24 stunden spreebogen, folge 9
: Von 8 bis 9 Uhr

Der Bundespräsident tankt bei Shell. Ein Tankwagen der Firma steht direkt am Schloss Bellevue, ein Schlauch führt ins Gebäude hinein. Heizölübernahme beim höchsten Repräsentanten der Republik. Das passt gut zum Himmel. Das Wetter hat gerade durchaus etwas Herbstliches.

Ich radel die Spree entlang, suche meinen Reiher, den ich diesmal aber leider nicht sehe, und finde inzwischen, dass der schönste Blick im Regierungsviertel scharf rechts am Kanzleramt vorbeiführt, wenn man gegenüber dem Haus der Kulturen der Welt am anderen Spreeufer steht; im Hintergrund erhebt sich in dieser Perspektive die Reichtstagskuppel, daneben wiederum ragt eine schöne Trauerweide mit ihren nach unten gebogenen Zweigen ins Wasser hinein. Nachdem ich das bewundert habe, stelle ich mich im Nieselregen an einen Baum gelehnt 100 Meter vors Kanzleramt.

Da ist Dienstbeginn. Ein Kommen, kein Gehen bei der zentralen Wache an der Willy-Brandt-Straße. Viele Mitarbeiter kommen vom Hauptbahnhof her in Gruppen über die Fußgängerbrücke. Bei den Autos dominieren die Kleinwagen – und man findet sich in soziologischen Spekulationen wieder. Womöglich kommt als Erstes das Kantinenpersonal? Aktentaschenträger sind aber auch unter den Fahrern. Protzen ist hier offenbar nicht. Funktionaler Lebensstil scheint unter Kanzleramtsmitarbeitern vorzuherrschen.

Dann lerne ich einen netten Polizisten kennen. Schon vorher hatte es prüfende Blicke vom Wachpersonal gegeben. Nach etwa 20 Minuten stellt sich ein Polizeiwagen direkt neben mich. Ein Deeskalations-Beamter (Bart, Bauch, keine Brille) steigt aus. Passkontrolle. Rucksackkontrolle. Außerdem dieses Einschätzungsspiel: Er will mich zum Reden bringen, um zu eruieren, wie durchgeknallt ich bin; ich will einen möglichst undurchgeknallten Eindruck machen – was mir auch einigermaßen gelingt. Schon okay, das alles. Professioneller Ablauf. Aber zugleich fühlt man sich doch wie bei Dreharbeiten zu einem Anti-Terror-Film.

Und so weiß man nun auch dies: Das Kanzleramt ist durch eine unausgesprochene Blickregie geschützt. Kurz draufgucken: prima. Aber niemand starrt eine Dreiviertelstunde unverblümt drauf. Wer es tut, macht sich verdächtig. Mich neben mein Fahrrad zu stellen und so zu tun, als müsste ich einen Platten reparieren, wäre mir aber noch alberner vorgekommen. DIRK KNIPPHALS

Wöchentlich geht der Autor eine Stunde lang durch das Regierungsviertel in der deutschen Hauptstadt – jede Woche eine Stunde später als in der Woche davor. – Von 9 bis 10 Uhr: am kommenden Samstag