Kolumne: Beamte batteriebetrieben

Wer etwas auf sich hält, schimpft wortreich über die verhunzte Ausstellung: Alles so schlecht gehängt! Kleinteilig und muffig!

Nun, da das Mohnfeld vor dem Fridericianum zaghaft blüht, heißt es Abschied nehmen von Kassel. Aber wird man den inneren Absprung aus der documenta-Stadt schaffen? Der Kasseler Sog ist schließlich nicht zu unterschätzen. Beim Aufbauteam, so heißt es, gibt es eine Münchnerin, die noch zwei Wochen nach ihrem offiziellen Arbeitsende einfach weiter in Kassel tagsüber so rumhängt und sich Abend für Abend mit den alten Kollegen trifft!

Nachvollziehbar ist es ja, wenn einer nicht zurück nach München will, aber auch die Heimkehr nach Berlin wirft bohrende Fragen auf. Wird man sich wieder eingewöhnen, wird man nach den arbeitsamen Tagen im Container jemals wieder zurück ins Berliner Dolce Far Niente finden? Es wäre ja schrecklich, wenn drei Wochen Buchhandel und Containerfieber das ganze kontemplative Dasein zum Kippen gebracht hätten! Wenn man nicht mehr ausgiebig liegen und nichts tun kann, geht doch die ganze langerarbeitete Innerlichkeit flöten! Andererseits hat die Erfahrung bisher doch schon einige Male gezeigt: Ins Lotterleben hat bis jetzt doch ein jeder wieder zurückgefunden!

Ach, was wird man wohl am meisten vermissen? Die Kasseler Fußgängerzone, die Wolkenbrüche, die ewig gleichen Abläufe, die sich stets wiederholenden Floskeln: "Magazine number one and number two are out of print, but at the end of the month a reader will be released, with one, two and three in a bundle"? "To the new gallery follow this path and turn right at the end, dont go down the stairs!" "Die documenta-Taschen im Container nebenan!"

Die Kundschaft ist immer weniger international, dafür umso schlechter gelaunt. Wer etwas auf sich hält, der schimpft wortreich über die verhunzte Ausstellung: Alles so schlecht gehängt! So kleinteilig und muffig! Unmöglich, die persischen Teppiche überall so unvermittelt dazwischen!

Trotz der Monotonie des Alltags gibt es am Friedrichplatz stets etwas Neues: Die Kasseler Polizei hat seit ein paar Tagen völlig neue Dienstfahrzeuge: Die Beamten fahren aufrecht stehend auf batteriebetriebenen Rollwägelchen durch die Gegend und versuchen dabei möglichst autoritär und staatstragend zu wirken, was ihnen natürlich nicht gelingt. Es sieht ausgesprochen dämlich und operettenhaft aus und erinnert im günstigen Fall an hässliche Duplo-Figuren - das ist das gröbere Lego für die Kleinstkinder.

Aber vielleicht ist auch das wieder eine Performance, vielleicht irgendwas mit "Migration der Formen im öffentlichen Raum" samt zufälligem Dialog, wenn die Exekutive mit ihren albernen Stehrädern am Siekmann-Karussel "Zur Politik des ausgeschlossenen Vierten" vorbeirollt? Man weiß es nie so genau in Kassel.

Nicht nur die Grundfrage der documenta "Ist die Moderne unsere Antike?" - nein, auch so viele andere drängende Fragen müssen bis zu unserer Rückkehr in den Buchcontainer im September offenbleiben: Wem gehört Brownie, die plumpe Kunstgiraffe? An was erkennt man die Weiwei-Chinesen? Werden Ruth und Roger, Roger und Ruth wieder zusammenfinden? Wird es, eines fernen Tages, vielleicht sogar in Kassel aufhören zu regnen?

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