Wehrmachtsjustiz: Das alte Lied vom Sauberbleiben

Die Ausstellung "Was damals Recht war " widmet sich der Justiz der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Sie zeigt das Willkürliche dieser Gerichtsbarkeit.

Die Deutschen haben die NS-Zeit nach langem Anlauf verarbeitet. Das Holocaust-Mahnmal ist das Symbol, dass die NS-Zeit unverrückbar zu unserem Selbstbild gehört. So intensiv wie die Bundesrepublik hat sich noch nie eine Gesellschaft mit ihrer Schuld befasst, inklusive später, aber doch historisch beispielloser Entschädigungen.

So hört man es oft, so sieht es im Großen und Ganzen aus. Doch wenn man ganz konkret hinschaut, dann wankt dieses - vom guten Ende her gemalte - Selbstbild doch erheblich. Dies führt derzeit eine Ausstellung über Wehrmachtsjustiz vor Augen, die in Berlin zu sehen ist.

Drei Fälle. Stefan Hampel, Sohn einer polnisch-deutschen Ehe, desertiert 1943 aus der Wehrmacht, nachdem er eine Massenerschießung russischer Juden durch die SS sah. Die Wehrmachtsjustiz verurteilte ihn zum Tode, doch das Urteil wurde in eine Zuchthausstrafe umgewandelt. Hampel überlebte.

Die Wehrmachtsjustiz war ein Terrorsystem. Mehr als 20.000 Todesurteile verhängten deutsche Militärrichter, in der britischen Armee gab es im Zweiten Weltkrieg 40. Doch auch in dem System Wehrmachtsjustiz gab es Spielräume - zum Guten wie zum Infamen, das zeigt die Ausstellung "Was damals Recht war " Dies illustriert auch der zweite Fall: Der Wehrmachtssoldat Erich Batschauer entfernte sich 1941 unerlaubt von Truppe. Es war kein schwerer Fall von Fahnenflucht, doch Batschauer, der bereits wegen Bettelei verurteilt worden war und Kinder mit mehreren Frauen hatte, galt dem Gericht als "minderwertig". Er wurde hingerichtet, um ein Exempel zu statuieren.

Der dritte Fall: Oskar Kusch, U-Boot-Kommandant, beging das Verbrechen, kein Nazi zu sein und Hitlers Konterfei in der Offiziersmesse abzuhängen. Er wurde denunziert. Die Anklage forderte zehn Jahre Zuchthaus, doch der Richter, Karl-Heinrich Hagemann, verurteilte ihn zum Tode. Kusch wurde, 25 Jahre alt, 1944 hingerichtet.

Nach 1945 wurde ein Prozess gegen Richter Hagemann angestrengt - erfolglos wie alle Prozesse gegen NS-Richter. 1950 sprachen bundesdeutsche Richter, selbst Ex-NS-Juristen, Hagemann frei. Das Todesurteil sei "auch unter rechtsstaatlichen Verhältnissen nicht unerträglich gewesen". Im Klartext: Wer defätistisch über den Führer redete, hatte den Tod verdient. Erst 2002, 57 Jahre nach Kriegsende, hob der Bundestag die Urteile der Wehrmachtsjustiz auf.

Aus den NS- und Militärrichtern, die Tausende von Terrorurteilen fällten, wurden nach 1945 Oberlandesgerichtspräsidenten, Universitätsrektoren und Ministerialdirigenten. Skandal machte das nur, wenn Spitzenpolitiker wie Filbinger sich öffentlich halsstarrig zeigten. Normal war umfassendes Schweigen.

Die Ausstellung lenkt den Blick auf diese Kontinuität und beleuchtet das System Wehrmachtsjustiz. Sie zeigt anhand von Einzelfällen den Justizterror gegen alles Dissidente, gegen Unpolitische, Widerstandskämpfer, Deserteure, die Zeugen Jehovas, die für ihre Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen zu Hunderten ermordet wurden. Es ist eine kluge, differenzierte, Ausstellung, kühl, aber nicht belehrend und ohne billige Retromoral-Effekte. Sie zeigt auch das Willkürliche, Unberechenbare, auch die Spurenelemente formaler Rechtsstaatlichkeit, die etwa im Fall des 15-jährigen Résistance-Kämpfers Andre Kirschen dafür sorgte, dass der Minderjährige nicht hingerichtet wurde und so, anders als seine jüdische Familie, überlebte.

In der Bundesrepublik hielt sich lange die Legende von der sauberen Wehrmacht, deren Pendant die rechtsstaatliche Wehrmachtsjustiz war. Historiker wie Wolfram Wette und Manfred Messerschmidt haben diese zähe Lüge detailreich widerlegt. Erstaunlich, dass der Rezensent der Ausstellung im FAZ-Feuilleton ungerührt meint, dass in der Wehrmachtsjustiz "der Rechtsschutz prinzipiell erhalten blieb". Das soll wohl ein mutiger Bruch von linksliberalen Geschichtstabus sein, klingt aber wie das alte Lied von der Wehrmachtsjustiz, die so schlimm nicht gewesen sein kann. Aufklärung scheint noch immer notzutun. Diese Ausstellung, klein und konzentriert, leistet sie.

Bis zum 1. August in der Auguststr. 90 in Berlin-Mitte. Ab 10. 8. ist die Ausstellung in Köln zu sehen, danach in München, Freiburg, Halle u. a. Orten

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