„Wir brauchen mehr Zeit“

Vor genau einem Jahr machte in Deutschland der Begriff der „No-go-Area“ die Runde. Was hat sich seither getan? Moctar Kamara, Mitglied im Vorstand des deutschen Afrika-Rates, zieht Bilanz

MOCTAR KAMARA, 42, ist Diplom-Philosoph, hat in Frankreich studiert und lebt seit elf Jahren in Berlin

INTERVIEW ALKE WIERTH

taz: Herr Kamara, vor einem Jahr wurde die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland eröffnet. Zu jener Zeit waren Sie als Vorstandsmitglied des Afrika-Rates mit Ihrer Warnung vor sogenannten „No-go-Areas“ für dunkelhäutige Gäste in Berlin und Brandenburg kurzfristig ein regelrechter Medienstar. Was hat das öffentliche Interesse von damals Ihrem Anliegen gebracht?

Moctar Kamara: Manche kennen den Afrika-Rat noch. Nein, im Ernst: Es hat mich sehr gefreut, dass so eine große Debatte ausgelöst wurde. Ich hatte den Begriff der „No-go-Area“ bereits lange zuvor zum ersten Mal benutzt. Aber im Vorfeld der WM bekam das Thema Bedeutung, auch mit der Unterstützung von Uwe Carsten Heye als Vorsitzender von „Gesicht zeigen!“, der den Begriff der No-go-Area aufgegriffen und sich dabei auf den Afrika-Rat bezogen hat.

Hatte diese Debatte Folgen?

Das Thema Rassismus wird immer noch auf einer breiten Ebene diskutiert. Wichtige Politiker bis hin zum Bundespräsidenten haben sich mittlerweile zu dem Thema geäußert. Das ist gut. Praktisch könnte aber ein bisschen mehr passieren.

Worum ging es Ihnen damals?

Anlass dafür, dass wir an die Öffentlichkeit gegangen sind, war der rassistische Überfall auf Ermyas M., einen Deutschen afrikanischer Herkunft am Ostersonntag 2006 in Potsdam. Wir wollten ein Stoppzeichen setzen, damit so etwas nie wieder passiert. Und es ging uns auch darum, den speziellen Rassismus gegenüber Schwarzen zu thematisieren. Der äußert sich in Begriffen wie dem berühmten „N-Wort“ und viele Vorurteile gegenüber schwarzen Menschen. Die führen zu einer Herabsetzung von Schwarzen auf quasi „untermenschliches“ Niveau. Die Konsequenz davon ist: Die Akzeptanz von Afrikanern ist sehr gering.

Hatten Sie damit den erwünschten Erfolg?

Ja, bis zu einer gewissen Grenze. Wir hatten damals beispielsweise ein Gespräch mit dem brandenburgischen Ministerpräsidenten Platzeck. Der hat uns verstanden und angeregt, dass Schul- und Geschichtsbücher diesbezüglich überprüft und notfalls geändert werden müssten. Wir hatten als Afrika-Rat auch einige Kooperationsangebote aus Brandenburg.

Was ist daraus geworden?

Bisher nichts, das lag aber auch an uns. Der Afrika-Rat ist die erste Dachorganisation von Menschen afrikanischer Herkunft. Man braucht ein bisschen Zeit, um Erfahrungen mit dieser Arbeit zu sammeln. Wir waren damals einfach noch nicht so weit, auf solche Angebote einzugehen. Wir hatten sehr wenig Erfahrung mit solchen Kooperationen oder eigenen Projekten. Solche Probleme gibt es bei allen Migrantengruppen, die beginnen, sich zu organisieren. Und nach der WM kamen solche Angebote dann auch seltener.

Wie haben denn andere Organisationen für die Belange von MigrantInnen auf Ihre Thematisierung rassistischer Bedrohung reagiert?

Fast ausschließlich positiv. Wir haben so viel Zuspruch bekommen, dass es uns selbst überrascht hat. Kritik vonseiten der Migrantenorganisationen gab es nur in Bezug auf den „Alleingang“ des Afrika-Rates. Die No-go-Areas betreffen ja nicht nur Afrikaner. Auf den Überfall auf Ermyas in Potsdam hatten die anderen Organisationen allerdings nicht reagiert.

Wie haben Sie denn dann damals eigentlich die Weltmeisterschaft erlebt? Haben Sie Fußball geguckt?

Ja, natürlich. Ich bin ein großer Fußballfan. Ich habe mich auch gefreut, dass Deutschland so weit gekommen ist. Aber eine deutsche Fahne hätte ich mir damals nicht über den Balkon gehängt.

Warum nicht?

Aus dem gleichen Grund, aus dem ich nicht die deutsche Staatsbürgerschaft annehme: Solange hier Menschen allein aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert werden, kann ich mich nicht als Deutscher fühlen. Und diese Diskriminierung hat jeder Mensch afrikanischer Herkunft hier erlebt.