Live Earth: Klimaschutz per SMS

Weltweit standen Popstars auf "Live Earth"-Bühnen. In Hamburg sangen 21 Künstler gegen den Klimawandel an - und fuhren in Limousinen davon.

Messbare Macht zur Veränderung: Yusuf Islam beim "Live Earth" Konzert in Hamburg Bild: dpa

Die "Mixed-Zone" der HSH-Nordbank-Arena ist wie ein Flaschenhals. Wer am vergangenen Samstag beim Hamburger "Live Earth"-Konzert gegen den Klimawandel angesungen hat, muss das Stadion durch diesen engen Korridor verlassen. Die Gesichter von Scheinwerfern in käsiges Grau getaucht, sagen die Künstler hier irgendwas in einen Wald aus Kameras und Mikrofonen. Lokalheld "Lotto King Karl" findet zum Beispiel, dass der Klimawandel ein "sehr ernstes Thema" sei. Und Komiker Michael Mittermeier meint, man müsse einfach mal die Heizung runterdrehen. Außerdem liege das Hybridauto, Entschuldigung, doch längst in der Schublade.

Thorsten Kausch zeigt die Zähne in der "Mixed Zone". Glücklich und zufrieden sei er, sagt der Geschäftsführer der Hamburg Marketing GmbH. Dann redet er noch von einem "Megaevent", von "tollen Sponsoren" und "großartigen Medienpartnern". In nur sieben Wochen habe man in Hamburg Unglaubliches auf die Beine gestellt.

Mittlerweile ist der Himmel über der Hansestadt aufgerissen. Und nachdem zunächst nur einige tausend Besucher den Eröffnungsauftritt von Latino-Popstar Shakira unter Regenschirmen verfolgt haben, feiern jetzt über 30.000 Klimaschützer Bands wie Mando Diao oder Juli in der Arena - auf einem Drittel der Recyclingtickets sind die Veranstalter sitzengeblieben. Peanuts, bedenkt man die internationale Aufmerksamkeit, die Hamburg wegen des Konzerts genießt, so Pressesprecher Frank Ehrich. US-Vizepräsident und Initiator der Konzertreihe, Al Gore, vermutet zwei Milliarden Menschen vor Fernsehschirmen weltweit.

21 Künstler geben sich in Hamburg das Staffelholz in die Hand, das heißt: 15 Minuten Musik, 15 Minuten Umbau, und so weiter. Neun Stunden lang.

In den Pausen erinnern kleine Filme auf großen Leinwänden daran, dass man zusammengekommen ist, um etwas zu bewegen: Brennende Ölfelder sind zu sehen und Eisbären, die hilflos auf kleinen Schollen dahintreiben. Deutsche Winzer erzählen von Pilzerkrankungen der Reben, Spanische Bauern von Trockenheit und Missernten, ein deutscher Förster befürchtet, dass Borkenkäfer den heimischen Fichtenbestand in kurzer Zeit vertilgt haben werden. Zum Glück kann man direkt im Anschluss mit dem Daumen gegen diese alarmierenden Zustände protestieren: Per SMS erklärt sich die bewegte Nation dazu bereit, Glühbirnen gegen Energiesparlampen einzutauschen oder künftig öfter mit der Bahn zu fahren. Eine Laufschrift hinter den Künstlern verrät die Namen der Teilnehmer. 51.000 Deutsche simsen sich an diesem Nachmittag auf die Bühne. Das ist das Mitreißende an Al Gores großer Klimaschutzkampagne: Anders als bei ihren Vorbildern, dem "Live Aid" beziehungsweise dem "Live 8"-Konzert, ist eine Vereinfachung der Probleme hier weniger unzulässig. Der weltweite Hunger - davon hat die Öffentlichkeit mittlerweile eine Ahnung - kann mit Hilfslieferungen nicht bekämpft werden. Oft bewirken sie sogar genau das Gegenteil, etwa wenn Kleiderspenden lokale Märkte zerstören. "Live Earth" hingegen suggeriert dem Einzelnen eine messbare Macht zur Veränderung. Stand-by-Geräte ausschalten, Bäume pflanzen und Musik online kaufen: Ein "Kohlendioxidrechner" auf liveearth.org verrät, wie man seinen Ausstoß um eine Tonne jährlich verringern kann. Erklärtes Ziel: das Thermometer vor Erreichen der zwei Grad Erwärmung zu stoppen. Das ist Action pur. Und bildet die Welt so schön in Zahlen ab.

Auch das Konzert in Hamburg läuft inhaltlich fast konfliktfrei ab. Polit-Styler Jan Delay etwa macht nach seinem Auftritt darauf aufmerksam, dass jener Hamburger Senat, der das Konzert unterstütze, zeitgleich ein neues Kohlekraftwerk plane. Später, in der "Mixed Zone", suhlt sich Delay noch ein wenig in seinem Image als Enfant terrible mit Anzug und Hut. Den Filzstift, mit dem er eigentlich auf einem "Smart" signieren soll, nutzt er, um die Logos der Bild-Zeitung auf der Werbeleinwand genussvoll durchzustreichen. "Habt ihr das?", fragt er den Medienmob grinsend.

Doch bemerkenswerter als dieser kleine Aufstand sind die Brüche im Konzept, die die Veranstalter selbst zugelassen haben. Einweg- statt Pfandbecher, triefende Rinderhacksteaks statt zarter Gemüseburger - und die groß angekündigte Flotte aus Smarts steht brav auf dem Parkplatz rum, während die abreisenden Stars in großformatige Limousinen des gleichen Autokonzerns steigen. Um zu Hause direkt ein paar Glühbirnen auszuwechseln.

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