5.000 Meter unter dem Meer

Der geografische Nullpunkt der Erde befindet sich im Golf von Guinea, am Schnittpunkt von Greenwich-Meridian und Äquator. Heute versenkt die Berliner Künstlergruppe FallerMiethStüssiWeck dort eine Stahlkugel. Darin befindet sich: fast nichts

VON MAREIKE BARMEYER

Graublau ist der Himmel dort, wahrscheinlich, graublau wird auch das Wasser sein um das Schiff. Wie sie sich auch drehen und wenden, sie sehen nur Horizont, diese Linie, die Wasser und Himmel voneinander trennt. Die Sonne ist von Wolken verhangen, es ist heiß und das Meer ruhig. So könnte es am geografischen Nullpunkt aussehen, den die vier Künstler der Künstlergruppe FallerMiethStüssiWeck (FMSW) heute, vielleicht jetzt in diesem Moment, mit „Nichts“ markieren wollen.

FMSW, das sind Lina Faller, Marcel Mieth, Thomas Stüssi und Susanne Weck, Absolventen der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Seit ihrer Gründung 2001 beschäftigen sie sich mit Positionierung, Positionssuche und GPS und beziehen sich damit auf die Geografie ebenso wie auf die Kunst.

In ihrem Atelier in der Fritz-Riedl-Straße in Friedrichshain darf ich ihr „Nichts“ bewundern. Das „Nichts“ ist wunderschön, ich kann mich sogar darin spiegeln. Eine Kugel musste es sein, damit sie dem Druck in 5.000 Meter Tiefe standhalten würde, und 25 cm Durchmesser sollte sie haben und mit „Nichts“ gefüllt sein. Das ungefähr waren die Angaben, mit der FMSW eine Firma betraut haben. Auf einer Säule mitten in ihrem Büro fühlte sie sich kühl an und glatt. In ihrem Innern, von 3 cm starken Edelstahlwänden geschützt, befindet sich ein Vakuum mit einer Annäherung an Nichts von 0,000001 Bar. Aus einem 140 kg schweren Edelstahlblock wurden zwei Halbschalen mit einem Gesamtgewicht von 40 kg gefräst; die zwei Halbschalen wurden dann unter dem besagten Vakuum ohne Zuführung eines Verbindungsmateriales miteinander verschmolzen. Der dadurch entstandene korosionsbeständige Behälter kann ein Vakuum auch in 5.000 Meter Tiefe bei 500 Kilo Druck auf jeden Quadratzentimeter über mehrere tausend Jahre erhalten.

Der Plan von FMSW ist, mit diesem „Nichts“ den geografischen Nullpunkt zu markieren, heute, und zwar heute, am 11. Juni. Sie wollen den Punkt mit einem Motorboot umkreisen und die Kugel im Meer versenken. Der Schnittpunkt vom Greenwich-Meridian und dem Äquator, der geografische Nullpunkt, befindet sich im Golf von Guinea, etwa 600 km südlich der Küste Ghanas. Auf Globen und Landkarten ist dieser Punkt ein ignorierter Fleck. Trotzdem ist er Referenzpunkt, Ursprung und Zentrum jeglicher geografischer Orientierung in der Welt, entstanden durch die Geschichte der Seefahrt, nie begehrt, nie umkämpft und nie markiert – aber von allen genutzt. Am 10. Mai haben FMSW in Hamburg ein Containerschiff bestiegen, das sie als Passagiere mit nach Accra genommen hat. Dort wollten sie ein Hochseefischerboot suchen, um in die Nähe des Nullpunkts zu kommen.

Sympathisch unordentlich ist das Büro, in dem sie mir davon erzählen. Man merkt, es wird hier gearbeitet. An den Wänden hängen unterschiedliche Karten, alle sind mit einem Fähnchen am Nullpunkt markiert. Auf einer Karte sind die Flächenverhältnisse naturgetreuer abgebildet als auf den anderen. Europa wirkt da verhältnismäßig klein im Gegensatz zu den übrigen Kontinenten. Darum geht es nämlich bei ihrer Expedition gegen null, um die Willkürlichkeit oder Abstraktheit des geografischen Nullpunkts.

„Unsere Reise zum Nullpunkt ist eine Expedition zu einem Konstrukt, das mittels der Markierung in einen realen Ort überführt wird“, sagen sie. Wenn sie wiederkommen, soll ein Buch daraus entstehen. Wie lässt sich die Null oder das Nichts beschreiben? Wo beginnt null? Wie weit kann man sich ihr nähern? Das alles sind Fragen, mit denen sich das Künstlerteam auseinandersetzt. Sie haben eine ausgewählte Reisebibliothek mitgenommen, darunter Joseph Conrads „Heart of Darkness“, Puschkins „Onegin“ und Hawkings „Eine kurze Geschichte der Zeit“. Auch eine Reiseschreibmaschine kam mit an Bord. Auf der langen, recht eintönigen Fahrt mit dem Containerschiff wollen sie sich selbst „runterfahren“, sich auf null vorbereiten. Auf null kommen ist das Ziel.

Marcel Mieth spricht von einer Expedition, nicht von einer Reise. „Eine Expedition kann auch scheitern“, sagt er, „man denke nur an die unzähligen erfolglosen Versuche, den Nord- oder Südpol zu erreichen.“

Bis es so weit ist, kann man eine an die vier Meter hohe Hochseeboje im Monbijoupark in Berlin-Mitte bewundern. Diese von FMSW bei dem Büro Neulant/Van Exel in Auftrag gegebene Hochseeboje dient als Platzhalter für das Panoramafoto „Die Welt vom Nullpunkt aus gesehen“, das FMSW, unter anderem von ihrer Expedition mitbringen wollen.

Das Modell der Boje und andere FMSW-Werke unter www.fmsw.net