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: „Francis Bacon – Form und Exzess“

Jeder Künstlerfilm steht vor der Entscheidung, ob er sich für das Werk interessiert oder für das Leben. Schlimm wird es, wenn er beides auf einmal will und naiv psychologisch das Werk aus dem Leben erklärt – als hätte es das 20. Jahrhundert gar nicht gegeben, das in seinen Theorieformationen den biografischen Ursache-Wirkungs-Behauptungen gegenüber skeptisch blieb. Der biografische Fehlschluss – aus Kindheitstrauma und Künstlerleid wird Weltrangkunst – ist darum, von Michelangelo bis Pollock, das Übel des Künstlerfilms, egal ob er nun als Dokumentation auftritt oder als Fiktion.

Im Falle von Francis Bacon stellt sich das Problem in besonderer Schärfe. Es gibt hier, in der Nennung von Namen und der vermeintlichen Wiedererkennbarkeit von Gesichtern und Körpern, den Anschein des Biografischen. Der Philosoph Gilles Deleuze hat aber in seiner Untersuchung „Logik der Sensation“ an Bacons Werk sehr genau herausgearbeitet, wie es allem Erzählen, aller Repräsentation, aller Figuration und damit auch aller Biografisierung gerade widersteht. Bacons Gemälde eröffnen, so Deleuze, Schauplätze für deformierende Kraftwirkungen. Diese können aber nur in der radikalen Unterbrechung zwischen Leinwand und Wirklichkeit und der Isolierung der Figuren in der Fläche zur Wirkung kommen. Alles Rückrechnen des auf der Leinwand Erscheinenden aufs Leben hebt den radikalen Bruch wieder auf und entschärft Bacons Kunst bis zur Sinnlosigkeit.

Von derlei Zusammenhängen hat Adam Lows Bacon-Dokumentation „Francis Bacon – Form und Exzess“ nicht die leiseste Ahnung. Das programmatisch herausgestrichene Untertitel-Zitat „Mein Werk ist eine Spiegelung meines Lebens!“ lässt erst mal sogar das Schlimmste befürchten. Dass es zum Äußersten nicht kommt, liegt daran, dass sich der Film ums Werk nicht weiter kümmert. Er zeichnet vielmehr ein Lebensbild des Künstlers Bacon, geht in chronologischer Reihenfolge die Jahrzehnte und Lebensgefährten durch, leuchtet Bacons sadomasochistische Neigungen aus, zeigt sehr viele Originalaufnahmen, durch die der Maler als maliziöser Narziss irrlichtert – und belässt es beinahe dabei. Gelegentlich blubbert und dräut Brian Enos Originalsoundtrack-Ambient darunter. Wiederholt eingespielte Stierkampfszenen sind irgendwie deutend gemeint. Auch singt Marlene Dietrich mehr als einmal „Falling in Love Again“. Man sieht eine Menge Bacon-Gemälde, sie kommen aber eher nur einfach ins Bild. Die Ableitung der Kunst aus dem Leben bleibt zum Glück weitgehend implizit. Wer sich für biografische Bacon-Details interessiert, wird von diesem Film gut bedient. Wer das nicht tut, kann ihn sich sparen. EKKEHARD KNÖRER

„Francis Bacon: Form und Exzess“. Regie: Adam Low. Porträtfilm. Großbritannien 2005, 96 Min.