Schlaflos in Dangast

■ Ist es Liebe oder Hass? Eine Ausstellung in der Städtischen Galerie dokumentiert Franz Radziwills Einstellung zur Technik

Vor fünf Jahren, zum 100. Geburtstag von Franz Radziwill, durchleuchtete das Museum Böttcherstraße das Verhältnis des Malers zur Stadt. Aufgewachsen ist er in der Metropole namens Bremen. Doch schon mit 27 Jahren hielt er den Rückzug aufs Land für angebracht und kaufte sich ein Häuschen in Dangast, dem Kurort am Jadebusen, auf den ihn Malerfreund Schmidt-Rottluff aufmerksam machte. 1924 agitierte er heftig gegen eine Landstraße von Dangast nach Varel: „Kinderbälle werden verschwinden, die Fenster werden sich schließen, denn Staub zerstört Möbel und Gardinen.“ Als ehrenamtlicher Aufpasser in einem Vogelschutzgebiet vertrieb er sogar Liebespaare mit seiner Trillerpfeife. Der anschwellende Kur-Tourismus nervte ihn so sehr, dass er von einer Einöde im Moor träumte. Als in den 60er Jahren Hochhäuser in Deutschland (das erste in Düsseldorf) Einzug hielten, meinte er: „Je höher die Häuser, desto kleiner die Menschen.“

Im EXPO-Jahr muss der Titel einer Radziwill-Ausstellung natürlich „Mythos Technik“ lauten, was nicht verkehrt ist, denn kein anderer Maler der Neuen Sachlichkeit ließ auf seinen Bildern so viele Flugzeuge und Schiffe herumgondeln, übrigens auch die im 2. Weltkrieg gesunkene „Scharnhorst“, von deren spektakulärem Wiederauffinden die Medien jüngst schalmeiten. Autos aber hasste er so sehr, dass ihnen die Zufahrt auf die Leinwand weitgehend verwehrt wurde: „Das Auto ist eine Fehlkonstruktion ... und vielleicht ebenso furchtbar wie der Krieg.“ In 30 Jahren wird man ihm Recht geben.

Im Sommer 1912 erlebte der 17-Jährige am Rennplatz Vahr ein spektakuläres Schaufliegen, bei dem ein Flugzeug abstürzte und zwei Menschen starben. Die damaligen Presseberichte dokumentieren aufs Puzigste den Heldenbohei, der einst die Fliegerei umwehte: „Männer mit eisernem Sinn gehen in den Tod. Ruhmlos ist er nicht. Was ist das Heldentum antiker Heroen demgegenüber ...“ Auch Radziwill wollte Flieger werden. Mit 13 Jahren kritzelte er akribische Zeichnungen von Fliegern und Schiffen, bezeichnenderweise neben edlen Rittern bei der Ausübung ihrer Heldentaten.

Erfahrungen als Sanitäter und Soldat im 1. Weltkrieg sollten seine Einstellung zum Luftfahrzeug gründlich renovieren. In seinen Bildern taucht das Flugzeug fast ausschließlich als Vernichtungsbote auf. Auf einem Bild von 1946 jagt eine dieser düsteren Stahlhummel sogar einen zarten Engel mit der Aufschrift „Menschheit“. Darunter rottet ein menschenleeres Endzeit-Bremen vor sich hin, in dem nur noch ein Bunker intakt ist. Seit 1978 hängt dieses Antikriegsbild im Bremer Rathaus.

Das mit dem hyperplakativen Menschheits-Engel darf man Radziwill nicht übel nehmen. Beeindruckt von altniederländischer Schildermalerei spielt er ab und an mit volkstümlich-schlichten Sinnangeboten. Es dominiert aber Symbolik der komplexeren Art. Düstere Wolkenschwaden reißen auf; dahinter lockt aber kein Blau, sondern nur schnödes Rechenpapier; eine runde, im Himmel schwebende Form erinnert mal an eine Blume, mal an eine Klingel, vielleicht auch eine Brust: Surrealismen, die Kunsthistoriker zu einen Vergleich mit den Vertretern des Magischen Realismus veranlassten.

Der 1. Weltkrieg machte den eher unpolitischen Radziwill nicht zum Pazifisten. Nach einer Fahrt mit dem Panzerschiff Deutschland (1935) schwärmte er: „Niemals habe ich die Gemeinschaft und Größe meines Vaterlandes so schön erlebt ... wie hier unter dem gewaltigen Raum von Wasser und Himmel im großen All.“ 1938 malte er im Auftrag der deutschen Kriegsmarine den spanischen Küstenort Almeria, den die deutsche Flotte zur Unterstützung Francos 1937 in Grund und Boden brannte. Heute wirkt dieses Bild übrigens keineswegs heroisierend, sondern schmerzlich bedrohend.

Ebenso kompliziert wie seine Einstellung zur (Kriegs)-Technologie, ist sein Verhältnis zu Nazideutschland. 1933 tritt Radziwill in die NSDAP ein, aber 1935 wird er für sein expressionistisches Frühwerk als „Kulturbolschewist“ geächtet. Ein Porträt, das Otto Dix von ihm malte, hing in der Ausstellung entarteter Kunst 1937 an prominenter Stelle – und ab 1938 durfte er endgültig nicht mehr ausstellen. „Die Nazis merkten schneller als er selbst, dass sie nicht zusammenpassten“, meint Tochter Konstanze. Die Regisseurin von Filmen u.a. über Nazi-Opfer hegt gegenüber ihrem Vater eine erfreulich nüchterne Symphatie, vergleicht man sie mit so vergötternden Erbhaltern wie die Nietzscheschwester oder die Brechtnachkommen.

Über eine Kindheit mit Künstlervater erzählt sie ohne Idealisierungen. „Mit Boheme hatte das bei uns nichts zu tun.“ Der Pappa malte pünktlich wie ein Beamter zwischen 7 und 15 Uhr. In den 50ern gewöhnte er sich das Rauchen ab, weil die genüssliche Zigarette danach – nach dem Malen – so fürchterlich unkritisch gegenüber den Bildern macht. Und so schickte Radziwill schon damals Raucher gnadenlos vor die Tür. Weil er Genieattitüden ablehnte, berechnete er den Wert seiner Bilder nach dem Stundenlohn eines Maurerpoliers, schließlich hat er selbst vier Jahre eine Maurerlehre über sich ergehen lassen und konnte nur nach Feierabend in die Bremer Kunstgewerbeschule zum Malunterricht gehen. Zum Lebensunterhalt reichte die Malerei nicht. So vermietete man Zimmer an Kurgäste. Radziwills Angst vor einem dritten Weltkrieg war groß. Die Kubakrise machte ihn schlaflos. Ständig hing er mit dem Ohr an seinem alten schepprigen Volksempfänger.

In den 60er Jahren, als mit der Schule der Neuen Prächtigkeit in Berlin endlich wieder kritische, realisitische Malerei in Deutschland salonfähig zu werden schien, erinnerte man sich auch an den Alten im Abseits: „Meine dritte Renaissance“, freute er sich. Doch später wurde handwerklich virtuose Malerei wieder aus den Museen gemobbt. Und trotzdem üben die schaurig-schönen Telefonmasten-Wälder, Schleusen, Ozeanliner, Deiche und Wasserspeicher unter brütendem Gewitterhimmel einen merkwürdigen Sog aus. Sie korrigieren unser sonnig-profanes Verhältnis zu unseren motorisierten Lebenshelfern. bk

Bis 10. Dezember in der Städtischen Galerie zu sehen, Buntentorsteinweg 112