Im Alter geht es in den Süden

Jedes Jahr geben Bundesbürger rund eine halbe Milliarde Kleidungsstücke in die Altkleidersammlung –als Akt des Mitgefühls für die Armen ein oder zwei Welten weiter. Doch vor allem in Afrika richtet die vermeintlich gute Tat oft bösen Schaden an

aus Lagos HAKEEM JIMO

Auf den Hinterhöfen des Tejusho-Markts inmitten von Lagos tilgt eine Hundertschaft von Hilfsarbeitern die letzten Spuren aus der Ersten Welt. Die einen putzen und spannen Schuhe, die anderen bügeln unermüdlich Hemden, Blusen, Hosen und Jacken. Danach gehen die auf Hochglanz und in Form gebrachten Tragestücke an die Verkaufsstände. Von Secondhand-Flair ist keine Spur. Deswegen gibt es in Nigeria die geflügelte Bezeichnung „fairly used“.

Unrecht haben die Nigerianer nicht, wenn sie viele Waren aus Europa als „kaum gebraucht“ bezeichnen. Oftmals fällt auch westlichen Besuchern erst auf den zweiten Blick auf, dass schon einmal ein Mensch in diesen Sachen gesteckt haben muss.

Nachdem dieser Mensch aus der reichen Welt das Kleidungsstück in eine Sammeltonne geworfen hat, beginnt eine folgenschwere Profitkette. Altkleiderverwertung ist ein hart umkämpftes, weil lukratives Geschäft. Die Mitspieler sind karitative Organisationen, private Händler und auch Gemeinden.

Die Qualität der gesammelten Altkleider erlaubt, dass eine Tonne für knapp 500 Euro in die so genannten Entwicklungsländer verkauft werden kann, heißt es bei FairWertung. Das ist ein Dachverband, den katholische Organisationen vor fast acht Jahren gegründet haben, um den Export von Altkleidern und -schuhen umwelt- und sozialverträglich zu gestalten. Das FairWertungskonzept sieht vor, entwicklungspolitisch schädliche Exporte zu reduzieren und Vermarktungswege durchschaubar zu machen.

Nach eigenen Angaben ist FairWertung die einzige Altkleiderorganisation, die mit solchen Standards arbeitet. Nur ein Bruchteil der Altkleider geht kostenlos an Bedürftige in Deutschland oder Katastrophenopfern – laut FairWertung gerade mal 8 Prozent. In Entwicklungsländern gibt es nicht mal ein Hemd umsonst. Das soll Mitnahmeeffekten vorbeugen. Trotzdem verdienen Sammelorganisationen, Händler, Zwischenhändler und Verkäufer mit dem restlichen Großteil der Altkleider kräftig am Geschäft mit Afrika, aber auch Osteuropa, dem Nahen Osten, Südamerika und Asien.

Die Mengen von Altkleidern werden immer größer, sagt Yetunde Akanni, die zusammen mit ihrer Tante eine Schneiderei in Ikeja führt, einem Ortsteil der nigerianischen Millionenstadt Lagos. Diese ist einer der größten Umschlagplätze für Altkleider in Afrika südlich der Sahara. Yetundes Tante muss den Siegeszug der Gebrauchtkleider und die Schwindsucht der heimischen Textilindustrie und Schneidereien seit Jahrzehnten mitansehen. „Seit den 80er-Jahren greifen immer mehr Leute zu Gebrauchtkleidern für ihre tägliche Garderobe“, sagt sie.

Der Nebeneffekt, dass der afrikanische Import billiger Gebrauchtware die örtlichen Kleiderproduktionen in Bedrängnis bringt und bereits Tausende Arbeitsplätze vernichtet hat, ist keine Neuigkeit mehr. Die afrikanischen Textil- und Handwerksbranchen haben nach all den Jahren wohl oder übel gelernt, mit der Konkurrenz zu leben und zu überleben – trotz des Teufelskreises von billiger Importware über weniger heimische Jobs, also weniger Kaufkraft, zu somit noch mehr Nachfrage nach billigen Altkleidern.

Viele Schneidereien hatten sich auf die Anfertigung heimischer Trachten für festliche Anlässe spezialisiert. Doch auch dieser Markt hat sich seit Ende der 90er-Jahre verschoben, sagt Yetunde Akanni. „Es gibt jetzt auch ein riesiges Angebot an hochwertigen westlichen Kleidern.“ Auch die Mode gebe dem westlichen Geschmack mehr und mehr Raum.

Mit einer geänderten Vermarktungsstrategie in der Textilbranche der Industriestaaten hat sich auch der Secondhand-Markt in den vergangenen zehn Jahren noch einmal stark gewandelt. Merchandise-Produkte haben die Märkte überschwemmt. Selbst in abgelegenen Dörfern laufen Kinder mit Michael-Jackson- und Leonardo-Di-Caprio-Shirts herum. Auch die immer schneller wechselnden Moden in Europa, Amerika und Japan tragen ihren Teil zu einem höheren Ausschuss an Kleidern bei. Und nicht zuletzt haben auch Markendesigner mit gesonderten Konfektionen den Massenmarkt entdeckt. Der Altkleiderhandel im Zuge der Globalisierung ist eine Einbahnstraße in die Entwicklungsländer – mit der Gefahr der stetig zunehmenden Abhängigkeit.