Die Ironie des Mausklicks

Industrie der Jetztzeit: Das Hamburger Museum für Arbeit zeigt prämierte Einsendungen für den „Peter Keetman Preis für Industriefotografie“

Dass die Industrie heute auch nicht mehr das ist, was sie einmal war, das machen die Arbeiten von Joseph Sappler schlagend deutlich. Es stimmt so offensichtlich nicht zusammen, das Bild der mit schweren Arbeitshandschuhen ausgestatteten „Brigade Mamai“ und das Bild des Gegenstands, mit dem die Arbeiter umgehen, nämlich kleinen, leichten Computerbildschirmen. Es ist aber auch die Fotografie heute nicht mehr das, was sie einmal war. Denn der Düsseldorfer Gerhard-Richter-Schüler hat seinen Beitrag zu dem erstmals verliehenen „Peter Keetman Preis für Industriefotografie“ nach der Vorlage eines Buchs über Industriemalerei einfach am Rechner gesampelt.

Sappler spricht davon, wie er dem Pathos der Handarbeit, der Maloche, mit der Ironie des Mausklickens begegnen wollte. Die Maus, die ein Proletarier in einem anderen seiner remixten Bilder glatt schleift, gilt Sappler als Signum der „Industrie der Jetztzeit“, dem Titel, unter dem die prämierten Arbeiten im Hamburger Museum für Arbeit jetzt ausgestellt sind.

Die Bilder unserer heutigen industriellen Welt, ihrer Belegschaften und ihrer Unternehmer, die meist angestellte Manager sind, ihrer Produktionsstätten und Produkte, werden immer undeutlicher. Es ist am Habitus der Menschen eben nicht mehr ohne Weiteres zu erkennen, was ihr Beruf ist, und die Einrichtung ihrer Arbeitsplätze erklärt genauso wenig, um welche Branche es sich handelt. Immer undeutlicher wird auch die Aufgabe der Industriefotografie. In vielen Fällen schließt sie an die Werbefotografie an, etwa wenn sie für die jährlichen, immer aufwändiger gestalteten Geschäftsberichte eher Imageproduktion betreibt, als eine sachliche Darstellung der Produktionsabläufe oder Produkte beizusteuern.

In dieser Situation war es von Seiten der Volkswagen art foundation eine intelligente Idee, einen Preis auszurufen, der neue Aufmerksamkeit für dieses fotografische Arbeitsfeld schafft. Wie sehen spezialisierte Fotografen die heutige Arbeitswelt, wie kommt ihnen das globalisierte Unternehmen und seine Kommunikationsstrukturen ins Bild, wie grenzen sie ihre Aufnahmen von denen der Werbung und des Journalismus ab? Thematisieren sie selbstreflexiv womöglich auch die Veränderung der technischen Voraussetzung ihres eigenen Arbeitens?

Schaut man sich jetzt die ausgezeichneten Arbeiten an, dann meint man, dass die hervorragend besetzte Jury, unter anderen Ute Eskildsen von der Fotografischen Sammlung Museum Folkwang, Dirk Reinartz von der Muthesius Hochschule Kiel und Bernhard Prinz von der Gesamthochschule Essen, sich tatsächlich für die schwierigeren, weniger erwartbaren Arbeiten entschieden haben. Der erste Preis von Florian Schwinge etwa ist eine Serie von Diptychen, wovon das eine Bild die Aufnahme eines Börsenbrokers zeigt, das andere aber eine Luftaufnahme einer Landschaft. Dass die Arbeit der Broker auf die Gestalt dieser Landschaften direkten Einfluss hat, ist sicher der erste, schlichteste Gedanke zu dieser Zusammenstellung, wenngleich der weiterhin beunruhigendste.

Ebenfalls unheimlich, in all ihrer Sachlichkeit, sind die Fotografien des zweiten Preises von Martin Richter, der moderne, industrielle Ställe kurz nach ihrer Fertigstellung, noch vor der Einstallung mit Tieren aufnahm. Die Problematik der Massentierhaltung scheint hier ohne eine einzige Kuh, ein einziges Huhn oder Schwein offenbar zu werden; dass aber auch die Bioställe, die Richter fotografierte, nicht anders aussehen als die gewöhnlichen, macht deutlich, dass der bloße Anblick des modernen Anlagenbaus in der Landwirtschaft pauschale Wertungen nicht zulässt. Bilder sind doch trügerisch, und die Offenlegung des Zusammenhangs von Inhalt und Form, die gerade von der Industriefotografie erwartet wird, ist oft genug gar nicht möglich. Der dritte Preis, Joseph Sappler eben, hat sich darauf seinen ironischen Reim gemacht.

1953, als Peter Keetman 37-jährig aus freiem Entschluss in das Volkswagenwerk nach Wolfsburg fährt, liegen die Dinge noch anders, und die Produktionsabläufe am Fließband und im Akkord sind noch so deutlich, dass er es sich erlauben kann, fotografisch zu abstrahieren.

Dass Arbeiten in seinem Stil im Museum für Arbeit am wenigsten zu finden sind, belegt die Seriosität des nach ihm, dem legendären „fotoform“-Mitglied, benannten Preises.

BRIGITTE WERNEBURG

Bis 31. März, Museum für Arbeit, Hamburg