Der hessische Kanonenschlag

Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Der brutalstmögliche Roland Koch

Frankfurt am Main, irgendwo in Hessen. Der Kalender schreibt den 24. März 1958. Ein strahlender Vorfrühlingstag spannt sich wie ein blaues Wunder über die Stadt – da kippt das Wetter hintenüber. Mit einem Mal ist die Sonne ausgeknipst, wird wie aus Kübeln Finsternis über die Stadt geschüttet. Schwarze Wolken türmen sich über den Häusern, Blitze grollen, Donner zucken, und ein namenloses Schreien verstopft die Luft, die panisch das Weite sucht, aber nicht mehr findet. Fenster fallen von den Wänden, irgendwo platzt ein Abwasserrohr, aus den Steckdosen fließt Eiter. Ein Gestank nach Schwefel und Ziegenbock fegt durch Frankfurt. In dieser brutalstmöglichen Stunde wird Roland Koch geboren.

Am anderen Morgen, beim Aufräumen, entdeckt ihn seine Mutter. Vater Karl-Heinz, der sich unheilbar mit der Christdemokratie angesteckt hat und auf dem Höhepunkt seiner Krankheit, in den späten Achtzigerjahren, als Walter Wallmanns Justizminister für das Verbrechen zuständig sein wird, erkennt in dem kleinen Schreihals, Stänkerer, Krakeeler, Krawallmacher, Raudaubruder, Unruhestifter, Pöbelfritzen, Motzer, Stinker und Wüterich sofort den Hoffnungsträger der CDU.

In Eschborn vor den Toren Frankfurts, in vom Vater verordneter strenger Quarantäne gegen alle CDU-fremden Keime, wächst Roland Koch die nächsten 44 Jahre auf. Mit seinen menschlichen Altersgenossen hat er zwar nichts gemein – nur wenn mal einer von ihnen die Pocken hat oder mit dem Kopf in die Obstpresse geraten ist, gibt es eine äußere Ähnlichkeit. Innerlich aber liegen Welten zwischen ihnen und dem brutalstmöglichen Roland Koch, der in jeder freien Minute an seiner Karriere bastelt: Maulwürfen die Augen ausstechen, Fischen die Beine ausrenken, Kanonenschläge unters Hundefutter mischen, es hinterher nicht gewesen sein – eine Haltung, die ihn tatsächlich schnurstracks in die Partei der Wehrmachtsoffiziere, Herrenreiter und Ostlandritter führt, die CDU Hessen. 1974 schwört er dem Vorsitzenden Alfred Dregger die Ehre seiner Treue.

Da hatte sich Roland Koch schon 16 Jahre an der Front bewährt. Gleich nach der Geburt gründet er eine Krabbelgruppe in der Ganz Jungen Union (GJU). Im Kindergarten beginnt er jene Seilschaft um sich zu scharen, die später als „Tankstellenrunde“ bekannt wird, damals aber nach ihrem Treffpunkt noch als „Töpfchenrunde“ firmiert. Als Schüler ist er zwar der Schlechteste in Religion, aber Bester in christlich-demokratischer Agitation und Propaganda. In seiner Freizeit tritt er stundenlang Mülltonnen um, übt für den Umgang mit dem politischen Gegner. 1972, mit 14, übernimmt er mit seinen Kumpeln nach brutalstmöglicher Überzeugungsarbeit den Ortsverband Eschborn der Jungen Union. 1977, mit 19, unterwirft er das Stadtparlament, annektiert 1979 den CDU-Kreisverband Main-Taunus, okkupiert 1987 den hessischen Landtag, schießt sich 1993 an die Spitze der CDU-Fraktion und bombt sich 1999 in den Sattel des hessischen Ministerpräsidenten.

Als wenige Wochen vor der Entscheidungsschlacht um Wiesbaden die CDU Umfragen zufolge bei null Prozent dümpelt, zerrt der brutalstmögliche Politstratege aller Zeiten einfach die SPD an den Pranger, die mittels der doppelten Staatsbürgerschaft aus Schwarzen Weißen machen und sie in den Genuss Deutschlands bringen will. Der Coup gelingt: Am Wahltag, dem 7. Februar 1999 – es regnet Auswurf vom Himmel, spritzende Furunkel platzen aus der Erde – steigt zahllosen Wählern vor Angst ihr Gedärm ins Gehirn, und als sich am Abend der Pulverdampf verzieht, steht es fest: Roland Koch hat gesiegt, SPD-Ministerpräsident Hans Eichel muss nach Berlin fliehen.

Rechtschaffenheit und Tugend ziehen sich fortan wie ein schwarzer Strang um die hessische Landespolitik. Unter dem neuen Saubermann Roland Koch zielt ein ehrliches Regierungsprogramm erstmals geradewegs auf die Verbesserung des Guten, die Verschönerung des Schönen und die Wahrung des Wahren.

Prompt droht ein Jahr später der heute vergessene Schwarzgeldskandal der Hessen-CDU den Ehrenmann Roland Koch zu verschlingen. Doch brutalstmöglich klärt er auf: Schwarzkonten einrichten, mit dem Geld eine Wahlkampagne finanzieren und damit eine Landtagswahl gewinnen: Das wäre illegal. Also muss es legal sein. Roland Koch ist schließlich auch legal.

Am Ende kippt die Affäre nur Manfred Kanther, Kochs Vorgänger im Parteistuhl, in den Rinnstein. Nachdem auch der Stahlhelmträger Alfred Dregger endlich an die ewige Ostfront abmarschiert ist, hat Roland Koch in Hessen niemand mehr über sich außer Gott, aber der ist nicht mal im CDU-Präsidium. Dort sitzt seit 1998 vielmehr Roland Koch. PETER KÖHLER