Chávez übt sich in Pragmatismus

Venezuela soll IWF und Weltbank verlassen – jetzt aber doch nicht mehr „sofort“

PORTO ALEGRE taz ■ Nach wie vor will Hugo Chávez, dass Venezuela dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank den Rücken kehrt. Was der Staatschef mit dem losen Mundwerk allerdings nicht will, ist, sich dabei auf einen Termin festlegen zu lassen: Auf einer Pressekonferenz in Caracas sagte er jetzt, seit seiner „politischen Erklärung“ Ende April beschäftige sich eine „technische Arbeitsgruppe“ mit dem Thema.

Aus deren ersten Ergebnissen habe er gefolgert, dass „wir weiter in dieser Richtung gehen werden – aber wir müssen das aus technischen Gründen nicht sofort machen“. Denn ein Austritt würde sich auf die „Wirtschaft und die venezolanischen Schulden“ auswirken. Damit bestätigte er Einschätzungen, die Analysten bereits in den letzten Wochen verbreitet hatten. Zwar hat Venezuela sämtliche Kredite bei IWF und Weltbank zurückbezahlt, doch über Staatsanleihen steht das Land bei privaten Anlegern mit 22 Milliarden Dollar in der Kreide. Viele der Inhaber dieser hochverzinsten Dollar-Bonds könnten bei einem IWF-Austritt auf sofortiger Rückzahlung bestehen – laut der Ratingagentur Fitch geht es um etwa 4,5 Milliarden Dollar.

Um einen Teil des zirkulierenden Geldes in Venezuela abzuschöpfen und dadurch die Inflation einzudämmen, hatte die Regierung in den vergangenen Monaten Wertpapiere in Höhe von 10 Milliarden Dollar ausgegeben. Allein die staatliche Erdölfirma PDVSA ist jetzt mit 15 Milliarden verschuldet, was bei den derzeitigen hohen Ölpreisen auf ein eigenartiges Finanzmanagement hindeutet.

Mit seiner vollmundigen Ankündigung hat Chávez seine Ministerialen nicht zum ersten Mal in Verlegenheit gebracht. Nachdem er im Januar und Februar die Nationalisierung von Stromunternehmen und der größten Telekommmunikationsfirma CANTV verkündet hatte, sackte der Börsenindex von Caracas an einem Tag um ein Fünftel ab. Finanzjongleure können unter solchen Bedingungen gute Geschäfte machen. Der Präsident vernebelt mit seiner Rhetorik zudem, dass seine Wirtschaftspolitik viel pragmatischer ist, als es oft den Anschein hat: Strom-, Telekom- oder Ölmultis werden nicht enteignet, sondern verkaufen ihre Anteile gewinnbringend an den Staat.

Umstritten ist aber auch, ob ein IWF-Austritt Venezuelas politisch opportun wäre. Brasilien solle auf Chávez einwirken, damit der keine „überstürzte Entscheidung“ treffe, meint IWF-Kritiker Paulo Nogueira Batista Jr., der jetzt als brasilianischer Vertreter im Direktorium des Fonds sitzt: „Sonst isoliert sich Venezuela und schwächt damit seine südamerikanischen Verbündeten.“ Vielversprechender sei die mit Argentinien, Bolivien, Brasilien, Ecuador und Paraguay beschlossene Gründung der Bank des Südens, die ebenfalls auf Hugo Chávez zurückgeht. „Dadurch kann die Verhandlungsposition unserer Länder gegenüber IWF, Weltbank und Interamerikanischer Entwicklungsbank gestärkt werden“, umreißt Batista die mittelfristige Perspektive. GERHARD DILGER