Zuwanderung: Schärfere Gesetze statt Hilfe

Die Migrationsexperten sind sich einig: Zwangsehen wird das neue Zuwanderungsrecht nicht verhindern.

Ohne Sprachkurs sollen Ehefrauen nicht mehr Nachziehen dürfen. Bild: ap

Wolfgang Schäuble hat lange an einer Verschärfungen des Zuwanderungsrechts gefeilt. Als der Bundesinnenminister merkte, dass es dafür Kritik hagelte, zog er die Frauenkarte. Mit den Maßnahmen, so der CDU-Politiker, sollten junge Ausländerinnen vor Zwangsheirat geschützt werden. Der Zeitpunkt war günstig: Monatelang war erhitzt über Ehrenmorde, Zwangsheirat und die Unterdrückung muslimischer Frauen debattiert worden - wer sollte da den Opfern Hilfe verwehren?

Die SPD jedenfalls nicht. Die Sozialdemokraten stimmten Schäubles Änderungswünschen in leicht abgespeckter Form zu. Und damit kann die Reform des Zuwanderungsrechts am heutigen Donnerstag im Bundestag als Teil eines großen Gesetzespakets mit dem sperrigen Titel "Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union" (siehe Spalte) verabschiedet werden.

Mit dem "Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union" ändert die große Koalition zahlreiche Bestimmungen beim Zuwanderungs- und Flüchtlingsrecht. Begründet wird das im Wesentlichen mit der Umsetzung von elf EU-Richtlinien, deren Frist zum Teil bereits abgelaufen ist, in nationales Recht. Die wichtigsten geplanten Änderungen sind:

Einschränkung des Ehegattennachzugs: Der Ehegattennachzug wird von einem Mindestalter beider Partner von 18 Jahren abhängig gemacht. Dies gilt auch für ausländische Ehepartner deutscher Staatsbürger. Zudem müssen die Nachziehenden bereits im Herkunftsland Deutschkenntnisse erwerben - und diese vor der Einreise nachweisen.

Integrationskurse: Wer künftig der Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs nicht nachkommt, kann mit einer Geldstrafe bis zu 1.000 Euro bestraft werden.

Einbürgerung: Bisher können in Deutschland lebende ausländische Staatsbürger unter 23 Jahren sich einbürgern lassen ohne nachzuweisen, dass sie ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren können. Damit sollte verhindert werden, dass Studenten oder Auszubildende ihre Ausbildung abbrechen und arbeiten gehen, um Deutsche zu werden. Diese Einbürgerungserleichterungen für junge Erwachsene werden jetzt gestrichen. Zudem müssen die BewerberInnen künftig vor der Einbürgerung Kenntnisse der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung und der hiesigen Lebensverhältnisse nachweisen - in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest.

Bleiberecht: Das Gesetz soll eine sogenannte Altfallregelung für langjährig geduldete Flüchtlinge schaffen. Sie bekommen ein Aufenthaltsrecht, wenn sie sich zum Stichtag 1. Juli 2007 seit mindestens acht Jahren (Alleinstehende) oder sechs Jahren (Familien mit minderjährigen Kindern) in Deutschland aufhalten und ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten, nicht straffällig geworden sind und Deutsch können. Anderenfalls erhalten sie die Aufenthaltserlaubnis "auf Probe" und bekommen bis Ende 2009 Zeit, Arbeit zu finden. Wie viele der rund 180.000 Geduldeten diese Regelung in Anspruch nehmen können, ist bisher ungewiss.

Ausländerzentralregister: Künftig sollen im AZR auch Fotos aller in Deutschland lebenden Ausländer gespeichert werden. Bisher war dies nur in einer Teil-Datei für Visum-Antragsteller vorgesehen. Die Fotos sollen auch mit Gesichtserkennungs-Software geprüft werden, um zum Beispiel Doppel-Identitäten aufzudecken.

Forscher: Es wird ein Aufenthaltstitel zu Forschungszwecken geschaffen. Dabei müssen sich die entsprechenden Forschungseinrichtungen zur Übernahme der Kosten für den Lebensunterhalt ihrer ausländischen Forscher während deren Aufenthalt in der EU verpflichten. Im Falle einer Abschiebung müssen sie diese bezahlen. TAZ, EPD

Dabei bezweifeln die ExpertInnen, dass die im Gesetz enthalteten Verschärfungen helfen, Zwangsehen zu verhindern. Die Maßnahmen dagegen, die die Fachleute in den Anhörungen einhellig gefordert hatten, sind im Gesetzentwurf nicht vorgesehen. Als "scheinheilige Veranstaltung" bewertet der migrationspolitische Sprecher der Grünen, Josef Winkler, denn auch das Gesetzespaket: "Unter dem Deckmantel, Frauen vor Zwangsheirat zu schützen, wird die gravierendste Verschärfung des Ausländerrechts seit Jahrzehnten durchgesetzt."

Der Gesetzentwurf sieht vor, das Nachzugsalter von ausländischen EhegattInnen von 16 auf 18 Jahre zu erhöhen. Zudem müssen PartnerInnen, die in die Bundesrepublik kommen wollen, künftig erste Deutschkenntnisse nachweisen. Eine Härtefallklausel für Menschen, für die es schlicht unmöglich ist, an einem Sprachkurs teilzunehmen, ist am Widerstand der Union gescheitert. Ausgenommen von dieser Regelung sind lediglich EhepartnerInnen aus Ländern wie den USA, Australien oder Japan, die auch bislang schon ohne Visum einreisen können.

"Das ist diskriminierend", kritisiert der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Kenan Kolat. "Zwangsheiraten wird man so nicht verhindern, aber die Zuwanderung aus unteren sozialen Schichten", sagt der TGD-Chef. "Und genau das ist das Ziel." Wie viele KritikerInnen hat Kolat zudem Zweifel, ob die Neuregelungen verfassungskonform sind.

"Zwangsehen werden trotzdem geschlossen werden", meint auch Elke Tießler-Marenda, Fachfrau des Caritasverbands. Der Nachzug des Ehepartners werde schlicht um einige Zeit verschoben. Auch die Annahme, mit ersten Deutschkenntnissen könnten sich betroffene Frauen leichter Hilfe suchen, sei realitätsfern. Dagegen könnten erste Deutschkenntnisse sogar kontraproduktiv sein, befürchtet die Migrationsexpertin.

"Wenn Deutschkenntnisse bestehen, kann man von der Verpflichtung zum Integrationskurs ausgenommen werden." Familien, die nicht wollen, dass junge Frauen über die Kurse Kontakte zur deutschen Gesellschaft bekommen, hätten dann leichteres Spiel. Ohnehin, kritisiert Tießler-Marenda wie viele ihrer KollegInnen, wisse man viel zu wenig über Zwangsheirat, um auf dieser Basis Gesetzesverschärfungen einzuführen. Belastbare Zahlen und umfassende Studien gäbe es nicht. "Trotzdem erschwert man die Bedingungen für alle Paare, auch für die, die aus Liebe oder anderen erwägenswerten Gründen ganz freiwillig heiraten - und das sind die weitaus meisten."

Wirklich helfen würden betroffenen Frauen dagegen Änderungen beim Aufenthaltsrecht, die ExpertInnen schon bei einer Anhörung zum Thema im vergangenen Jahr übereinstimmend gefordert hatten. "Wenn Zwangsverheiratete ein vom Ehepartner unabhängiges Ausfenthaltsrecht hätten, könnten sie sich in Ruhe aus der Beziehung lösen, ohne gleich Angst vor Abschiebung haben zu müssen", sagt Dagmar Freudenberg vom Deutschen Juristinnenbund.

Bislang müssen Betroffene zwei Jahre mit dem Ehepartner zusammenleben, bevor sie ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bekommen. "Dadurch werden die Opfer zum Verbleib in der Ehe gezwungen", sagt Freudenberg. Will man den Opfern wirklich helfen, müsse die Zwangsehe zumindest als "besondere Härte" anerkannt werden. Dann könnte ein eigenständiges Aufenthaltsrecht sofort erteilt werden. Eine solche Verbesserung sieht der Gesetzentwurf nicht vor.

"Wenn es Herr Schäuble wirklich um die Betroffenen von Zwangsheirat gegangen wäre, hätte er sich für eine einfachere Rückkehrregelung bei Heiratsverschleppung eingesetzt", kritisiert zudem die Geschäftsführerin von Terre des Femmes, Christa Stolle. "Doch davon steht kein Wort im Gesetzentwurf." Von Heiratsverschleppung betroffen sind Mädchen und junge Frauen, die in Deutschland aufgewachsen sind. Werden sie bespielsweise während des Sommerurlaubs in der Türkei zwangsverheiratet, haben sie nach sechs Monaten keine Möglichkeit mehr, nach Deutschland zurückzukehren. Dann erlischt selbst eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Nach den Erfahrungen von Terre des Femmes aber brauchen die Frauen häufig mehr Zeit, um sich aus der Ehe zu lösen und zurück nach Deutschland zu kommen.

Auch Opfern von Menschenhandel und Zwangsprostitution gewährt die Koalition kaum Erleichterungen. Zwar sollen die Betroffenen in Zukunft ein Aufenthaltsrecht für einen Monat bekommen, während dessen sie überlegen können, ob und wie sie vor Gericht gegen Menschenhändler aussagen wollen. Das ist nach Ansicht des "Koordinierungskreises gegen Frauenhandel" (KOK) viel zu wenig. "In einer so kurzen Zeit haben sich die meisten Frauen nicht stabilisiert", gibt Geschäftsführerin Katrin Adams zu bedenken.

Besonders ärgerlich ist Adams darüber, dass Opfer von Menschenhandel nicht ausreichend medizinisch und psychologisch versorgt werden. "Jedes Mal gibt es eine langwierige Prüfung der medizinischen Notwendigkeit. Es gibt Fälle, da dauerte die Prüfung ein Jahr. Wenn schwer traumatisierte Frauen dringend eine Therapie brauchen, ist das eine Katastrophe", beschreibt sie die Lage. Ein neuer Paragraf, der den Zugang zu dieser Versorgung sicherstellte, war im Gesetzentwurf vorgesehen, ist aber wieder gestrichen worden. Damit, so meinen KOK und Deutscher Frauenrat, erfüllt der Gesetzentwurf die EU-Opferschutzrichtlinie nicht.

"Die große Koalition lässt die Frauen wieder einmal im Regen stehen", kommentiert denn auch die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irmingard Schewe-Gerigk. "Sie verhindert nicht Zwangsverheiratung und Gewalt, sie verhindert den Zuzug."

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