Afrikanisches Kino: "Das bringt eine Menge zum Kribbeln"

Ein Gespräch mit dem nigerianischen Filmemacher Tunde Kelani über die Videoindustrie von Nollywood und digitale Technologie.

Szene aus Kelanis letztem Film "Abeni" von 2006 Bild: promo

taz: Herr Kelani, Sie drehen gerade Ihren neuen Film, "Pourquoi moi?", in Cotonou, in Benin. Was ist das technisch Besondere an diesem Dreh?

Tunde Kelani, geboren 1948, ist eigentlich Vertreter der alten Schule der hohen Filmkunst. Aber zusammen mit dem wirtschaftlichen Niedergang des Landes in den Achtziger- und Neunzigerjahren ging es auch mit der Kulturproduktion Nigerias bergab. Kelani musste finanziell und vor allem technisch improvisieren, um weiter Filme machen zu können. Dabei ließ er sich von "Nollywood" inspirieren, der ungestüm aufkommenden Videofilm-Industrie. Hier wurde lange Jahre vieles billig gemacht, aber immerhin - es wurde gemacht. Seither dreht Kelani auf Video oder digital. Zu seinen Filmen gehören "Abeni" (2006) "The Campus Queen" (2004) und "Saworoide" (1999).

Tunde Kelani: Wir drehen gerade zum ersten Mal im Hochauflösungsformat HD. Aber nicht nur das. Wir benutzen zusätzlich einen 35-mm-Adapter. So schließt sich der Kreis. Denn ich bin nun fast wieder zu dem technischen Medium zurückgekehrt, das ich fürs Filmemachen immer nutzen wollte und mit dem ich das Filmemachen gelernt habe. Das heißt, die Linsen sind dieselben wie beim Drehen auf 35 mm. Aber am Ende hängt eine Digitalkamera. Es ist also eine Mischung aus analog und digital. Ein Spezialfilmlabor in der Schweiz kann daraus, wenn man will, einen 35-mm-Film entwickeln. Ich glaube, dass sich das Filmemachen in Afrika in technischer Hinsicht neu erfinden wird. Denn mit diesem Endprodukt können wir überall an Filmfestivals teilnehmen.

Denken Sie da nicht ein Stück zu weit?

Wir haben vor dem Hintergrund der begrenzten finanziellen Mittel in Afrika gar keine andere Wahl, als technisch auf diese Weise zu arbeiten. Aber jetzt sind wir nicht mehr von einigen Festivals ausgeschlossen, weil wir deren Materialkriterien nicht erfüllen.

Ein nigerianischer Film, "Ezra" von Newton Aduaka, hat im März den Hauptpreis beim Fespaco-Filmfestival in Burkina Faso gewonnen. Hat das eine Strahlkraft auf die nigerianische Videoindustrie, auf "Nollywood"?

Viele haben die Bedeutung davon, dass ein nigerianischer Film den Fespaco-Preis gewonnen hat, noch gar nicht erkannt. 30 Jahre lang war Nigeria abgeschrieben, wenn es galt, ernsthafte Filme zu machen. Mit dem großen Wirbel um das populäre Heimkino "Nollywood" hatten viele Leute Nigeria in eine bestimmte Kategorie gesteckt. Und jetzt bringt Newton Aduaka Nigeria wieder zurück an die vorderste Stelle des internationalen Films. Die nigerianische Filmindustrie ist sehr vielfältig. Die charakteristischen, schnell produzierten Nollywood-Filme für die Massen werden auch weiter Absatz finden. Aber das nigerianische Publikum ist vielschichtig. Nicht alle wollen Nollywood-Videos sehen.

Was für Verbindungen gibt es zwischen den kommerziell sich selbst tragenden Nollywood-Filmen und dem Weltkino aus Afrika, das auf europäische Unterstützung angewiesen ist?

Querverbindungen haben sich bereits hergestellt. Für mich hängt im Bereich der Filmkunst alles von der wirtschaftlichen und gesellschaftliche Lage einer Nation ab. Auch in naher Zukunft werden wir afrikanischen Filmemacher weiter mit knappen Mitteln arbeiten müssen. Für mich ist das eine Herausforderung: mehr mit weniger zu tun. Das ist in meinem künstlerischen Leben schon so eine Art Grundkonstante. Aber die neuen technischen Möglichkeiten werden uns dabei helfen, die technische Kluft zu schließen.

Sehen wir mal von der technischen Kluft ab. Wie werden sich afrikanische Filme inhaltlich verändern? Werden sie ihre Geschichten anders erzählen, damit sie ein Publikum auch außerhalb Afrikas erreichen?

Wichtig ist, dass wir so viel wie möglich von unserer kulturellen Identität behalten. Denn das ist die Quelle, aus der wir Inspiration schöpfen. Keine Frage, dass wir uns auch dem Mainstream in der Welt annähern. Auch das internationale Publikum sieht seit einigen Jahren zum Beispiel nigerianische Filme bereits mit anderen Augen. Nicht mehr mit exotischer Neugier, sondern mit echtem Interesse. Nigerianische Filme werden zu den renommiertesten Festivals eingeladen. Wir stehen am Anfang, und es wird tausende Filme mehr geben. Das hat mit "Ezra" erst begonnen.

Wo steht Nollywood, und wo stehen Filmemacher wie Sie? Kommt man irgendwie zusammen?

Nollywood selbst ist sehr kommerziell. Das Geschäft steht im Vordergrund. Das afrikanische Kino braucht eine komplexere Formel aus Kommerz, künstlerischem Verständnis, Handwerkszeug, Professionalität und Kreativität. Das kann man "unabhängiges Kino" oder "alternatives Kino" nennen. In diese Richtung muss das afrikanische Kino sich entwickeln: dass es einerseits sein kreatives Potenzial und Handwerk zeigt und sich andererseits verkauft. Ich zum Beispiel lerne von Nollywood, wenn es um die Kommerzialisierung geht, und vom frankophonen Afrika-Film, wenn es ums Handwerkliche geht.

Zur Zeit sind Nollywood und ich aber noch auf unterschiedlichen Seiten. Die schauen auf mich und mögen vielleicht sagen: "Das ist kein erfolgreicher Geschäftsmann, sondern ein Künstler." Und ich schaue auf die und sage mir, das sind Händler. Aber darum geht es gar nicht. Sondern um die Vielschichtigkeit in der afrikanischen Kultur. Das ist das Interessante. Nollywood hat eine ganz wichtige Existenzberechtigung. Und ich auch. Uns geht es allen ums Geschichtenerzählen. Lediglich für ein unterschiedliches Publikum.

Was für Projekte interessieren Sie demnächst?

Ich drehe gerade einen Film, der eine wirtschaftliche und kulturelle Kollaboration fast der gesamten Subregion darstellt. Der Financier ist ein Yoruba aus Benin. Ich bin ein Yoruba aus Nigeria. Wir haben Techniker aus beiden Ländern. Die Schauspieler kommen aus Burkina Faso, Elfenbeinküste, Nigeria, Benin. So viele Talente von überall - das bringt eine Menge zum Kribbeln. Das zeigt mir, was wir in Afrika zusammen erreichen können.

INTERVIEW HAKEEM JIMO

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