US-Wahlkampf: Zynismus ist ja so Neunziger

Der Soziologe Benedict Anderson glaubt an die "Verwegenheit der Hoffnung", mit der Barack Obama in den US-Wahlkampf zieht

Sieht so unzynische, bloße Begeisterung aus? Bild: ap/jim mone

Neulich beim Heurigen "Zimmermann" in der Armbrustergasse in Wien Döbling: "Ich mag Nationen ja", sagt Benedikt Anderson mit seiner typischen Ironie. Der Sozialtheoretiker, der aus Großbritannien stammt, sich irisch fühlt, aber in New York wohnt, ist eine Koryphäe in Nationsfragen, seitdem er vor mehr als zwanzig Jahren sein berühmtes Buch "Imagined Communities" ("Erfundene Gemeinschaften") herausgebracht hat. Wenn er sagt: "Ich mag Nationen", dann meint er damit, dass das moderne "Nationalgefühl" - man kann auch sagen: der Patriotismus -, bei allem Übel, das es in die Welt brachte, doch mehr nützliche als schädliche Seiten hat.

Bürger eines Gemeinwesens fühlen sich zumindest bis zu einem gewissen Grad füreinander zuständig, man zahlt Steuern (oft ohne zu murren), um die staatlichen Institutionen, aber auch die Wohlfahrtssysteme zu finanzieren. Man begreift sich als Bürger, dem ohne Ansehen seiner Person die gleichen Rechte wie jedem anderen zustehen. Nationalgefühl und Gleichheitsemphase gehen oft Hand in Hand, nach dem Motto: Mir steht als gleichberechtigtem Bürger dieses Gemeinwesens nicht mehr, aber auch nicht weniger zu als meinem Nebenmann und meiner Nebenfrau.

Instinktiv musste ich an Richard Rorty denken, der da gerade ein paar Tage verstorben war. Der hatte ja mit seinem Buch "Achieving Our Country" (deutsch: "Stolz auf unser Land") sehr polemisch die zeitgenössische Kulturlinke aufgespießt, die allen Ton auf Differenz, Dekonstruktion, minoritäre Praktiken oder fundamentale Systemkritik legt, und das Ziel, "unser Land vorwärts zu bringen" aufgegeben habe. Rorty hielt dieser die egalitäre Emphase der alten US-Linken entgegen, ihren "Wir wollen unser Land verbessern"-Pathos. Darin komme ja auch der Versuch der Aneignung des Gemeinwesens durch die kleinen Leute zum Ausdruck, ein Insistieren gewissermaßen: "This Land is our Land", wie schon Woody Guthrie sang. All das ist tief in die amerikanische politische Kultur eingeschrieben, aber nicht nur in diese: Der Jargon klassischer, moderater Sozialdemokratien in Westeuropa und Skandinavien ist davon nicht so weit entfernt. Nur ist das heute ziemlich verschüttet. Ersetzt durch den technokratischen Jargon linksliberaler Berufspolitiker und durch die Radical-Chic-Rhetorik der zeitgenössischen unorthodoxen Linken.

Dass dies nur verschüttet, jedoch nicht völlig ausgelöscht ist, spürt man freilich, wenn man das große Buch "Hoffnung wagen" von Barack Obama zur Hand nimmt, dem neuen Shooting Star der amerikanischen Demokraten. "The Audacity of Hope", heißt das Buch übrigens im Original, eine Wendung, die Obama berühmt machte, als er vor drei Jahren beim Nominierungsparteitag der Demokraten eine historische Rede hielt. "Audacity of Hope" heißt "Verwegenheit der Hoffnung" und das gefällt mir, weil damit anklingt, dass es leicht sei, zynisch zu sein, dass es leicht sei, ignorant abseits zu stehen, aber dass die eigentliche Verwegenheit, das wahre Abenteuer darin bestehe, die Hoffnung nicht aufzugeben - was auch heißt, nicht zu akzeptieren, wenn andere in Hoffnungslosigkeit gehalten werden.

Obama schreibt gegen das Doktrinäre und die Parteilichkeit an, ist ein charismatischer Redner, der die Leute mitreißt, in dem er sagt, wir alle in Amerika kommen besser voran, wenn wir nicht zulassen, dass manche zurückbleiben und in Chancenarmut und Zukunftslosigkeit gehalten werden. Dass aus dem Newcomer Obama ein Senkrechtstarter wurde, den manche für einen neuen Kennedy halten, hängt wohl damit zusammen, dass Millionen auf einen gewartet haben, der wieder so spricht. Und natürlich auch, dass der Mann, als Spross eines schwarzen Kenianers und einer weißen Frau aus einer traditionellen Middlewest-Familie, auch noch spezielle Glaubwürdigkeit genießt - als Personifizierung des amerikanischen Traums.

All das ist sehr amerikanisch, aber ein bisschen was abschauen könnte sich wohl auch die europäische Linke davon. Patriotismus ist nicht nur etwas Schlechtes, er hat auch eine inklusive Dimension. Er ist vielleicht sogar eine Voraussetzung dafür, andere (Migranten etwa) zu gleichberechtigten Bürgern eines Gemeinwesens zu machen. Man muss ja nicht gleich mit stolzgeschwellter Brust herumrennen, die andere Seite des Nationalgefühls ist schließlich auch das Gefühl der Scham, wenn etwas auf schroffe Weise krumm läuft in dem Gemeinwesen, dem man sich zugehörig fühlt. Diese Scham kann dann nämlich in Energie umschlagen, zu ändern, was geändert werden muss. Im postmodernen, globalisierten Patchwork-Zeitalter ist das gewiss alles auch komplizierter. Aber wie sagte Benedikt Anderson so schön? "Ich habe viele Länder, für die ich mich schämen kann."

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Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.

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