Kolumne: "Integration" als Waffe

Die Ausländerfeindlichkeit wird subitler, ja sie ist sogar Teil des offiziellen Diskurses.

Die gute alte Ausländerfeindlichkeit der Siebziger- und frühen Achtzigerjahre war wenigstens ehrlich, weil offensichtlich. Man spottete etwa über Essgewohnheiten, unterstellte den Fremden, dass sie schlecht riechen, und rümpfte die Nase über die Vielzahl ihrer Kinder. Ich erinnere mich, dass ich in der neunten Klasse einmal die Hausaufgabe hatte, in einem Aufsatz diese Vorurteile zu widerlegen - und es wurde ein sehr langer Aufsatz.

Natürlich lebt diese Sorte Ausländerfeindlichkeit nach wie vor fort. Studien wie die der Universität Leipzig aus dem vergangenen Herbst zeigen: Entsprechende Einstellungen werden immer öfter vertreten - wenn Sie danach fragen. In der Öffentlichkeit allerdings können sich zumal die gebildeteren, ganz normalen Ausländerfeinde eines unauffälligeren und gesellschaftlich völlig anerkannten "Integrationsdiskurses" bedienen: Hier hat der Ausländerhass einen sogar ministeriell genehmigten Unterschlupf gefunden.

Man sollte das Wort "Integration" wirklich nur noch mit Anführungszeichen verwenden. Denn es ist zum einen keine offene Debatte, sondern ein Konflikt, eher schon: ein Ausgrenzungsprozess, für den sich eine feste diskursive Form etabliert hat. Und zum anderen, weil das Wort "Integration" inzwischen mit derart vielen Vor-Urteilen und Unterstellungen behaftet ist, dass es mehr eine bestimmte Position in dieser "Debatte" bezeichnet als ihren neutralen Gegenstand.

Dazu gehört bereits die Annahme, Ziel einer jeden Migration müsse von vornherein "Integration" sein - was im Falle der bundesdeutschen "Gastarbeiter" doch bereits durch den Begriff ad absurdum geführt wird. Zweitens die implizite Unterstellung, Integration bedeute die möglichst unauffällige Eingliederung der Zugezogenen - das Modell China Town und Little Italy ist nur im Urlaub, nicht aber im heimischen Berlin oder Köln attraktiv. Drittens wird "Integration" fast durchgehend als gescheitert gesehen: Nun gebe es eben "Parallelgesellschaften", Jugendgangs, radebrechende Migrantenmamis und dergleichen. Viertens wird dieses Scheitern nach der obligatorischen Selbstanklage "Wir multikulturellen Deutschen waren viel zu lange gutmütig" (wann eigentlich?) den Arbeitsmigranten und deren Kindern wie Enkeln vorgeworfen.

Am eigenen Leibe erfährt man diese Flut von Vorwürfen nicht nur, aber gehäuft, wenn man sich als Gesprächspartner einem durchschnittlichen, nicht etwa rechtsextremen Publikum deutscher Groß- und Kleinstädte stellt. Zum Beispiel auf Lesereise mit einem Buch, in dem allerlei Frauen türkischer Herkunft über ihr Berufs-, Familien- und Liebesleben sprechen. Dabei habe ich extra auch Frauen mit Kopftüchern befragt und einige "Importbräute", und es kommen sogar (dies war nicht geplant, sondern es ergab sich so) zwei Zwangsehen und ein bedrohlicher Fall von Stalking vor.

Man könnte ja meinen, für ein Buch mit kaum 200 Seiten sei das eine erkleckliche Summe patriarchaler Gewalt. Sie reicht vielen Zuhörern aber nicht. Bereits die Tatsache, dass mehrere der von mir interviewten türkischstämmigen Frauen studiert haben - während sie nach offizieller Sicht ja nicht einmal Deutsch sprechen, geschweige denn lesen können -, reizt das Publikum immer wieder zu entrüsteten Kommentaren. Überhaupt: 45 Minuten lang zuzuhören, wie Frauen namens Nimet und Hamide ihre eigenen, selbstbewussten Lebensentscheidungen treffen, statt ausschließlich Opfer zu sein, ist für so manchen bereits zu viel verlangt.

Da brechen aus dem Publikum Fragen hervor, im Tonfall mehr oder weniger offen aggressiv, die gar keine Fragen sind, sondern kaum verhüllter Ausländerhass: "Was kann man machen, damit das mit den Ehrenmorden endlich mal aufhört?" "Ich sehe doch selbst meine Nachbarin, von da bis da verschleiert, die geht nie allein aus dem Haus." "Wieso dürfen die bei uns Moscheen bauen, wenn Christen in Saudi-Arabien verfolgt werden?" "Woran liegt es, dass die Türken immer noch kein richtiges Deutsch können; wenn ich im Urlaub im Ausland bin, spreche ich doch auch Englisch!" - Hier wäre Logik Luxus.

Auf keine Grillparty kann man, wenn man einen türkischen Namen trägt, mehr gehen, ohne sich von 9/11 distanzieren zu müssen und in der Kopftuchfrage Stellung zu nehmen; und das Schlimme ist, wie meine Freundin und Kollegin Mely Kiyak kürzlich sagte, "dass wir solche Gespräche vermutlich die nächsten 30 Jahre unseres Lebens werden führen müssen". Natürlich trifft man auch auf andere, wunderbar aufgeschlossene Gesprächspartner. Man hört von unterstützenden Lehrern und Lehrerinnen, die sich einfühlen, mit Migrantenkindern viel Mühe geben.

Doch dieser aggressive Club von Lehrerinnen, der mich kürzlich in einer mittelhessischen Kleinstadt zum Thema Klassenfahrten bestürmte, ist eben keine Seltenheit. Mein Einwand, das Letzte, was Mädchen mit einem strengen oder schwierigen Elternhaus bräuchten, sei die zusätzliche Verachtung ihrer Lehrerinnen, verhallte in der allgemeinen Aufregung ungehört. Denn die Aggression, die diese Frauen gegen ihre ausländischen Schülerinnen verspüren, stellt sich ihnen selbst ja so dar, als sei sie gegen die Macht der bösen Väter gerichtet.

Dieser Mechanismus funktioniert sogar bei Leuten, denen das Weiterbestehen oder Wiedererstarken des Patriarchats sonst völlig schnuppe ist. Mit dem neuen Instant-Feminismus à la Schäuble, Kelek und Bild hat auch der letzte Chauvi eine Möglichkeit gefunden, seinen Ausländerhass legitim auszuagieren, indem er sich über die Unterdrückung der muslimischen Frau echauffiert.

Déjà-vu. Wer erinnert sich noch an den Anfang der Neunzigerjahre, als die "Asylantenschwemme" und der "Asylmissbrauch" in aller Munde waren? Als die Zeitungen von gehäuften Neonazi-Überfällen auf Flüchtlingswohnheime berichteten mit dem Tenor: "Diese Gewalt ist furchtbar. Aber wir haben wirklich zu viele Flüchtlinge aufgenommen!" Manche kritische Medienforscher meinten damals, die Überfälle selbst hätten gar nicht zugenommen, nur die Berichterstattung. Jedenfalls: Zwei, drei Jahre wurde das Grundrecht auf Asyl eingeschränkt.

Jetzt haben wir also die verschärfte Variante unseres Zuwanderungsgesetzes, das eigentlich ein Anti-Ausländer-Gesetz ist, ein Anti-Sozial-Schwache-Ausländergesetz - nach zwei, drei Jahren, in denen der deutschen Öffentlichkeit die zwangsverheiratete Anatolierin zum liebsten Sorgenkind geworden ist. Ihr macht übrigens das neue Gesetz das Leben noch schwerer. Es heißt, das Innenministerium sei wegen der wachsenden Ausländerfeindlichkeit beunruhigt. Welch Wunder: Die Geister, die man rief, wird man nicht so schnell wieder los. Womit ich nicht behaupten will, dass sich irgendein Arbeitskreis unter Schäuble oder bereits Schily zusammengesetzt und absichtsvoll geplant habe, die Stimmung im Lande gegen weitere anatolische "Importe" zu schüren.

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