Zwischen den Rillen
: Stilvoll: Rocko Schamoni und Bernadette La Hengst

Das Ende der Bescheidenheit

Hamburg ist mondäner und abgefuckter als andere Städte. Das färbt ab. Auch auf die Musikszene Hamburgs, wo man ehrgeiziger ist als anderswo. So ist es zu erklären, dass dort seit einiger Zeit eine neue Unzufriedenheit mit schlecht verkäuflichem Dilettantismus die Runde macht, der zwangsläufig entsteht, wenn man nicht arbeiten will, aber auch nicht singen kann. Man hat die Nase voll vom Underground, von Punkrock und dessen kleinbürgerlicher Abwehr von Geld und sexy Luxus. Nicht, dass man die Welt nicht mehr verändern will. Aber wenn man schon den Staat anschreien muss, dann bitte mit Stil.

Obwohl Bernadette La Hengst und Rocko Schamoni nicht die Ersten sind – Blumfeld klangen schon vor drei Jahren nicht mehr nach Proberaum, sondern nach Münchner Freiheit –, haben diese beiden jetzt diesen Unmut vertont, einen Balanceakt geschafft zwischen Pose und Provokation, Mainstream und Message, wie er schicker nicht sein könnte.

Rocko Schamoni, der Ex-Punk, ist mit Goldzahn und Siegelring der peinlichste und charmanteste Lackaffe Hamburgs. Schon auf seinem letzten Album „Showtime“ hat er klargemacht: Man muss dem deutschen Liedgut und seinem politischen Anliegen den Glamour zurückgeben. Und weil das teuer ist, ist Rocko Schamonis neue Platte nicht mehr bei seinem alten Label Trikont erschienen, sondern bei einem Major. So kommt es, dass auf seinem neuen und sechsten Album „Der schwere Duft der Anarchie“ echte, fette Bläsersätze das Herz in die Knie zwingen, dass die Beats so funky schmettern wie bei Prince oder auch bei Sly & The Family Stone. Ein bisschen hat das auch was von Frank Sinatra: Rocko Schamoni, das ist unser Robbie Williams, und darum ist es auch kein Wunder, dass Rocko „Junge Römer“ von Falco covert, denn Falco war – Österreich hin oder her – Falco war unser Brian Ferry.

Es gibt Songs, die in schwüles Bettgeflüster auslaufen, dann geht es aber auch darum, dass man den Kapitalismus zurückschlagen muss: „Geld heißt euer Gott und ich erkläre den Bankrott.“ Und an manchen Stellen, da schimmert auch ein Rocko durch, wie man ihn von früher kennt, als er bei seinen Konzerten in den Pausen miese Geschichten über seinen „Bappa“ im Erdloch zum Besten gab. „Berlin Woman – deine Haare sind wie Mauern, schneid sie ab und du bist frei“, singt er. Man denkt an Helge Schneider und seine Epigonen, diese Blödelei bis zur Langeweile – ein Feld, das schon lange besetzt ist. Darum weiß auch Rocko Schamoni. Am Ende seiner Platte gibt es ein fingiertes Gespräch mit seinem Produzenten, in dem sich Rocko dagegen wehrt, immer albern sein zu müssen.

Bernadette La Hengst hat schon bei vielen Songs von Rocko Schamoni mitgesungen – auch auf seiner Platte ist sie wieder dabei. Anfang der Neunziger schon sang sie mit ihrer Band Die Braut haut ins Auge, einer der witzigsten Frauenbands des Landes, theatralische Lieder über Betten, die stinken, und Aschenbecher, die husten. Auf ihrem ersten Soloalbum „Der beste Augenblick in deinem Leben ist gerade eben jetzt gewesen“ treibt sie eine ähnliche Idee wie Rocko Schamoni an. Auch sie will politisch bleiben, aber dabei glatt werden wie ein Babyarsch.

Bei ihr gibt es Stücke, die klingen wie der Konzeptpunk der Goldenen Zitronen, dazu singt La Hengst: „Sie haben nichts, was mich hier hält in ihrer Erwachsenenwelt“. Das Ganze allerdings im Ton der Juliane Werding, als ginge es um die klassischen Schlagerthemen Herz, Schmerz, Heimat und Fernweh. Ein nächster Song trabt daher wie Discofox, dieser Rhythmus, der rappelt wie Wohnzimmerstudio. Dazu singt sie wie Annette Humpe: „Dies ist ein Lied, das ich schrieb für alle, die ich hinter mir ließ.“

Bei Bernadette La Hengst geht es um begehrenswerte Frauen, die Männer verbrauchen, um Selbstmörderinnen und ewige Reisende. Über alle singt sie, als wäre es ihr egal, bezirzend arrogant. Für sie ist der Schlager das Reservat für alles, was der bürgerliche Alltag nicht zu bieten hat, was ihm aber auch nicht gerade den Boden wegzieht. Da gehört Aufruhr rein, meint sie. Genauso wie in den verkümmerten Sexappeal des politischen Liedguts. Dem setzt La Hengst eine hanseatische Distanz zu sich selbst entgegen. Ihre Lieder sollen flutschen. Schluss mit der ollen Bescheidenheit in der Szene.

Bernadette La Hengst geht es wie Rocko Schamoni darum, sich über korrekte Punks und den moralischen Habitus der Altachtungsechziger lustig zu machen, aber auch darum, dem verkopften Diskurspop der Hamburger Schule ein bisschen Schick zu implantieren. Sie wollen raus aus den selbst gebastelten Nischen, aber deshalb noch lange nicht rein in den Fettnapf Schlager.

Sie haben aufsässige Alben gemacht, die sehr sinnlich sind. Wild und nobel zugleich.

SUSANNE MESSMER

Rocko Schamoni: „Der schwere Duft der Anarchie“ (Virgin). Bernadette La Hengst: „Der beste Augenblick in deinem Leben ist gerade eben jetzt gewesen“ (Trikont/Indigo)