Die Kreissäge in der Wüste

Die Verzweiflung des Jetsets ist unergründlich, die deutsche Verleihpraxis auch: Claude Lelouchs Film „And Now … Ladies & Gentlemen“ wird in einer erheblich gekürzten Fassung gezeigt

von PHILIPP BÜHLER

Kein böses Wort hier über den vermutlich total langweiligen und prätentiösen neuen Film von Claude Lelouch. Ich habe ihn nicht gesehen. Beziehungsweise, was ich gesehen habe, war die vom Verleih um eine halbe Stunde gekürzte deutsche Fassung eines potenziellen Meisterwerks. Immerhin der Abschlussfilm von Cannes. Vom kommerziell wohl erfolgreichsten Regisseur Frankreichs („Ein Mann und eine Frau“). Da ist man gerne mal vorsichtig. Schließlich gibt es Filme, die ihre Zeit brauchen. In denen sich eine Magie einstellt durch die schiere Länge. „And Now … Ladies & Gentlemen“ könnte ein solcher Film sein.

Die Geschichte zumindest ist gar nicht so schlecht. Jeremy Irons spielt einen von mysteriösen Black-outs heimgesuchten Meisterdieb. Dass er immer ein bisschen neben sich zu stehen scheint, passt zur Rolle. Und sein perverses Mundwinkelzucken hat er diesmal im Griff. Nach ein paar schönen Beispielen seiner Kunst – unter anderem als alte Dame und als Althippie verkleidet – flieht er nach Marokko. Vor sich selbst, natürlich. Im Grand Hotel trifft er auf die Sängerin Patricia Kaas in ihrer ersten Filmrolle. Sie trällert nicht nur den ganzen Film hindurch Pianojazz, sondern wird wie der einsame Juwelenräuber von seltsamen Gedächtnislücken geplagt. Im weiteren Verlauf entwickelt Lelouch ein vergnügliches Spiel um die Frage, ob die beiden eine Nacht miteinander verbracht haben. Wird die Vergangenheit sie einholen, das Ringen um Lüge und Wahrheit ein glückliches Ende finden? So sexy ist die Amnesie, und der Regisseur ist wieder bei seinem alten Thema: der Liebe zwischen den Geschlechtern oder warum man das Ganze doch lieber vergessen sollte.

Gar nicht sexy ist der barbarische Schnitt. Nicht dass den ursprünglichen zweieinhalb Stunden eine Straffung nicht gut tun würde. Aber hier war eine Kreissäge am Werk. Jede Szene auf Dialoganfang geschnitten, Schuss –Gegenschuss, das war’s. Dazu eine Travestie von Synchronisation, in der Patricia Kaas sich selbst spricht: „Isch atte eine Black-out.“ Verloren geht dabei nicht nur der schlichte Zauber einer Wüstenromanze, in der wir Irons sagen hören: „Wir verlangen zu viel von der Liebe, meine Liebe“, sondern auch die Logik. Der ahnungslose Irons betätigt sich als melancholischer Wiedergänger von Gary Grant in „Über den Dächern von Nizza“, Claudia Cardinale spielt eine mysteriöse Gräfin, die Kamera macht in der flirrenden Hitze einen tollen Job. Doch die alten Zeiten kommen nicht wieder. Was ein leicht verdaulicher Europudding in der Krimitradition der Sechziger sein könnte, wirkt wie ein Ferienprojekt abgehalfterter Stars. Charmant höchstens in seiner naiven Schlampigkeit. Den schönen Schlusspunkt setzt ein Kommissar, der leider nicht Lino Ventura ist: „Die Verzweiflung des Jetsets ist unergründlich.“ Die deutsche Verleihpraxis leider auch. Aber, wie gesagt, ich habe den Film nicht gesehen.

„And Now … Ladies & Gentlemen“. Regie: Claude Lelouch. Mit Jeremy Irons, Patricia Kaas, Thierry Lhermitte, Claudia Cardinale u. a. Frankreich 2002, 106 Minuten