„Ein guter Witz ist immer subversiv“

In den Büchern von Raul Zelik wird die Bastardisierung zur Strategie gegen das Diktat der Spaßgesellschaft: Der Autor im Gespräch über sein neues Buch „Grenzgängerbeatz“, über Straßenüberlieferung, den schmerbäuchigen deutschen Vollidioten und über die Popliteratur als neue Staatsdichtung

Interview ULRICH NOLLER

taz: Ihr aktuelles Buch heißt „Grenzgängerbeatz“. Was soll diese Wortschöpfung bedeuten?

Raul Zelik: Es sind Erzählungen, die im Zusammenhang stehen mit Grenzüberschreitungen. Beatz, weil es ein bisschen auch zu tun hat mit Pop. Außerdem steht dieses Wort für so etwas wie Bastardisierung der Sprache. Geschichten über diejenigen, die nicht dazugehören und nicht dazugehören wollen.

In Ihrer Prosa gibt es zwei Pole. Zum einen Reisegeschichten, die vor allem in Südamerika angesiedelt sind; zum anderen solche, die von Migranten in der BRD erzählen. Warum ausgerechnet diese beiden Facetten?

Weil das mein Leben ist. Die Reisegeschichten sind autobiografisch, die Migrantengeschichten habe ich von Nachbarn und Freunden erzählt bekommen. Wenn ich mir die aktuelle deutschsprachige Literatur angucke, habe ich das Gefühl, im Leben der meisten Leuten passieren keine besonders aufregenden Dinge, die als Stoff zum Erzählen dienen könnten. Ich könnte auch aus meiner Kindheit in Oberbayern berichten. Interessanter scheint mir aber, davon zu erzählen, was ich auf Reisen erlebt habe. Und von Leuten, die durch ihre Position in der Gesellschaft ständig Reibungspunkte haben mit den aktuellen Verhältnissen.

Verstehen Sie sich als politischer Autor?

Ganz bestimmt. Mein Leben hat sich immer um politische Verhältnisse gedreht. Mich interessiert der Standpunkt der Leute, die die Arschkarte gezogen haben. Die nicht zu den Privilegierten gehören, die aufsässig sind, die sich zu wehren versuchen.

Eine Zeit lang haben Sie vehement verneint, politisch zu schreiben. Warum?

Ich hatte die Befürchtung, dass es so etwas werden könnte wie Bekenntnisliteratur, was man mir bei meinem ersten Roman „Friss und stirb trotzdem“ noch vorgeworfen hat. Und ich hatte auch Bedenken, ob man Diskussionen, Positionen oder Auseinandersetzungen überhaupt abbilden kann in Literatur. Es gibt genügend Beispiele, wo das misslungen ist. Andererseits denke ich inzwischen, man sollte die Geschichten erzählen, die einen beschäftigen. Und über die Auseinandersetzungen schreiben, die man auch selber führt.

Von großen Teilen der aktuellen deutschen Literatur grenzen Sie sich damit ab ...

Was ich schreibe, ist immer auch eine klare Stellungnahme gegen das, was die so genannte Popliteratur darstellt, zumindest teilweise. Natürlich ist Popliteratur ein fieses Label, unter dem gerne ganz verschiedene Sachen subsumiert werden, die eigentlich gar nicht zusammenpassen. Aber es gibt so etwas wie eine Ästhetisierung von Oberfläche; ein Diktat von Spaßgesellschaft; einen Zynismus, der sich gegen Schwächere richtet. Für mich gibt es ganz eindeutig inhaltliche und moralische Standpunkte, die man gegen diesen Trend zu verteidigen hat.

Moral ist wichtiger als Witz?

Ein guter Witz ist immer subversiv, weil er weiß, warum er sich gegen irgendetwas richtet. Ein witziger Witz tut den Richtigen weh, das zeichnet einen richtig witzigen Witz aus. Da hat man eben eine Position. Und dieser ganze hippe Zynismus, der immer so tut, als vertrete er nichts, vertritt natürlich doch etwas: Er verteidigt nämlich einen ziemlich langweiligen Status quo.

Warum langweilig?

Im Grunde macht diese Art von Literatur in ihrer extremsten Form Werbung für ein neues Konsum- und Kommerzmodell. Eigentlich sind das die neuen Staatsdichter. Nur dass sich die Ordnung heute nicht mehr durch einen Staat auszeichnet, sondern durch ein bestimmtes Lifestylemodell, was einen die ganze Zeit bombardiert. Und das ist letztlich nicht weniger penetrant als die ideologischen Botschaften, die in der DDR als Transparente aufgehängt wurden. Nur dass es heute auf subtilere Weise transportiert wird.

Wollen Ihre Text nicht unterhalten?

Natürlich will ich unterhalten. Die Erzählungen haben mit politischen Diskursen eigentlich auch gar nicht viel zu tun. Im Grunde genommen sind es viele nette, kleine Geschichten. Natürlich geht es auch um Unterhaltung. Ich lese auch gerne lustige Geschichten und Bücher, wo ich eine Story vorfinde.

Welches sind denn Ihre bevorzugten Techniken, um zu unterhalten?

Ich schreibe ohne Techniken. Was ich kann, habe ich mir durch Ausprobieren erarbeitet. Das Kino beeinflusst mich sehr. Und dann natürlich auch Straßen-O-Töne. Die Geschichten aus Deutschland habe ich auf der Straße erzählt bekommen, sie haben so eine Art Straßen-Überlieferungs-Charakter. Mindestens die erste Hälfte ist immer authentisch.f

Wer erzählt Ihnen solche Geschichten?

Die von der jungen Türkin Gül, die verheiratet werden soll und abhaut, habe ich zum Beispiel hier am Kiez tatsächlich miterlebt. Die Geldeintreibergeschichte hat mir jemand auf der Straße erzählt, zumindest den Anfang. Und „Iserlohn beats“, die von einem Abiturkurden erzählt, der in eine Messerstecherei verwickelt wird, die habe ich von Freunden aus Iserlohn erzählt bekommen ...

Warum sind es fast immer Türken und Kurden, die Hauptrollen spielen?

Hier im Stadtteil leben viele, deswegen.

Ist es nicht schwierig, sich als Deutscher in diesen ganz anderen kulturellen Hintergrund hineinzuversetzen?

Ich glaube nicht, dass sie einen anderen kulturellen Hintergrund haben. Türken in Deutschland haben zwei Millionen verschiedene Hintergründe. Anders gesagt: Was verbindet mich mit einem bayerischen Bauern? Und wie viel verbindet mich mit einem Kreuzberger Jungen, der einen türkischen Nachnamen hat?

Der etwas schmerbäuchige, latent rassistische Durchschnittsdeutsche kommt extrem schlecht weg in Ihren Erzählungen.

Ich weiß, ich setze sehr stark auf Stereotypen, obwohl es genau das ist, was ich zugleich kritisiere. Das ist nicht besonders logisch. Andererseits geht es um Karikaturen und Witzfiguren. Das ist eben ein satirisches Element. Ich finde, solange hier Leute ernsthaft so etwas wie Leitkultur und Stolz auf das Land vertreten, ist es völlig in Ordnung, über die Deutschen nur Stereotypen zu verbreiten. Und zu sagen, dass es schmerbäuchige Vollidioten sind, die von A bis Z nichts kapiert haben.

Es ist aber schon auffällig, dass der konservative anatolische Patriarch deutlich freundlicher dargestellt wird als der gleichermaßen konservative Deutsche ...

Ich glaube nicht, dass das so ist. Die türkischen Freunde, die die Geschichten gelesen haben, haben mir zum Beispiel gesagt, dass ich Stereotype über türkische Leute verwende, dass ich da viel stärker ethnisiere als bei Deutschen. Das hängt anscheinend mit Empfindlichkeiten und Wahrnehmungen zusammen. Es ist interessant, dass die deutschen Leser meinen, zu schlecht wegzukommen, ihnen dasselbe in der anderen Richtung aber nicht auffällt. Man könnte natürlich bei den Türken, die ebenfalls meinen, schlecht wegzukommen, Ähnliches sagen. Eigentlich kann man das aber nicht vergleichen, weil die Erlebnissituation eine ganz andere ist: Als Türke in Deutschland wird man ständig auf das Türkischsein reduziert.

Was genau verstehen Sie in diesem Zusammenhang unter der „Bastardisierung der Sprache“?

In Anlehnung an Manu Chao, der Ähnliches einmal für die Musik formuliert hat, meine ich damit, dass ich die Vielfalt kultureller Einflüsse positiv sehe. Dass ich eine Vermischung von verschiedenen Milieus und Kulturen als Konzept bewusst vertrete. Dieses merkwürdige Schimpfwort „Bastard“ ähnlich wie „Kanake“ positiv umzudeuten, finde ich sehr interessant.

Darf man Sie damit als Gegenpol sehen zu jenen Kräften, die die deutsche Sprache zu schützen, zu erhalten, zu reanimieren suchen?

Diese Debatte um die Reinhaltung der deutschen Sprache halte ich für den unglaublichsten Bullshit, der jemals verbraten worden ist. Alle Sprachen sind Mischsprachen, und für mich ist der Begriff Bastardisierung ganz explizit positiv konnotiert. Nehmen Sie nur die englische Sprache, die in ihrer ganzen Werdungsgeschichte so einem Bastardisierungseffekt unterworfen war. Genau das macht das Englische so interessant und vielfältig, weil es eben französische, romanische, keltische und angelsächsische Wurzeln gibt. Das Englische ist damit nicht schlecht gefahren – und allein deswegen ist es hirnrissig, beim Deutschen irgendwelche feststehenden Sachen bewahren zu wollen.

Sie schreiben zurzeit ein Drehbuch für Detlev Buck, und Sie engagieren sich für Brandenburger Jugendzentren. Was sind Ihre Ziele für die nächsten Jahre?

Ich würde schon gerne richtig als deutschsprachiger Autor wahrgenommen und im größeren Feuilleton besprochen werden. Und dann wirklich auch mit den Auseinandersetzungen, für die ich stehe. Und da möchte ich auch noch einmal in der Debatte präsent sein.