Letztes Geleit für einen Volkshelden

Der Schriftsteller und Liedermacher Jusuf Gervalla wurde am vergangenen Sonntag in seiner Heimat im Westen des Kosovo beerdigt. Der Anschlag, dem Gervalla vor zwanzig Jahren im deutschen Exil zum Opfer fiel, ist immer noch nicht aufgeklärt

aus Priština ERICH RATHFELDER

Als die Zeremonie beginnen sollte, kam das Gewitter. Zehntausende drängten sich vergangenen Sonntag auf einer Wiese des Dorfes Dubovik in Westkosovo zusammen, um nicht völlig durchnässt zu werden. Doch niemand verließ die Szenerie, bevor die Leichname der Erde übergeben waren. Genau zwanzig Jahre nach dem Mordanschlag auf den kosovarischen Dichter, Journalisten, Übersetzer und Musiker Jusuf Gervalla und seinen Bruder Bardhosh in Deutschland waren die beiden zurückgekehrt.

Noch heute sind die Umstände des Mordes nicht ganz geklärt. Schüsse töteten an diesem Tag vor 20 Jahren in Untergruppenbach bei Heilbronn Jusufs Bruder Bardhosh und den befreundeten Emigranten Zeka Kadri sofort. Der schwer verletzte Jusuf Gervalla wurde ins Heilbronner Krankenhaus gebracht, ein erst kürzlich dort eingestellter Arzt, der aus Serbien stammte, operierte ihn. Gervalla starb und der Arzt verschwand spurlos. Damit war Stoff gegeben für Gerüchte, wonach der jugoslawische Geheimdienst Udba für den Mordanschlag verantwortlich war.

Der damals 36-Jährige – 1979 nach Morddrohungen nach Deutschland emigriert –, Übersetzer von James Joyce, Danilo Kis und Ernest Hemingway ins Albanische, Schöpfer von über 200 Liedern, Gedichten und Theaterstücken wurde zum Volkshelden und Mythos. In ihm kristallisierte sich die Geschichte des Widerstandes der Albaner gegen das serbische Regime.

„Er war ein großer Demokrat, er hat sein Leben für den Kampf für die Unabhängigkeit gegeben“, sagt ein junger Mann. Ein anderer meint, Jusuf sei ein Vorläufer des bewaffneten Kampfes der UÇK gewesen. Alle Fraktionen des politischen Spektrums versammelten sich am Grab. Expräsident Ibrahim Rugova, der Jusuf Gervalla einen „Freund“ nannte, der UÇK-Kommandeur Ramush Harandinaj sowie der liberaldemokratische ehemalige Exilpremier Bujar Bukoshi.

Dass ihr Vater zur Projektionsfläche für die unterschiedlichen politischen Fraktionen im Kosovo werden könnte, hatte Donika Gervalla, die in Deutschland lebende Tochter Jusufs, schon vor der Beerdigung befürchtet. „Niemand aber kennt meinen Vater richtig.“ Er sei ein eigenständiger Kopf gewesen, habe mit seinem Werk moderne Impulse für die damals rückständige und „patriarchalische“ Gesellschaft geben wollen. Deshalb überzeugte sie die Familie, keiner politischen Kraft Gelegenheit zu geben, die Beerdigung des Vaters politisch für sich zu instrumentalisieren.

So gab es keine Böllerschüsse des „Kosova-Schutzkorps“ TMK, das eine ihrer Kasernen nach Jusuf Gervalla benannt hat. Und auch Rugova fand nicht den Rahmen vor, sich als „Freund“ und Nachfolger des Volkshelden zu präsentieren. Jusuf und Bardhosh Gervalla sind am Sonntag schlicht „heimgekehrt.“ So wie es sich die 82-jährige Mutter des Toten gewünscht hatte. Das Grab neben dem großen Baum, den er so liebte, wird dennoch zur Wallfahrtsstätte werden. Denn die Menschen „brauchen einen Mythos, der ihnen Würde gibt“, sagte ein alter Freund Gervallas.