„Der Thatcherismus lebt fort“

Kritik der zynischen Vernunft: Billy Bragg, Britanniens letzter politischer Songwriter, über sein Engagement einst und heute sowie Englands kulturelle Eigenheiten im Zeitalter der Globalisierung

Interview MARTIN WEBER

taz: Herr Bragg, bedeutet für Sie ein politischer Songwriter zu sein heute noch das Gleiche wie zu Anfang ihrer Karriere?

Bragg: Ich glaube, dass es in den Achtzigern sehr viel leichter war, von Politik berührt zu werden. Andererseits hat der 11. September gezeigt, dass es einem nicht hilft, sich nicht für Politik zu interessieren – dann kommt die Politik eben zu einem selbst.

Das bestärkt mich in dem Ansinnen, Pop und Politik weiterhin miteinander zu verbinden. Ich bin allerdings froh, nicht in diesen Zeiten als Musiker anzufangen: Lieder über den 11. September oder den Euro zu schreiben, das stelle ich mir sehr schwierig vor. Früher waren die Gegner einfacher dingfest zu machen: Apartheid, Ronald Reagan, Maggie Thatcher.

Die Globalisierung, gegen die sich derzeit Widerstand artikuliert, ist dagegen ein eher diffuser Gegner?

In meinen Augen ist Globalisierung ein Symbol für die Ängste der Menschen: Der Begriff ist eine Metapher für die kapitalistische Gesellschaft, die immer verrückter wird. Es geht dabei nicht nur um eine Sache, es geht um eine Menge verschiedener Probleme: Umweltverschmutzung, Bevölkerungsexplosion, Krankenversicherung, McDonald’s. Wobei es natürlich nichts nützt, eine McDonald’s-Filiale kurz und klein zu schlagen, weil anderthalb Kilometer weiter der nächste Laden ist. Wenn es allerdings bei einer Kette wie McDonald’s einen Betriebsrat und richtige Gewerkschaftsarbeit gäbe, käme man der Lösung des Problems schon näher. There is power in a union, das gilt noch immer.

Hat Großbritannien die Thatcher-Ära überwunden?

Für mein Empfinden: nein. Die Frau war eine Landplage, und ihre Ideen stinken hier und da immer noch vor sich hin. Es muss wohl noch eine ganze Generation heranwachsen, bis das Thema durch ist und alle begriffen haben: Einkaufen ist keine Metapher für Leben.

Verkörpert Tony Blair nicht bloß eine andere Version des Thatcherismus?

Die Idee, dass alle Politiker gleich sind, ist sehr zynisch. Davon müssen wir uns trennen, wenn wir wollen, dass sich Menschen politisch engagieren: Zynismus zerstört die Gesellschaft.

Tony Blair hat ein paar wirtschaftspolitische Entscheidungen von Thatcher und Major nicht rückgängig gemacht, und das ist zweifellos eine Schande. Aber mit Thatcher wäre der Friedensprozess in Nordirland nicht möglich gewesen, und sie hätte Schottland auch kein eigenes Parlament zugestanden.

Ihrer Meinung nach gibt es also keine Gemeinsamkeiten zwischen Blair und Thatcher?

Doch: Sie haben wahrscheinlich denselben Friseur. It must be a power-hairdresser.

Hat sich für Sie mit dem 11. September etwas geändert?

Was immer sich dieser Tag angeblich verändert hat, eines ist so wie immer: die arrogante Haltung der Amerikaner und ihrer Schwarzweißsicht der Dinge. Und dass wir jetzt alle New Yorker sind, ist natürlich Quatsch. Richtig ist: New York ist jetzt wie Dresden und Coventry: Eine Stadt, die großes Leid erfahren hat.

In welchem Zustand sehen Sie Ihr Land heute?

Wir haben in Großbritannien eine Menge Probleme, auch weil wir die größte Multikulti-Gesellschaft in Europa haben. Und so langsam fangen wir auch an, das zu realisieren. Ich würde sagen: Wir sind nicht in einem guten, aber hoffnungsvollen Zustand.

Sie haben sich stets der englischen Arbeiterkultur verbunden gezeigt. Andererseits stellen Sie im Titelsong ihres neuen Albums den Begriff von „englischer Kultur“ in Frage. Welche Bedeutung hat nationale Herkunft für Sie?

Für mich definiert sich Identität über die individuelle Persönlichkeit und lässt sich nicht an der Nationalität festmachen: Sie sind so viel Deutscher, wie Sie es zulassen, und ich bin so sehr Engländer, wie ich es zulasse.

Schauen Sie sich doch nur mal den Fußball an, die Three Lions als englisches Symbol. Wo und wann waren Löwen in England? Das Symbol kommt von irgendwo her, ist aber heute ohne Frage fester Bestandteil dessen, was angeblich England ausmacht.

Sehen Sie England als Teil von Europa an?

Die Festlandeuropäer haben sicher mehr Selbstbewusstsein, was die europäische Idee angeht. Aber ich glaube schon, dass Großbritannien dazugehört. Wir sprechen eine europäische Sprache und spielen in der Champions League.

Reicht das aus, um sich als Europäer zu fühlen?

Es ist auf jeden Fall ein guter Anfang. Für mich gibt es drei gute Gründe, warum mein Land möglicherweise mal ein richtiger Teil von Europa wird, und diese drei Gründe heißen: Sven. Goran. Eriksson. Über den Fußball können wir die Stärke entwickeln, irgendwann mal wirkliche Europäer zu sein. Dieser schwedische Bursche hat uns [als Trainer der Nationalmannschaft, d. Red.] dabei geholfen, endlich einmal in Deutschland die Deutschen zu schlagen, und in der Mannschaft spielen Schwarze – was bedeutet das nun für die Definition dessen, was britisch ist?

In vielen Ihrer Songs mischt sich Privates und Politisches, es bedingt sich gegenseitig …

Unbedingt. Ich lese gerade eine Biografie von George Orwell, und das Regime, das in „1984“ alles überwacht, kann man sowohl als rechtes als auch als linkes interpretieren – je nachdem, wo man selbst steht. Bei George Orwell geht es immer um den Kampf eines Einzelnen, in der Gesellschaft auch als Individuum bestehen zu können und als solches anerkannt zu werden. Das ist für mich die ultimative Mischung von Privatem und Politischem – und insofern immer auch mein Ziel, wenn ich Songs schreibe.

Sie haben Ihre Haltung oft als „socialism of the heart“ bezeichnet: Ist er immer noch ihre Antriebsfeder?

Mehr als das: Er ist Leidenschaft. Er ist für mich der Grund an die Menschheit als solche zu glauben, nicht aufzugeben und auf keinen Fall zynisch zu werden.

Wenn Sie musikalisch auf die Achtziger zurückblicken, was bleibt da für Sie unterm Strich?

Ganz klar: Unglaublich gut und wichtig für mich waren The Smiths, ich vermisse sie noch heute ganz schrecklich. Fies dagegen waren zum Beispiel Men Withouts Hats oder A Flock Of Seagulls mit ihren unglaublich bescheuerten Frisuren. Und dann natürlich diese Typen, die „Life Is Life“ gesungen haben. Wie hießen die noch mal?

Opus. Aus Österreich. Vergangenes Jahr war ja mit DJ Ötzi wieder ein Österreicher an der Spitze der englischen Charts …

Was? Der ist auch Österreicher? Man sollte diese Land sofort aus dem europäischen Kulturkreis verbannen. Get out! Ihr wisst, warum!