Kolumne: Der deutsche Mann liegt hinten

Ist es normal, dass Künstler in palästinensischen Zoos herumlungern und sich die Objekte wegschnappen?

In der dritten documenta-Woche scheint es mit der großen Harmonie vorbei zu sein, Intrigen und Geheimnisse bestimmen das Geschehen. Der größte Publikumserfolg der documenta 12, die schlecht ausgestopfte Giraffe aus der Westbank, soll auf einer geklauten Idee beruhen! Unbestätigten Gerüchten zufolge soll die Künstlerin Ayse Erdmann die Panikopfer-Giraffe zuerst gesehen und für ihre eigene Arbeit reserviert haben, bevor ihr der Österreicher Peter Friedl den Coup einfach weggeschnappt hat. Nun stehe ein Rechtstreit um die geistige Urheberschaft ins Haus. Mögen die Gerichte den Fall klären, denkt da die unbeteiligte Beobachterin, fragt sich aber zugleich: "Ist es eigentlich gang und gäbe, dass bildende Künstler in palästinensischen Zoos herumlungern und sich gegenseitig die Objekte wegschnappen?" Fremde, seltsame Welt der Kunst! Auch Ruth - wir erinnern uns an das Mantra der documenta-Sekte, "Roger und Ruth, Ruth und Roger" - also auch Ruth sah man jetzt schon öfter ohne Roger und Roger ohne Ruth, wobei ihre Fans dahinter wiederum nur einen grippalen Infekt vermuten.

Aber Kassel, so schön es ist, kann einen in der dritten Woche auch ganz schön fertigmachen. Man will ja nichts gegen die hessische Kulturmetropole sagen, gerade weil ihre Bewohner so ausgesprochen nett sind, aber es ist schon ein Phänomen, wie eine Stadt dieser Größe so fußgänger- fahrrad- und autofahrerunfreundlich zugleich sein kann. Die Fußgänger haben hier zwar ihre eigene gigantische Zone - von uns temporären Kasselerinnen liebevoll "Die Futze" genannt - aber in diesem großen grauen Nichts lauert das Grauen zwischen 13 Nordseefilialen, 200 Apotheken, Metzgereien und sämtlichen wichtigen Kaufhausketten. Außerhalb der Futze stören Fußgänger den Verkehrsfluss und werden deshalb in Unterführungen getrieben oder an Ampeln mit den längsten Rotphasen der Welt zur minutenlangen Zwangsmeditation gezwungen. Kasseler Fahrradwege wiederum enden gerne in Baustellen oder vor umzäunten Abgründen, Verbindungsstraßen hält man mit Verbotsschildern fahrradfrei, und als Autofahrer kann man immer nur den Innenstadtring auf und ab fahren, aber niemals recht oder links abbiegen.

Etwas Abstumpfung und Performance-Resistenz machen sich im Buchcontainer breit, man schaut aus den Fenstern auf den meistens verregneten Friedrichsplatz und denkt teilnahmslos: Ach ja, sie stellen so rote runde Bänke auf." Oder: "Ach ja, der Glatzkopf mit dem hellen Wachsmantel geigt wieder". Oder: " Der große Holzgalgen steht ja gar nicht mehr da. Who cares ..."

Eingekauft wird im Buchladen in der dritten Woche schon deutlich mainstreamiger, Begriffslexika, Kataloge, hie und da noch Agamben und Judith Butler. Auch die ethnografischen Studien an der Kundschaft werden mangels Diversity immer eindimensionaler. Bei den Kategorien Freundlichkeit, Charme und Aussehen liegt jedoch der deutsche Mann, trotz sinkender Konkurrenz, im Ranking immer noch ganz, ganz weit hinten.

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