dvd: Alte Rituale binden nicht mehr

Bösartige Ethnografie: Johnnie Tos "Election" betrachtet eine Hongkonger Triade wie einen fremden Stamm.

Mafiöse Machenschaften auf Hong Kongs Straßen Bild: celluloid dreams

Die Demokratie hat eine lange Tradition in der Hongkonger "Wo Sing"-Triade. Eine Wahl unter den "Onkeln", also den Altvorderen der Mafia-Organisation, bestimmt den für einen Turnus von zwei Jahren gewählten Anführer. Von einer solchen Wahl und ihren Folgen erzählt Johnnie Tos Film "Election". Zwei Männer treten gegeneinander an: der gelassene Lok (Simon Yam), allein erziehender Vater mit leicht ergrauten Schläfen, und der hysterische Big D (Tony Leung Ka Fai), der mit schmutzigen Tricks um Stimmen wirbt. To stellt in scharfen Umrissen die Protagonisten vor, zeigt die Beratungen der Onkel und zieht die Sympathien des Zuschauers rasch auf Loks Seite. Zur Figur, mit der man sich identifizieren kann, wird er aber nicht bis zum abgrundtief finsteren Ende taugen.

Johnnie To, Hongkongs derzeit virtuosester Regisseur, verzichtet in "Election" sehr bewusst aufs Spektakuläre. Dass er zwischen Minimalismus ("The Mission") und großer Oper ("Fulltime Killer") alle Register des Actionkinos beherrscht, hat er längst bewiesen. Wenn er sich hier also auf elegant ausgeleuchtete Bilder, aufs leise Herumschleichen der Kamera, auf rasch aufflackernde Gewalt beschränkt; wenn er andeutungsweise nur die Figuren entwickelt und charakterisiert, ohne dass man je wirklich wüsste, was nun von ihnen zu halten ist; wenn er abrupt Heiterkeit und Brutalität, Konkurrenz und Verbrüderung nebeneinandersetzt, dann weiß er genau, was er tut. Er zeigt nüchtern Rituale und Kodizes der ehrenwerten Gesellschaft, macht dann aber mit einem Schlag klar, dass das, was hier auf so altmodische Weise aufrechterhalten wird, nur eine in arbiträre Spielregeln ausdifferenzierte Form der Barbarei ist.

Von Verklärung der Triaden keine Spur. "Election" verfällt an keiner Stelle der Faszination der Gewalt, betrachtet die Triaden-Organisation eher wie einen fremden Stamm. Es ist freilich eine subtile Form bösartiger Ethnografie. Wenn sich die einander zuvor aufs Blut bekämpfenden Konkurrenten zusammentun, um einem Dritten mit der Machete den Garaus zu machen, sehen wir das im Halbdunkel. Die Kamera protokolliert, was geschieht, der Film verzichtet auf jede ausdrückliche Verurteilung dieser Untat. Dann ein Schnitt, die Schlächter sitzen im Auto und sind die Leutseligkeit selbst. Im Hintergrund läuft fröhliche Musik. Krasser könnte der Film sich nicht von ihnen distanzieren, als er es an dieser Stelle tut: Die bestialischsten Akte kosten diese Männer nicht mehr als ein Lächeln.

"Election" steht zum Triaden-Genre, zu dem auch Johnnie To schon manchen Film beigetragen hat, in einem abgeklärten Verhältnis. Die Gnadenlosigkeit des Blicks verschont keinen, auch nicht die Polizei. Deren erklärtes Ziel ist nicht die Beseitigung der Mafia-Strukturen, sondern ein Kräftegleichgewicht des Verbrechens. Ruhe und Stabilität sind das, worum es geht - und wenngleich der Film in der Nahelegung politischer Lektüren alles andere als aufdringlich ist, fällt es nicht schwer, in dieser Konstellation eine Strukturähnlichkeit zum postkronkolonialen Hongkong zu erkennen. So sind auch die periodisch erfolgenden Verhaftungen nichts anderes als ein Ritual, von den Beteiligten mit mal mehr, mal weniger schauspielerischem Aufwand betrieben. Man geht in den Knast, nach ein paar Tagen kommt man auf Kaution wieder raus.

Aber "Election" zeigt auch, wie die alten Rituale - demokratische Wahl, symbolische Übergabe eines Zepters, der Schwur mit der Vermischung von Blutstropfen - gerade dabei sind, ihre traditionelle Bindekraft zu verlieren. Der designierte Nachfolger Loks, der eigensinnige und undurchsichtige Jimmy (Louis Koo), sitzt in ökonomischen Vorlesungen an der Universität. In die Falle, die alten Traditionen angesichts der sich abzeichnenden, noch brutaleren neoliberal-kommunistischen Triaden-Verhältnisse zu verklären, tappt der Film aber in keinem Moment. Die genauere Schilderung der neuen Zeit hat Johnnie To sich für die Fortsetzung "Election 2" vorbehalten, die im Jahr 2006 entstand und hoffentlich bald auf DVD zu haben ist.

Die DVD ist ab 12 Euro im Handel erhältlich

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