Barry White: Der Koloss vorm Rhodes

Disco-Soul-König Barry White ist seit vier Jahren tot. Seine neu aufgelegten "Greatest Hits" büßen nichts von ihrem spezifischen Brrrrr ein. Und: die CD-Hülle ist recycelbar.

Ob White da schon von Paper Foam wusste? Bild: universal

Blau-gräulich ist das CD-Cover, auf dem reichlich verblasst steht: "Barry Whites Greatest Hits". Die ganze Verpackung besteht aus Paperfoam, einem matschigen Presspappezeugs, in das die Amerikaner normalerweise ihren Bohnenkaffee schütten. Klappt man das Ding auf, steckt rechts die CD, links steht groß "renewable, recyclable, biodegradable". Die ganze Hülle ist biologisch abbaubar - auch die Musikindustrie leistet jetzt also ihren Beitrag.

Zu Whites viertem Todestag - er starb am 4. Juli 2003 in Los Angeles - hätte man sich das Drumherum ein bisschen feierlicher und vor allem leserlicher gewünscht. Nicht ganz so sehr die Bausparervariante. Gut, dass wenigstens die Musik unberührt geblieben ist und niemand auf die Idee gekommen ist, die Songs des Kolosses vorm Rhodes-Piano abzuspecken. Aber, zum Glück, alles klingt exakt so wie bereits 1975 bei Erstveröffentlichung seiner ersten und besten "Greatest Hits"-Koppelung, die bereits zwei Jahre nach seinem Durchbruch 1973 erschien. Aber kann man sich Barry White überhaupt außerhalb des Formats der "Greatest Hits" vorstellen? Eben.

"Ich war ein Kaffeebecher" Bild: universal

Zum Auftakt bekommt man "What am I gonna do with you", das von Whites Markenzeichen, dem treibenden, verführerischen Vierviertelbeat und dem guttural schiebenden Bass, wie auf einer Sänfte getragen wird. Darauf betten sich die sanft optimistischen Streicher und kitzeln aus Barry Whites Kehlkopf jedes Mal, wenn er einen Refrain fertig gesungen hat, ein langgezogen-erhabenes "Brrrrrrrrrrr".

Und dann die Zeile, "Girl when were through/I wont be able to move". Das ist nicht die selbstgefällige Aussage eines schuftenden Potenzprotzes, das ist Kissenmetaphysik zu sinfonischem Soul. Der achtfache Vater mag anzügliche Texte geschrieben haben, aber seine Musik war nie anzüglich, sie war stolz und elegant und entsprach den Hoffnungen vieler Afroamerikaner auf ein besseres Leben.

Nachdem White in den späten Fünfzigern wegen Diebstahls von Autoreifen im Knast saß, schloss er sich in den frühen Sechzigern DooWop-Gruppen in L. A. an, sang die Bassstimme, schrieb auch Songs für andere Soulsänger. Eigentlich aber schlug er sich mit Gelegenheitsjobs als Dachdecker durch. Es vergingen Jahre, bis sein Talent erkannt wurde, er in den Produzentenraum vorgelassen wurde und seine Familie mit der Musik über Wasser halten konnte.

1968 wurde zu seinem Jahr: White stahl sich heimlich in eine Aufnahme-Session der Motown-Supergirlgroup Supremes. "Dort lernte ich, dass man beim Produzieren die Vorstellungskraft einsetzen muss." Vor Holland-Dozier-Holland, dem Motown-Songschreiberteam, das damals auch bei den Supremes an den Reglern saß, verbeugte sich Barry White mit "Standing in the Shadows of Love". Er coverte den Song für seine "Greatest Hits" nicht nur, er blies ihn zu einem achtminütigen Triumphzug durch die dubbigen Momente des Discosounds auf.

Barry White, der ansonsten alle seine Songs selbst komponierte und produzierte, überführte mit dieser Coverversion das Erbe des Motown-Sounds in die Opulenz der Siebziger. Auch wenn sich das Discozeitalter schon bei anderen Interpreten angekündigt hatte, läutete es Barry White im großen Stil ein. Bis heute macht er sich da bestens zwischen den Uptempo-Konkurrenten aus der Philly-Soul-Ecke und dem erdigen Südstaaten-Soulster Issac Hayes. Gibt es einen Sänger, dessen steppende Balladen ähnliche Wucht besitzen wie die des Barry White? Brrrrrrr.

"Barry Whites Greatest Hits - produced by Barry White" (Mercury/Universal)

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Julian Weber, geboren 1967 in Schweinfurt/Bayern, hat Amerikanische Kulturgeschichte, Amerikanische Literaturwissenschaft und Soziologie in München studiert und arbeitet nach Stationen in Zürich und Hamburg seit 2009 als Musikredakteur im Kulturressort der taz

Julian Weber, geboren 1967 in Schweinfurt/Bayern, hat Amerikanische Kulturgeschichte, Amerikanische Literaturwissenschaft und Soziologie in München studiert und arbeitet nach Stationen in Zürich und Hamburg seit 2009 als Musikredakteur im Kulturressort der taz

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.