Barbra Streisand: Herrin über die Gezeiten

Eine der liberalen Ikonen der US-Unterhaltungsindustrie steht erstmals auf einer deutschen Bühne. Hoffentlich hat sie all ihre Allüren mitgebracht.

Ihre letzte Welttournee? "Honey", hauchte Barbra, "its my first!" Bild: dpa

In den ersten Berichten aus Zürich und Wien war Irritierendes zu lesen. Überlieferungen von ihren Konzerten, also ihren allerersten Auftritten auf kontinentaleuropäischem Boden überhaupt. In Berlin steht sie erst morgen auf dem Programm, in der Waldbühne, man hofft, dass es nicht stürmt. Roger Willemsen jedenfalls fand sie, in Zürich beobachtet, klasse, aber was heißt das schon. Klasse? Im Zweifelsfall ein Urteil für jedes Sternchen nach dem Debütantenball. Seiner Kritik in der Zeit ist zu entnehmen, sie, die Göttin, die letzte echte Entertainerin, die Frau, welche inzwischen 47 Jahre im Showgeschäft prächtig überlebt, sie habe ihre Zuhörerschaft so gar nicht recht in den Bann schlagen können.

Geboren: am 24. April 1942 in Williamsburg, Brooklyn, New York City

Konfession: amerikanisch, jüdisch

Beruf: Entertainerin

Hits: "Woman In Love" (1981), "Stoney End" (1971), "Enough Is Enough" (mit Donna Summer, 1978), "The Way Were" (1974), "You Dont Bring Me Flowers" (mit Neil Diamond, 1978); "Happy Days Are Here Again" (1964), "People" (1965)

Beste Filme: "Is was, Doc" (1972), "Funny Girl" (1968), "So wie wir waren" (1973); Schlechteste Filme: "Yentl" (1983), "Herr der Gezeiten" (1991), "A Star Is Born" (1976)

Preise: Alle wichtigen, u. a. zwei Oscars, Grammies, Emmies, die Rose von Montreux und 2001 den Life Achievement Award für ihr Lebenswerk

Politik: glühende Anhängerin der Demokraten, u. a. befreundet mit Lyndon B. Johnson, Al Gore und den Clintons

Wohltätigkeit: Stiftungen für eine Fülle von politisch korrekten Projekten, u. a. gegen Atomkraft, für Ökofonds sowie Unterstützung von Bildungsprogrammen und Schulen für arme Kinder

Private Umstände: verheiratet seit 1998 mit dem Schauspieler James Brolin; ihr Sohn Jason (1966) entstammt ihrer ersten Ehe mit Elliot Gould.

Ein Auftritt unter anderen - irgendwie unwürdig einer Ikone, einer Sakrosankten der Showbühne: Barbra Streisand. Mit anderen Worten, sie, die 65-Jährige, vermochte den Offenbarungswünschen eines professionellen Exegeten der heiligen Schrift von der Magie am Mikrofon nicht zu entsprechen. Und das Publikum, das sich mit den Feinheiten der Beobachtung möglicherweise nicht allzu zimperlich zeigen wollte und eher den Umstand feierte, eines der besonders beißend teuren Eintrittskarten erworben zu haben? Jubelte. Stampfte mit den Füßen, vom enden wollenden Applaus haben diese mündlichen Rezensionen nichts. In Telefonaten mit Freunden in der Schweiz wie in Österreich gab man sich frenetisch.

Nur weshalb? Endlich sei sie zu sehen gewesen. Ihre Stimme etwas dunkler als einst. Ihr Kleid makellos, ihre Beine schlank und schön, ihre Frisur perfekt, das Gesicht noch ganz die Streisand der frühen Jahre, nichts auf dem Altar der Schönheitsindustrie geopfert. Auch dieser leicht verschleppte, dennoch hastige Akzent ihrer Brooklyner Heimat - immer noch bewahrt. Schließlich, die Zeugen dieser Performances, fielen ins Seufzen, dieses Talent, selbst an einem schlimmen Ort wie dem Hallenstadion Zürich so etwas wie Clubatmosphäre zu verströmen, einfach so, indem sie auf der Bühne steht, sei jeden Franken, jeden Euro wert gewesen.

Aber was hat diese Frau so erfolgreich gemacht? Waren es die Schwulen, die jener Makelhaftigkeit im Gesicht zu Füßen lagen? Steht für diese monströse Karriere im Hintergrund die Mutter, welche ihr riet, besser die Finger vom Showgeschäft zu lassen, weil sie doch wirklich viel zu hässlich sei? Oder doch dieses Können, dieser Gesang, diese Momente von intimer Wahrheit, die ihr Timbre zu zaubern vermag?

Jedenfalls muss sie einen Plan gehabt haben, vielleicht keinen zu Papier gebrachten, aber einen inneren. Lass die Alte reden, meine Nase ist meine Nase und meine Augen sind eben meine - und denen zeige ich es. Ihr erster Auftritt, noch fast ein Teenager, in einer Brooklyner Schwulenkneipe. Und die Herren merkten auf: Da stellte sich eine unter funzeliger Beleuchtung auf eine Kiste und sang hell und klar, absolut ihre Stimme im Griff, war komisch, machte aus bizarrem Typus ein eigenes Label - und unterschied sich in dieser Hinsicht konträr zur damals gültigen Ordnung des Ästhetischen im schwulen Underground. Dessen Idol war nämlich, alles in allem, eine Judy Garland, schwere Trinkerin, die Einsame am Broadway, die Hysterikerin und Sängerin vom Alleinbleiben der starken Frau. Die Streisand, auf Differenz bedacht, kürzte ihren Vornamen um ein, um das zweite a - und verkörperte fortan die Kämpferin, die Souveräne, die Rolle der Frau, die ein Scheitern vor der Stufe der Göttinnengleichheit nicht akzeptiert. Jüdisch ohnehin, absolut aufstiegsorientiert, diszipliniert, scheute sie, ehe denn am Broadway in den mittleren Sechzigern ernsthaft sehr steil die Karriere bergan ging, auch nicht davor zurück, Gesangs- und Tanzstunden als Putzfrau zu finanzieren: Kein Treppensteigen zu Gipfeln ohne schmutzige Spuren - da putzte sie lieber gleich selbst!

Eine Schwulenikone, die sich Heteromännergemütern nicht erschließt? Bild: dpa

Die Streisand, das war eine Laufbahn gegen die Zeit. Filme wie "Funny Girl" oder "Hello Dolly" brachten sie in die Single-Charts: Aber sie lieferte nichts von der Aura, die damals verlangt wurde. Anfang der Siebziger beklagte sie sich: Was heißt, ich sei zu alt und singe nur Sachen, die nur Alte hören? 29 sei sie erst, trug sie empört einem Interviewer der New York Times vor. Tatsächlich machte man sich in der Branche, wenn auch nur leise, lustig über ihre beinahe hilflosen Versuche, die Rocklady zu geben. Weder hatte sie etwas von Cher und schon überhaupt nichts von Janis Joplin oder wie die Starlets mit Drogenappeal sonst so hießen.

Die Streisand, das war Broadway, das hatte zunächst etwas Altmodisches. Und sie ließ sich nicht ermutigen, zumal ihr Gagenkonto ins Gigantische anwuchs. All ihre Musical- und Filmrollen machten sie schon in den Siebzigern zur einflussreichen Figur: Sie konnte sich die Exzentrik erlauben, sowohl klassischen Broadwaystoff zu interpretieren wie munter auf das Liedgut John Lennons ("Mother"), Laura Nyros ( "Stoney End"), Carole Kings ( "Where You Lead") oder Gordon Lightfoots ("If You Could Read My Mind") zuzusteuern. Sie machte sich alles untertan. Stets segelte sie im Schatten des Zeitgeists und nahm doch dessen Wind für sich in Anspruch. "Enough Is Enough" in den späten Jahren der Disco-Ära machte sie, Donna Summer zur Seite, zur Hymne emanzipierter Frauen, die sich von Männern, die sie satt haben, besser gleich als nie trennen. Oder ihre Produktion mit den Bee Gees, aus der "Woman In Love" hervorging, schließlich ihre Duette mit den Pointer Sisters oder die Arbeit mit Quincy Jones: Die Streisand war ihr eigenes Genre.

Das tatsächlich Ruhmbegründende ihrer Arbeit mag in ihrer speziellen Aura liegen, was auch immer diese sei. Aber welcher Film war je so komisch wie die ziemlich kurzweilige Komödie "Is was, Doc?", in der sie Ryan ONeal mit absolut bezaubernder Komik verführte. Und zugleich zeigte sie unverhüllt ihre bildungsbürgerlichen Flausen, denen sie gern nachgab. Ihre Platte mit Liedern aus der alten wie neuen Klassik (Händel, Ogerman) verkaufte sich zwar eher mies, aber sie sagte nur: "Ich wollte zeigen, dass meine Stimme auch dieses Material trägt."

Mindestens Mitte der Achtziger, zumal nach ihrem selbst produzierten Film "Yentl". Die Geschichte mag für die Streisand, Kind orthodox gestimmter Eltern, ein Märchen gewesen sein - und sie darin der Ritter, der das Gute heimbringt: Die Story, entliehen einer Novelle Isaac Bashevis Singers, erzählt von einem osteuropäischen Mädchen, das nicht zur Talmudschule darf, weil es eben kein Junge ist. So verkleidet es sich und die Streisand mag ihre eigene Lebensleistung in dieser Rolle mit eingepackt haben. Ein Mädchen aus Brooklyn, das sich ins Geschäft der Jungs einmischt, mit Geld nämlich darüber zu bestimmen, was in die Kinos, auf die Bühne und auf Platte kommt. Fremdbestimmung? Ohne sie!

Seit diesen Jahren ranken sich multiple Gerüchte um sie. Dass sie nie auftreten werde mehr live. Des Lampenfiebers wegen, denn sie, die Perfektionistin, die aus reinem Ordnungsempfinden kürzlich ein Gutteil ihres Vermögens in eine Ökostiftung einbettete, um sich weniger um Finanzielles kümmern zu müssen, diese Frau hatte sich anfangs ihrer Laufbahn mal verhaspelt, andere sagen, vor Ängstlichkeit einfach den Text vergessen. Deshalb seien ihre Auftritte rar gewesen und waren es bis vor kurzem.

Sie könnte Gefallen finden an diesem Job. Scheinwerfer, mit dem Hund umherreisen, Limousinen, Starkult, Gutes tun, gegen, wie sie gern betont, die Klimakatastrophe und für all die Al Gores der Welt, mit denen sie natürlich befreundet ist. Auf die Frage neulich, ob es ihre letzte Europatournee sei, antwortete sie heiter in Zürich: "Honey, its my first!"

Was aber macht sie nun aus, diese Streisand? Ist sie eine Schwulenikone, die sich Heteromännergemütern nicht erschließen kann? Keine Ahnung. Selbst wenn es so wäre: Na und?

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