Puranen alte Porträtgemälde abfotografierte. Doch nicht die Dokumentation der alten Meister aus dem 17. und 18. Jahrhundert war sein Ziel, nicht Präzision der Abbildung, sondern die Wahrnehmung selbst. Firnis, Unebenheiten, Risse in der Leinwand, die im Museum oft so störenden Spiegelungen auf der malerischen Oberfläche: all das rückte Puranen in den Fokus, vergrößerte das Wahrgenommene so lange, bis ganz neue Welten, neue imaginäre Landschaftsbilder entstanden.

Seine jüngste Serie, „Icy Prospects“, jetzt zu sehen in der Galerie Blickensdorff und zeitgleich in der Berliner Villa Oppenheim, geht diesen Weg weiter: Puranen fotografierte die Reflexionen des Lichts auf mit schwarzem Alkyd bestrichenen Holztafeln – was sich erst mal ganz unspektakulär anhört. Doch unter der fotografischen Ägide Puranens wird das Ganze zu einer faszinierenden Angelegenheit.

Unwirklich leuchten diese Bilder, kühl, wie durch eine Eisschicht fotografiert. Und tatsächlich ist es die arktische Landschaft, die sich auf der von Puranen fotografierten schwarzen Farbschicht spiegelt. So einfach die Bildidee, so irritierend ist die Bildwirkung der mit einer Toyo-Field-Laufbodenkamera – bei der sich das Objektiv auf Schienen den Boden entlang verschieben lässt – im Großformat gewissermaßen über Bande fotografierten Natur. Wir sehen den Himmel, Wasser, Bäume, sogar eine stehende Person meinen wir zu erkennen – und mehr: Auch der Duktus des Pinselstrichs ist zu sehen, die Maserung des Holzes, seine Kerben – alles fließt zusammen zu einer rätselhaften Synthese aus Realität und Imagination, aus Abstraktion und Abbildungsgenauigkeit, aus Schönheit und Rätsel. Aus Malerei und Fotografie.

„Für mich ist der Norden mehr als ein spirituelles Zuhause. Er hat mich zu dem geformt, was ich bin“, sagt Puranen. Und zeigt die eisige Wirklichkeit als Traum, als eine Zwischensphäre, in der die Welt zum Staunen einlädt. MARC PESCHKE

Bis 20. Mai: Villa Oppenheim, Schlossstr. 55, Di.–Fr. 10–17 Uhr, So. 11–17; bis 25. Mai: Galerie Blickensdorff, Auguststr. 65, Di.–Fr. 14–19 Uhr, Sa. 12–17 Uhr