Der Herr der Überhangmandate

Mit der Homepage „www.wahlrecht.de“ hat der Bremer Jurastudent Wilko Zicht ungeahnten Erfolg. Die Bild-Zeitung fragt um Rat, Politiker surfen nach neuesten Umfragen, und WählerInnen erfahren, wie sie optimal abstimmen

Der Sonntag ist auch der Tag des Wilko Zicht. Der 26-jährige Jurastudent aus Bremen hat sich in den letzten Jahren via Internet den Ruf eines Wahlexperten erworben. Seine streng überparteiliche Homepage „www.wahlrecht.de“ betreibt Zicht, der privat bekennender Grüner ist, zusammen mit dem Osnabrücker Physiker Martin Fehndrich.

Das Web-Design der Seite kommt bewusst schnörkellos daher, Zicht und Fehndrich kommt es auf die Inhalte an: Wissenswertes rund um Wahlen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene haben sie versammelt, diverse Wahlergebnisse, mathematische Details zur Stimmenverrechnung, ein User-Forum sowie – in der Politszene ein Geheimtipp – eine Übersicht der Umfrageergebnisse von den wichtigsten Meinungsforschungsinstituten. Außerdem erfahren WählerInnen, wie sie – je nach Parteienpräferenz und Bundesland – ihre zwei Stimmen so abgeben, dass sie „eine möglichst große Wirkung“ entfalten.

So war Bremen bis 1998 „Paradebeispiel für negative Stimmen“: Wenige Zweitstimmen mehr konnten die SPD ein Überhangmandat kosten, sich also negativ auf das Gesamtergebnis der Genossen auswirken. Dieses Jahr stelle sich das Problem nicht, weil Bremen nur noch zwei Wahlkreise hat und damit Überhangmandate „praktisch ausgeschlossen“ seien, wie die Autoren versichern.

Im Alter von 11 oder 12 Jahren habe er sich das erste Buch über Wahlrecht gekauft, erinnert sich Wilko Zicht. Als er dann 1997 seine erste Website über Wahlen ins Netz gestellt hat, war der Student ganz erstaunt, „dass sich relativ viele Leute diesen Kram ansehen“. Zusammen mit Fehndrich besorgte er im Jahr darauf die Domain „wahlrecht.de“, die Zugriffszahlen steigen seitdem rapide an und liegen derzeit bei 25.000 Besuchen am Tag.

Zu den Nutzern der Seite gehören bundesweit Fraktionen und Ministerien, für eine schriftliche Anhörung des schleswig-holsteinischen Landtags hat Hobby-Wahlrechtler Zicht eine Expertise verfassen dürfen. Und erst vor einigen Tagen hat die „Bild am Sonntag“ angerufen und angefragt, welche Professoren sich denn so im Wahlrecht auskennen würden.

Immer wieder wenden sich derzeit auch Menschen an Zicht, die ihn mit dem Wahlamt verwechseln und ihre Briefwahlunterlagen anfordern möchten. Oder ihn empört für vermeintlich verzerrte Umfrageergebnisse von Allensbach oder Forsa verantwortlich machen wollen.

Wilko Zicht studiert derzeit im zwölften Semester, das Examen liegt nicht mehr fern. Kann gut sein, dass er als Staatsrechtler an der Uni bleibt. Und als Professor wäre er dann auch für die BamS zitierfähig. jox