Der Feminist

In Konflikt mit den konfuzianischen Familienwerten Japans: Das Arsenal zeigt eine Shohei-Imamura-Filmreihe

Imamuras Sujets sind proletarisch, unterleibsorientiert und subversiv

Die Romane Haruki Murakamis lassen einen in einen seltsamen Sog von gegenwärtiger Melancholie und abgründigem Spuk geraten, der mit einer düster unfassbaren, aber durchaus wirksamen Geisterwelt korrespondiert. Diese Sphäre wandert wie ein feiner Hauch auch durch die Filme von Shohei Imamura. Sein Animismus allerdings ist eingebettet in einen unerbittlichen Realismus, das Cinemascope-Format destabilisiert alle Eindeutigkeiten. Imamura wurde zudem auch „der Feminist“ unter den japanischen Regisseuren genannt, Frauen sind bei ihm nicht nur mythische, vielmehr soziale Subjekte, er stellt die Unterdrückungen aus, und er ist fasziniert von der Macht weiblichen Begehrens.

„Akai Satsui“ (1964) zeigt die Perspektive des nächtlichen Räubers auf die halb nackt im Schein der pendelnden Lampe daliegende mollige Frau. Die Vergewaltigung geht einher mit einer riesigen dunklen Lokomotive, die heulend auf uns zufährt. Die Verwüstung in Zimmer und Seele erfasst ein kreisender Topshot. Der Lebensüberdruss der Protagonistin verwandelt sich im Lauf des Films in trotzige, wollüstige Selbstbehauptung.

Shohei Imamura, geboren 1926, ist ein wahres Kind der Nachkriegszeit, des Schwarzen Marktes, der Zeit, als die USA unter dem Eindruck der begangenen Gräuel und in der gezielten Verfolgung ihrer ökonomischen und antikommunistischen Interessen Japan eine mehr oder weniger geglückte Umerziehungspolitik auferlegten und nach genauen Kriterien verfügten, wie man den militaristischen und unterwürfigen „japanischen Geist“ demokratisieren könne.

Dazu gehört auch die Anekdote, dass es in dieser Zeit sogar verboten war, die übliche japanische Begrüßung mit Verbeugung zu praktizieren, diese galt den amerikanischen Behörden als servil und undemokratisch. Untersagt war auch die Abbildung der Alliierten, die Erwähnung der Atombomben, die auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen worden waren, die Darstellung des Berges Fuji als Symbol des japanischen Nationalismus, auch die Diskussion über Zensur unterlag der Zensur. Erwünscht aber war eine freizügigere Geschlechterdarstellung. Imamuras Generation begriff, dass die Niederlage des kaiserlichen Japans eine Befreiung war. 1952 ging die Besatzungszeit zu Ende, 1960 protestierten die japanischen Jugendlichen und Studenten erbittert gegen die Fortführung des Sicherheitsvertrages mit den USA. Diese Zeit gilt als gewaltiger und modernisierender Umbruch der japanischen Gesellschaft. Die Nouvelle-Vague-inspirierte japanische Neue Welle begann im Studio Shochiku, damals das autoritärste und traditionellste Studio. Filmemacher wie Nagisa Oshima, Susumi Hani und Shohei Imamura fanden neue Themen und Formen.

Imamura, der als Regieassistent bei Ozu gearbeitet hatte und dessen schauspielerdressierenden Regiestil missbilligte, setzt sich vor allem ab von der Darstellung des offiziellen Japans, einer ästhetisierten und formalisierten Klassengesellschaft. Seine Charaktere geraten ununterbrochen in Konflikt mit der offiziellen japanischen Perspektive und mit den konfuzianischen family values, denen er eher Schmerz und Erniedrigung ansieht als hehren Humanismus. Seine Sujets sind proletarisch und unterleibsorientiert, so spektakulär wie subversiv. So beginnt sein Film „Buta To Gunkan/Schweine und Kriegsschiffe“ (1961) mit einer an Orson Welles „Touch Of Evil“ erinnernden topografischen Totale des amerikanischen Marinestützpunktes, schwenkt dann aber ab in eine Gasse, durch die weiß gekleidete amerikanische Soldaten flanieren, denen sich junge Japanerinnen anbieten. Ein GI wird in einen engen Verschlag gelockt, in dem die Geschäfte der Prostitution abgewickelt werden. Eine Razzia. Eine Frau mit gellender, bellender Stimme beschimpft die Polizei. Wichtigster Protagonist des burlesken Besatzungsdramas ist das Geld, das die Hände wechselt, Schweine und Menschen werden damit ernährt und gekauft. Bei einem Streit über Geld und Lebenswandel sagt ein kleiner Junge: „Ich wollte, ich wäre Amerikaner“, und liest eine Beschreibung Japans als Kultur, die in der Lage ist, die feineren Elemente des Westens zu absorbieren, Imamura schneidet derweil auf Schweine, die davongetragen werden.

Geschichte und Politik sind immer präsent in Imamuras Filmen. In „Nippon Konchuki/Das Insektenweib“ (1963) wird chronologisch Archivmaterial eingeblendet. Imamura zeigt aber auch, wie unbeeindruckt davon das Leben seiner ProtagonistInnen verläuft, wie der Kampf um Würde und Essen sie fesselt und aufreibt.

Am Ende geht die Insektenfrau wieder aufs Land, gescheitert. Auf dem Weg durch die Berge zerbrechen ihre Holzsandalen, verschmutzen ihre weißen Strümpfe. Sie kehrt zurück zu den Gestorbenen. In den Ort, in dem ihr Vater sie verehrt und entehrt hat, an ihr gesaugt hat und den sie – als Sterbenden – mütterlich an ihre Brust gelegt hat und gesäugt hat: „Das Japan, das uns etwas angetan hat.“

MADELEINE BERNSTORFF

Von heute bis 14. 9. und 14. 10.–31. 10. im Arsenal, Potsdamer Straße 2, Tiergarten, Termine siehe cinema-taz