Die Welt ist rot

Der Sieg von Internacional Porto Alegre gegen den favorisierten FC Barcelona im Finale der Klub-WM wird in Südbrasilien auch als Erfolg über die „kolonisierten Idioten des Offensichtlichen“ gefeiert

aus porto alegre gerhard dilger

Es ist die 82. Minute. Vor dem Großbildschirm in der Avenida Goethe von Porto Alegre halten Tausende den Atem an. Auf der anderen Seite der Weltkugel, im japanischen Yokohama, startet Inter den entscheidenden Konter gegen die Startruppe des FC Barcelona. Sturmspitze Iarley erkämpft sich kurz hinter der Mittellinie den Ball, läuft, schaut, passt nach links zum eben eingewechselten Adriano Gabiru, der Barça-Torhüter Víctor Valdés überwindet. Porto Alegre steht kopf. Zehn bange Minuten später ist die Sensation perfekt – Inter ist Weltmeister!

„Heute ist die Welt kommunistisch“, jubiliert Rodrigo Carvalho, der an diesem sommerlichen Sonntagmorgen stolz seine Inter-Tatoos zur Schau trägt. Mit Kommunismus haben die Kicker aus Südbrasilien zwar ebenso wenig zu tun wie der Name ihres Klubs mit der Internationale, doch wegen der Vereinsfarbe Rot titelt auch das Internetportal Samba Foot: Die Welt ist rot. Für Internacional Porto Alegre ist der Titel des Klubweltmeisters der größte Erfolg in der 97-jährigen Vereinsgeschichte – errungen ausgerechnet gegen das wohl wirklich beste Team der Welt, den FC Barcelona.

„Das ist der Sieg Davids gegen Goliath“, bringt Carvalho das Ergebnis auf den Punkt, „die haben nur Nationalspieler, wir keinen einzigen.“ Denn gleich nach dem Titelgewinn des südamerikanischen Libertadores-Pokals im August wurden drei Leistungsträger nach Europa verkauft, darunter Tinga an Borussia Dortmund. Stürmerstar Rafael Sobis, der zwischenzeitlich in der Seleção debütierte, spielt jetzt für Betis Sevilla.

Vor allem aber haben „die“ Ronaldinho, der nach der verpatzten WM die zweite herbe Enttäuschung des Jahres einstecken muss. Ronaldinho, der so oft wie kein Zweiter in Großaufnahme zu sehen ist. Dabei werden regelmäßig Dutzende von Stinkefingern hochgestreckt, denn Ronaldinho ist beim Lokalrivalen Grêmio Porto Alegre groß geworden. Und Grêmio war schon einmal Weltpokalsieger, vor 23 Jahren, nach einem Sieg gegen den Hamburger SV.

Aber abgesehen von den Schmähungen des Superstars ist in der Avenida Goethe kaum etwas von der sonst üblichen aufgeladenen Stadionatmosphäre zu spüren – Schiedsrichter, gegnerische Mannschaft und Fans sind ja außer Hörweite. Eher erinnert das Treiben zwischen Würstchen- und Getränkeständen zunächst an ein riesiges Familienfest. Wenn die Sprechchöre der roten Fans in Yokohama aus den Lautsprechern schallen, stimmt die rotgekleidete Menge ein.

Das Halbfinale in Japan hatte die Katalanen in ihrer Favoritenrolle bestätigt: Während sie Nord- und Mittelamerikameister América aus Mexiko-Stadt mit 4:0 deklassierten, quälte sich Inter mit einem wenig überzeugenden 2:1 gegen Afrikameister Al-Ahly Kairo ins Endspiel. Am Sonntag ist davon wenig zu spüren. Zwar ist Barça feldüberlegen und spielt auch mehr Torchancen heraus. Doch das Konzept von Inter-Trainer Abel Braga geht auf: die Blau-Roten mit einer Kombination von Mann- und Raumdeckung stören und auf Konter setzen. Immer wieder rettet Schlussmann Clemer gegen Ronaldinho, Iniesta und zuletzt Deco.

Als Kapitän Fernandão auf der Leinwand den Pokal in die Höhe reckt, bricht manch hartgesottener Fan in Tränen aus. Stunden nach dem Abpfiff wächst die jubelnde Menge auf der Avenida Goethe auf 50.000 Menschen an. Aus dem Familienfest wird ein vorgezogener Karneval mit Livemusik und Strömen von Bier. Kolumnist Juca Kfouri mokiert sich über die „durch und durch kolonisierten Idioten des Offensichtlichen, die schon den europäischen Sieg besungen haben“ und beschwört die „taktische Disziplin“ der Brasilianer. Freudenböller und Autohupen hallen auch noch am Montag durch die Stadt. Am heutigen Dienstag, wenn die Helden aus Japan zurückkehren, wird Porto Alegre noch einmal ganz rot sein.